Montag, 23. Dezember 2024

InterviewEffizienz statt Ausbau

[28.03.2014] Ist Deutschland der europäische Musterschüler bei der Energiepolitik? Der auf Energie- und Umweltpolitik spezialisierte Politikwissenschaftler Lutz Mez wirft einen nüchternen Blick auf die aktuelle Situation und fordert größere Anstrengungen bei der Energieeffizienz.
Dr. Lutz Mez: „Energieeffizienz ist wichtiger als der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien.“

Dr. Lutz Mez: „Energieeffizienz ist wichtiger als der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien.“

(Bildquelle: privat)

Herr Dr. Mez, im Ausland wird die deutsche Energiepolitik mit Interesse verfolgt. Ist die Energiewende ein deutsches Phänomen?

Zunächst muss man festhalten, dass der Begriff Energiewende bereits in den 1980er-Jahren geprägt worden ist. Damals erschien die Studie „Energie-Wende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“. Dann sprach man von der Energiewende von unten – durch eine neue Energiepolitik der Kommunen. Als 1986, nach Tschernobyl, ernsthaft über einen Atomausstieg debattiert wurde, zeigten sich Unterschiede in den europäischen Ländern, die das Thema höchst unterschiedlich bearbeitet haben. Der Komplettausstieg kam nur in Deutschland und Italien auf die Tagesordnung. Aber auch in Belgien, der Schweiz und in Schweden gab es Atomausstiegsbeschlüsse. Im europäischen Vergleich ist das schwedische Energieprogramm deutlich ambitionierter als unseres. Der Anteil von Öl – immerhin 30 Prozent – soll dort bis 2020 ganz wegfallen.

Wie groß ist die Vorreiterrolle Deutschlands bei der Energiewende im europäischen Vergleich?

Es ist schwierig, über Vorreiter und Nachzügler zu sprechen, da die europäischen Länder sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Selbst die großen Industrieländer weisen ganz verschiedene Strukturen auf. Mit der EU-Richtlinie über erneuerbare Energien wurden verbindliche Ziele bis zum Jahr 2020 vorgeschrieben, etwa der 20-prozentige Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch. Dem Zwischenstand vom März 2013 zufolge haben sämtliche EU-Länder, bis auf Malta und Zypern, ihre Ziele erreicht. Elf Staaten haben es sogar um zwei Prozent überboten und vier Staaten haben ihr Ziel für 2020 schon realisiert. Das sind Schweden, Estland, Österreich und Norwegen. Unter den großen Industrienationen steht Deutschland zwar gut da, aber es gibt auch Länder, besonders die kleineren, die bereits deutlich mehr erreicht haben.

Hat Deutschland denn gegenüber den großen Industrienationen einen Vorsprung?

Der Atomausstieg hat bei uns früher begonnen – und im Zuge der Wiedervereinigung wurden alle AKW-Blöcke der ehemaligen DDR stillgelegt. Italien ist zwar direkt nach Tschernobyl ganz aus der Atomkraft ausgestiegen, aber mit der Folge, dass italienische Stromkunden noch heute 200 Millionen Euro im Jahr für die vier stillgelegten AKWs aufbringen müssen. Bei uns haben die Betreiber Rückstellungen für Stilllegung und Rückbau der AKWs gebildet und über den Strompreis auf die Stromkunden umgelegt. Sie haben eine gut gefüllte Kriegskasse, bevor sie die Anlagen endgültig abschalten. Frankreich setzte nach der Energiekrise in den 1970er-Jahren auf Atomstrom, der heute etwa 17 Prozent des Endenergieverbrauchs ausmacht. Der französische Präsident Hollande will bis 2025 insgesamt 24 Blöcke abschalten.

Wie sieht es bei der CO2-Reduktion aus? Nach EU-Vorgaben sollen 40 Prozent Kohlendioxid bis 2020 eingespart werden. Laut Umweltbundesamt sind die deutschen Emissionen im Jahr 2012 um 1,1 Prozent angestiegen.

Die Situation verändert sich nicht so rasch. Die schnellen Stellschrauben im Kraftwerksbereich wären die Kraft-Wärme-Kopplung und die Substitution von fossilen Energieträgern durch erneuerbare Energien. Dazu benötigt man allerdings Rahmenbedingungen, die eine Wirtschaftlichkeit ermöglichen, was zurzeit nicht der Fall ist. Wenn große Industriebetriebe Heizkraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung selbst betreiben würden, könnten konventionelle Kondensationskraftwerke und AKWs schneller ersetzt werden. Doch diese Szenarien sind nicht umgesetzt worden.

„Bei der Effizienzsteigerung liegen Finnland, Slowenien, Ungarn und Großbritannien vor Deutschland.“
Was müsste nun getan werden?

Will Deutschland seine Klimaziele erreichen, müsste der Anteil erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung bei 80 Prozent liegen. Meines Erachtens ist jedoch die Energieeffizienz wichtiger als der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien. Solange das Problem der Speicherung nicht hinreichend und kostengünstig gelöst ist, muss weiter Energie gespart werden. Die Wärmedämmung von Gebäuden ist aber wirtschaftlich nur sinnvoll, wenn ohnehin Instandhaltungsmaßnahmen geplant sind und modernisiert werden soll.

Wo steht Deutschland bei der Energieeffizienz?

Es gibt bei uns zwei Energieeffizienz-Aktionspläne des Bundeswirtschaftsministeriums, die auf EU-Richtlinien basieren und deren Ziele innerhalb der EU nicht verbindlich sind. Wenn man das Energieeffizienzziel für 2020 erreichen will, müsste die Verbesserung bei drei Prozent pro Jahr liegen. Deutschland erreicht aber nur 1,5 Prozent. Das ist kein schlechter Wert, aber Spitzenreiter sind wir damit nicht. Im Vergleich der Effizienzsteigerung seit dem Jahr 2000 liegen Finnland, Slowenien, Ungarn und Großbritannien vor Deutschland. Dagegen weist Frankreich weniger als ein Prozent auf und Italien liegt bei Prozent.

Welche Handhabe hat die EU, um ihre Ziele durchzusetzen?

Theoretisch könnten die EU-Kommission und das Europäische Parlament die Nationalstaaten richtig anschubsen, schließlich hat der Lissabon-Vertrag ein eigenes Energiekapitel. Das geschieht aber bisher nur indirekt. Ein anspruchsvolles CO2-Minderungsziel mit Bremsern wie Polen durchzusetzen ist schwierig. Im Bereich der erneuerbaren Energien wiederum sind die EU-Ziele bis zum Jahr 2020 durchaus zu schaffen. Schon heute könnte man an einem sonnenreichen Sonntag fast die gesamte deutsche Stromversorgung über die Erneuerbaren gewährleisten. Die Crux ist aber, dass das Verbraucherverhalten der privaten Haushalte nicht mit der Verfügbarkeit der Sonnenenergie übereinstimmt. Nur in der Industrie wird tagsüber der meiste Strom benötigt. Deshalb sind technische Lösungen für die Speicherung erforderlich, damit die Photovoltaik und der Windstrom nicht mehr abgeregelt werden müssen. Langfristig könnten wir dann auch auf Energie-Importe und transnationale Leitungen verzichten. Darüber hinaus bedarf es stabiler Investitionsbedingungen für Bauherren und man muss den Rückhalt und die Akzeptanz für den weiteren Ausbau in der Bevölkerung über Beteiligungssysteme stärken.

Interview: Dr. Helmut Merschmann

Mez, LutzDr. Lutz Mez ist Privatdozent am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Energie- und Umweltpolitik von Industrieländern unter besonderer Berücksichtigung der Atom-, Klimaschutz- und Elektrizitätspolitik.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Auf dem Bild sind Photovoltaikanlagen und im Hintergrund Windräder zu sehen.

ZSW/BDEW: Rekordjahr für Erneuerbare

[16.12.2024] Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien hat im Jahr 2024 einen neuen Höchststand erreicht. Nach vorläufigen Berechnungen von ZSW und BDEW lieferten Solar-, Wind-, Wasser- und Biomassekraftwerke mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms. mehr...

Bayern: Grüne stellen Dringlichkeitsantrag

[13.12.2024] Die Grünen im Bayerischen Landtag haben gestern im Plenum einen Dringlichkeitsantrag für konsequenten Klimaschutz eingebracht. Ziel ist es, die bayerischen Klimaziele bis 2040 zu sichern und notwendige Maßnahmen, insbesondere in der Wärmepolitik, zügig umzusetzen. mehr...

Das Bild zeigt Franziska Giffey (SPD), Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe und Bürgermeisterin von Berlin, bei der Eröffnungsrede auf den Vienna Science Days in Berlin.
bericht

Wien/Berlin: Gemeinsam für die urbane Energiewende

[09.12.2024] Bei den Vienna Science Days in Berlin trafen sich Ende November Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, um über die Herausforderungen der Energiewende und Dekarbonisierung in Großstädten zu diskutieren. Im Fokus standen die Zusammenarbeit zwischen Wien und Berlin. mehr...

Auf dem Bild ist das Kohlekraftwerk Weisweiler zu sehen, im Vordergrund stehen zwei Windräder.
bericht

Monitoringbericht: Energiemarkt in Bewegung

[09.12.2024] Der aktuelle Monitoringbericht von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur zum Strom- und Gasmarkt zeigt: Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien steigt, konventionelle Kraftwerke bleiben aber unverzichtbar. Und: Sinkende Strom- und Gaspreise entlasten die Verbraucher. mehr...

Das Bild zeigt einen Blick in den Plenarsaal des Deutschen Bundestags. Zusehen sind die Reihen der Abgeordneten und im Hintergrund der Bundesadler.

KWKG: Bundestag berät über Verlängerung

[09.12.2024] Ein Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht vor, die Geltungsdauer des KWK-Gesetzes bis zum 31. Dezember 2030 zu verlängern. Der Bundestag hat jetzt erstmals darüber beraten. Unterstützung für die Initiative der Unionsfraktion kommt aus der Energiewirtschaft. mehr...

Biogasalage: Der Bundesverband Bioenergie (BBE) hat die herausragende Bedeutung der Bioenergie betont.

BMWK: Bioenergiepaket soll Anreize schaffen

[09.12.2024] Die Flexibilität und Planungssicherheit für Biogasanlagen sollen verbessert werden. Dazu hat das Bundeswirtschaftsministerium ein Bioenergiepaket vorgelegt. Der Entwurf zur Änderung des EEG 2023 ist allerdings noch nicht innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. mehr...

interview

Interview: Volle Unterstützung für Holzenergie

[05.12.2024] Die energetische Holznutzung ist eine wichtige Säule für die Wertschöpfung im ländlichen Raum, sagt Hubert Aiwanger. stadt+werk sprach mit dem bayerischen Wirtschaftsminister über die Ziele des Pakts Holzenergie Bayern. mehr...

SAENA: Neues Umfragetool

[04.12.2024] Die SAENA bietet jetzt für die finanzielle Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger Umfragetools und Workshops an. mehr...

Saarland: Förderprogramm für Straßenbeleuchtung

[02.12.2024] Das saarländische Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie fördert jetzt mit dem neuen Programm ZEP-Kommunal die Umrüstung von Straßenbeleuchtungen in Kommunen auf LED-Technologie. mehr...

Das Bild zeigt das Gaskrafterk Irsching.

Kraftwerkssicherheitsgesetz: Die Politik ist gefordert

[25.11.2024] Ein Referentenentwurf für ein Kraftwerkssicherheitsgesetz liegt vor, berichten Medien. Er sieht neben neuen Regelungen für wasserstofffähige Gaskraftwerke auch eine Verlängerung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes vor. Der BDEW betont den dringenden Handlungsbedarf für die Energieversorgung. mehr...

Projekt PaDiSo: Tipps für die lokale Energiewende

[14.11.2024] Forscherinnen des Projekts PaDiSo haben Handlungsempfehlungen für deutsche Kommunen entwickelt, um sie bei der Gestaltung eines klimaneutralen Energiesystems zu unterstützen. Ziel ist es, kommunalen Akteuren praxisnahe Instrumente und Strategien an die Hand zu geben. mehr...

Das Bild ist ein Porträtfoto des schleswig-holsteinischen Energieministers Tobias Goldschmidt

Energieministerkonferenz: Der Geist von Brunsbüttel

[11.11.2024] Die Energieministerkonferenz in Brunsbüttel hat mit der „Brunsbütteler Erklärung“ einen deutlichen Appell an die Bundesregierung verabschiedet: Die Ministerinnen und Minister fordern spürbare Entlastungen bei den Strompreisen, eine zügige Umsetzung der Gesetze und eine klare Strategie für erneuerbare Energien und Biomasse. mehr...

Das Bild ist ein Portätfoto von Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

BDEW: Energiebranche besorgt über Ampel-Aus

[07.11.2024] Nach dem Bruch der Ampelkoalition warnt der BDEW vor den Folgen für die Energiepolitik. Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, mahnt schnelles und einvernehmliches Handeln an. mehr...

Auf dem Bild ist ein Umspannwerk zu sehen, im Vordergrund zwei Personen, die sich über einen Plan beugen.

Bundesregierung: KRITIS-Dachgesetz beschlossen

[07.11.2024] Die Bundesregierung hat den Entwurf des KRITIS-Dachgesetzes beschlossen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser betont die Notwendigkeit des Gesetzes, um Deutschland widerstandsfähiger gegen Krisen und Katastrophen zu machen. mehr...

Auf dem Bild sind Michael Maxelon, Vorstandsvorsitzender der Mainova AG, Hessens Energie- und Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori und Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef zu sehen. Sie halten ein Plakat in Händen, das das Konzept der Energiewendeviertel illustriert.

Frankfurt am Main: Energiezukunft gemeinsam gestalten

[05.11.2024] Bei einer Veranstaltung der Mainova diskutierten Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef und Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori über den geplanten Ausbau der Strom- und Wärmenetze in Frankfurt. mehr...