Netze BWEffizienter Netzbetrieb mit KI
Die Digitalisierung bietet für den sicheren und effizienten Betrieb kritischer Infrastrukturen riesige Potenziale. Bei der Netze BW werden nicht wenige bereits in der täglichen Praxis gehoben – vom Anschlusswesen über die Lieferantenbeziehungen bis hin zur Einsatzplanung von Monteuren. Die Erfahrung aus mehreren Pilotprojekten mit komplexen technischen Prozessen zeigt, welch wichtige Rolle künstliche Intelligenz (KI) bei deren Neugestaltung spielen kann.
Besonders vielversprechend entwickelt sich ein Ansatz zur vorausschauenden Instandhaltung im Gasverteilnetz, das von der Region Stuttgart bis in den Zollernalbkreis und ins Hohenlohische reicht. Das Augenmerk liegt auf knapp 4.000 Kilometern, die Netze BW als EnBW-Tochter in Mittel- und Niederdruck bis ein bar betreibt. Damit das Netz nicht überaltert, gilt es, turnusgemäß pro Jahr ein bis zwei Prozent der Leitungen auszutauschen. Seit den 1980er-Jahren arbeiten Experten daran, die Trefferquote bei der Auswahl der Abschnitte mit den wahrscheinlichsten Schadensfällen signifikant zu verbessern – im Rahmen des spartenübergreifenden Projekts Dynamind geschieht das jetzt erstmals mithilfe von KI.
Das notwendige Fundament bietet eine ebenfalls seit den 1980er-Jahren systematisch gepflegte Datenbank mit rund 15.000 Ereignissen aller Art – von der Korrosion bis zum Baggerbiss. Naturgemäß beziehen sich fast alle auf Stahlrohrleitungen. Grauguss spielt kaum mehr eine Rolle und bei PE-Rohren gab es bislang nur wenige Schäden. Hinzu kommen Stammdaten aus dem Anlagen-Management, wie das jeweilige Betriebsjahr oder mögliche Vorschäden. Diese Informationen wurden zielgerichtet ergänzt durch vielfach auf Geo-Informationssystemen basierende Daten, wie Wettereinflüsse, Vegetation in Leitungsnähe, Bodenbeschaffenheit oder das Verkehrsaufkommen. Insgesamt kamen so um die 60 Merkmale zusammen.
Besser Vorbeugen als Heilen
Auf dieser Basis machten sich Statistikexperten und Software-Entwickler daran, durch maschinelles Lernen eine Lösung für die Vorhersage von Schadensraten zu entwickeln. Konkret wurde an digitalen Modellen bestehender Gasnetze mithilfe der umfangreichen Erfahrungswerte trainiert und getestet – stets im engen Austausch mit Experten aus technischem Anlagen-Management, Netzplanung, Projektierung und Betrieb. Bei der Entwicklung des bundesweit bisher wohl einzigartigen Ansatzes kooperierte Netze BW vorsorglich mit einem Spin-off der TU München. Ein zentrales Ergebnis der 2020 durchgeführten Simulationen: Wäre das Modell schon vor fünf Jahren zur Verfügung gestanden und konsequent ein Prozent der Leitungen mit der höchsten Kritikalität ausgetauscht worden, wäre fast ein Drittel der Materialschäden vermeidbar gewesen. Zieht man in Betracht, dass ein situatives Eingreifen regelmäßig deutlich teurer kommt als eine geplante Maßnahme, lässt sich die wirtschaftliche Bedeutung erahnen.
Die innovative IT-Lösung wird seit Januar dieses Jahres bei der zentralen Planung eingesetzt. Nach und nach erhalten die Anwender vor Ort Zugang zu komfortablen Tools einschließlich einer Visualisierung der Datenlage bis auf Gemeindeebene. Der schnelle Überblick über auszutauschende Bauteile in Verbindung mit der Schadenswahrscheinlichkeit und potenziellen Schadenshöhe soll eine valide Priorisierung von Projekten erlauben. Gleichzeitig können Planer damit schnell entscheiden, ob eine Beteiligung an Tiefbaumaßnahmen in einer Kommune sinnvoll wäre. So lässt sich letztlich der Einsatz der Mitarbeiter, aber auch der begrenzten Budgets effizienter gestalten.
Für Ende 2021 hat Netze BW eine erste empirische Auswertung der Praxis vorgesehen. Darauf aufbauend ergeben sich viele Chancen, den Betrieb von Gasnetzen noch effizienter zu gestalten – weit über die ein- bis dreijährige Planung der Instandhaltung hinaus. Interessant ist die Verzahnung der Schadensrate mit dem jeweiligen potenziellen Schadensausmaß, das beispielsweise davon abhängt, ob sich eine Leitung in eher dünn besiedeltem oder stark industrialisiertem Gebiet befindet. Daraus ließen sich Folgerungen für die mittelfristige Budgetplanung, aber auch den Einsatz und Aufbau eigener Kolonnen ableiten. Auf lange Sicht könnten sogar die Kriterien für die Begehung von Leitungsabschnitten präziser gestaltet werden, als sie heute im DVGW-Regelwerk niedergelegt sind. Um bei PE-Leitungen eine vergleichbar hohe Vorhersagegüte wie bei Stahlleitungen zu erreichen, bedarf es weiterer fünf bis zehn Jahre strukturierter Dokumentation.
Wartung von 110-kV-Trassen
Große Chancen durch KI sehen auch die Kollegen aus dem Betrieb der 110.000 Volt Hochspannungsleitungen. Deren Inspektion erfolgt klassisch durch erfahrene Mitarbeiter mit dem Fernglas, die im Zweifel auch auf Masten klettern. An unzugänglichen oder schwer einsehbaren Abschnitten hilft der Blick aus dem – teuren und zudem lauten – Helikopter. Nur in Einzelfällen kam bislang eine Drohne zum Einsatz, deren umfangreiches Bildmaterial dann mit riesigem Aufwand zu sichten war. Deshalb gab es schon länger die Überlegung, dabei auf KI zu setzen. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wertete ein Projekt-Team jetzt tausende Drohnenfotos von zwei Leitungsabschnitten aus und fütterte mit der Auswahl von „Blaupausen“ die Algorithmen. Vier relevante Konstellationen lassen sich inzwischen gut ermitteln.
Bereits umgesetzt wird die Überwachung der Vegetation an den Trassenrändern: Aus Satellitenaufnahmen erkennt die Maschine mit hoher Trefferquote Stellen, an denen Störungen drohen und somit Handlungsbedarf besteht.
Beherrschung der Energiewende
Bei einem für die Versorgungsinfrastruktur zentralen Bereich hat der Gesetzgeber den Betreibern die Digitalisierung sogar ins Stammbuch geschrieben: der Energiewende, das heißt, der zunehmenden Dezentralisierung der Stromerzeugung. Eher im Schatten der Diskussionen um die Einführung des Smart Metering stehen die seit dem Jahr 2018 geltenden EU-Vorschriften zur „Generation and Load Data Provision Methodology“ (GLDPM). Sie verpflichten Verteilnetzbetreiber, den vier Übertragungsnetzbetreibern mit 48 Stunden Vorlauf energieträgerscharfe Einspeise- und Lastprognosen zu liefern. Der Aufwand zur Erhebung und Aufbereitung der Zeitreihen erwies sich bei anfangs betroffenen gut 850 Trafos in rund 350 Umspannwerken der Netze BW noch als gut machbar. Kommen jedoch allein die 25.000 eigenen Ortsnetzstationen (ONS) hinzu, lässt sich die Datenflut mit heutigen Mitteln nicht bewältigen. Deshalb macht NETZlive aus der Pflicht eine Kür: Das Projekt reicht in die 2030er-Jahre und bringt durch vollständige Digitalisierung Licht ins Dunkel des Verteilnetzes. Und damit eine viel präzisere Grundlage, um bei Bedarf rasch steuern zu können.
Angesichts der schieren Menge der Betriebsmittel in Mittel- und Niederspannung kommt die KI ins Spiel und erlaubt eine Methodik zur Abschätzung von Netzzuständen auch in vielen nicht gemessenen Gebieten. Die Datenbasis stammt zum einen aus ferngemeldeten und -gesteuerten (FFU) sowie immer mehr mit Lastgangzählern ausgestatteten ONS, zum anderen aus Messungen von Sensoren mit Internet of Things (IoT) in Ortsnetzen. Weitere wichtige Parameter wie Ladestationen und vor allem Einspeiser lassen sich integrieren. Die von den Algorithmen zu errechnenden State Estimations werden Planer zunehmend dabei unterstützen, Ausbaubedarf präziser erkennen und priorisieren zu können. Zudem erhalten die Leitstellen in Echtzeit einen Überblick über Lastflüsse, wodurch sich Schalthandlungen sicherer durchführen lassen.
Dicke Bretter bohren
Verbindet man die zunehmende Transparenz im Netz sowie die betriebliche Erfahrung mit Wettervorhersagen und weiteren KI-Modellen, lassen sich auch mögliche Netzengpässe mehrere Tage im Voraus absehen. Ist ein Zuviel an Einspeisung auf Hoch- und/oder Mittelspannungsebene zu erwarten, könnten Operatoren Windanlagen abregeln oder aber Wärmepumpen, Ladesäulen und andere Verbraucher aktivieren.
Der vermehrte Einsatz von KI verspricht beim Betrieb kritischer Infrastrukturen also mehr Sicherheit bei gleichzeitig höherer Effizienz. Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass es beim maschinellen Lernen um dicke Bretter geht. Und dass es ganz besonders auf eine solide Grundlage an klassisch erhobenen und gepflegten Daten ankommt.
Dieser Beitrag ist im Sonderheft Juni 2021 von stadt+werk zur Infrastruktur für die Smart City erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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