Donnerstag, 21. November 2024

InterviewEchte Gefahr für Bürgerenergie

[27.01.2016] Die Bedingungen für die Gründung von Energiegenossenschaften haben sich massiv verschlechtert, sagt René Mono. Im stadt+werk-Interview erklärt der Vorstandsvorsitzende des Vereins Bündnis Bürgerenergie, warum der Energie in Bürgerhand trotzdem die Zukunft gehört.

Herr Dr. Mono, viele Bürger bringen die Energiewende vor Ort voran. Wie sieht das Engagement konkret aus?

Die Bürger engagieren sich sehr vielfältig. Der Klassiker ist die Photovoltaikanlage, die über die Einspeisevergütung finanziert wird. Viele Energiegenossenschaften trauen sich inzwischen auch Windenergie-Projekte zu. In Schleswig-Holstein ist der Bürgerwindpark sogar die dominierende Form der erneuerbaren Energieerzeugung. Diese Idee breitet sich immer weiter auch in den Süden aus. Insbesondere in der Landwirtschaft sind Bioenergie-Projekte weit verbreitet. Aber auch in anderen Bereichen sehen wir bürgerschaftliches Engagement. Im ländlichen Regionen gibt es Initiativen zur Nahwärmeversorgung, oft in Zusammenarbeit mit Stadtwerken. Starkes Wachstum ist bei Energieeffizienz-Maßnahmen zu beobachten. Hier geht es um Contracting-Projekte in Partnerschaft mit Kommunen. Das zeigt, auch der Wärmemarkt und der Bereich Energieeinsparung geraten in den Fokus der Bürger. Nicht zuletzt sind Initiativen zu nennen, die das Ziel verfolgen, die Stromnetze in Bürgerhand zu nehmen.

Ist der bisherige Boom der Bürgerenergie dem Atomausstieg der rot-grünen Koalition im Jahr 2001 geschuldet oder der Energiewende von Kanzlerin Angela Merkel?

Ich würde sagen, weder noch. Bei der Bürgerenergie handelt es sich um ein gesellschaftliches Phänomen. Dahinter steht der Wunsch der Bürger, die Energieversorgung selbst in die Hand zu nehmen. Es geht also darum, die eigenen Lebensumstände zu gestalten. Eine wichtige Motivation ist es, Verantwortung zu übernehmen und die Folgen des eigenen Handelns auch spüren zu können. Das sind Faktoren, die nicht nur im Energiebereich zum Tragen kommen. Von der Politik wurden durch die Förderung erneuerbarer Energien lediglich die Rahmenbedingungen geschaffen, um diese Wünsche auch umsetzen zu können.

Sind Bürgerenergie-Projekte jetzt aufgrund politischer Vorgaben gefährdet?

Kurzfristig sind sie gefährdet, insbesondere durch die Ausschreibung von Erneuerbare-Energien-Projekten. Bürgerenergiegesellschaften sind auf solche wettbewerblichen Verfahren schlechter vorbereitet als große Energiekonzerne. Zum einen sind sie eher an kleineren Projekten interessiert, zum anderen können sie die Risiken schlechter tragen. Das gilt ja auch für kleinere Stadtwerke. Die Ausschreibungen sind also eine echte Gefahr für die Bürgerenergie. Für eine massive Verunsicherung der Bürgerenergie-Szene sorgte übrigens die Novellierung des Kapitalanlagegesetzbuchs. Das Kleinanlegerschutzgesetz hat dazu geführt, dass Unklarheit herrschte, wie die Finanzierung der Projekte ausgestaltet werden muss. Zwar hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht entschieden, dass das Kleinanlegerschutzgesetz nicht auf Genossenschaften angewendet wird, die Verunsicherung ist aber immer noch zu spüren. Die Bedingungen für die Gründung von Energiegenossenschaften haben sich massiv verschlechtert. Das zeigt sich jetzt schon. Bei der Gründung von Bürgerenergiegenossenschaften verzeichnen wir in den vergangenen Monaten einen deutlichen Rückgang.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Energiepolitik der Bundesregierung?

Die Bundesregierung und insbesondere das Bundeswirtschaftsministerium sind bei der Energiepolitik eindeutig auf einem zentralistischen Kurs. Bürgerenergie steht aber für dezentrale Energiekonzepte. Die Idee, Energie vor Ort zu erzeugen und auch zu verbrauchen wird vom Bundeswirtschaftsministerium bekämpft. Es hält an der Vorstellung eines zentralen Stromsystems fest, wo sich möglichst alles auf einem zentralen Großhandelsmarkt abspielt. Ein solches System ist aber nicht für Bürgerenergie ausgelegt. Die aktuellen Entwicklungen sehen wir mit Skepsis und großer Besorgnis.

„Wir streben kein Reservat für Bürgerenergie an.“


Wie können aus Ihrer Sicht faire Wettbewerbsbedingungen für die Bürgerenergie geschaffen werden?

Wir streben ja kein Reservat für Bürgerenergie an. Deshalb sind faire Wettbewerbsbedingungen das richtige Stichwort. Das ist möglich, wenn man die Energiewirtschaft als Gesamtsystem betrachtet. Bei den Ausschreibungen ist die Vergabe rein nach den Stromgestehungskosten geregelt. Den Zuschlag erhält also vereinfacht gesagt derjenige, der die geringsten Produktionskosten anbietet. Ein Blick auf die Stromrechnung zeigt aber, dass diese Kosten nur einen Bruchteil ausmachen. Die volkswirtschaftlich relevanten Systemkosten werden beim Ausschreibungsverfahren einfach ausgeblendet. Wir glauben, dass Bürgerenergie wettbewerbsfähig ist, wenn die Gesamtkosten in die Rechnung einbezogen werden.

Eine aktuelle Studie des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme attestiert, dass Bürgerenergieprojekte Milliarden-Investitionen auslösen. Wie ist das zu erklären?

In der Studie wird nachgewiesen, dass viele Investitionen in Erneuerbare-Energien-Projekte ohne Bürgerenergiegesellschaften gar nicht getätigt worden wären. Nicht zuletzt deshalb, weil die Bürger niedrigere Gewinnerwartungen haben. So können Projekte umgesetzt werden, die für andere Investoren nicht attraktiv sind.

Wie kommentieren Sie diese Aussage: Die Energiewende dient auch zur Förderung des Gemeinwohls?

Das würde ich unterschreiben. Erneuerbare-Energien-Projekte haben das Potenzial, die Demokratie vor Ort zu stärken. Verloren gegangene Alltagspraktiken der Zusammenarbeit können neu erlernt werden. Ein Bürgerwindpark beispielsweise erzeugt nicht nur Strom, ein solches Projekt trägt auch dazu bei, demokratische Abläufe in der Praxis zu üben. Es entstehen neue lokale Gemeinschaften, die sich zum Wohle aller organisieren.

Wie sehen Sie die Perspektiven der Bürgerenergie?

Trotz der derzeitigen politischen Rahmenbedingungen sehe ich langfristig gute Perspektiven. Denn es ist klar, dass sich das Energiesystem in Richtung Dezentralität bewegt. Und ein Blick auf die Gesellschaft zeigt: Die Bürger suchen neue Formen der Beteiligung und Bürgerenergie ist eine Möglichkeit, sich einzubringen. Menschen, die sich in Energiegenossenschaften organisieren, sind im Übrigen hoch motiviert. Ihnen werden nun Knüppel zwischen die Beine geworfen. Damit sollte die Politik aufhören und endlich die Vorteile der Bürgerenergie erkennen und würdigen.

Interview: Alexander Schaeff


Stichwörter: Politik, Bürgerenergie


Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik

Projekt PaDiSo: Tipps für die lokale Energiewende

[14.11.2024] Forscherinnen des Projekts PaDiSo haben Handlungsempfehlungen für deutsche Kommunen entwickelt, um sie bei der Gestaltung eines klimaneutralen Energiesystems zu unterstützen. Ziel ist es, kommunalen Akteuren praxisnahe Instrumente und Strategien an die Hand zu geben. mehr...

Das Bild ist ein Porträtfoto des schleswig-holsteinischen Energieministers Tobias Goldschmidt

Energieministerkonferenz: Der Geist von Brunsbüttel

[11.11.2024] Die Energieministerkonferenz in Brunsbüttel hat mit der „Brunsbütteler Erklärung“ einen deutlichen Appell an die Bundesregierung verabschiedet: Die Ministerinnen und Minister fordern spürbare Entlastungen bei den Strompreisen, eine zügige Umsetzung der Gesetze und eine klare Strategie für erneuerbare Energien und Biomasse. mehr...

Das Bild ist ein Portätfoto von Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

BDEW: Energiebranche besorgt über Ampel-Aus

[07.11.2024] Nach dem Bruch der Ampelkoalition warnt der BDEW vor den Folgen für die Energiepolitik. Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, mahnt schnelles und einvernehmliches Handeln an. mehr...

Auf dem Bild ist ein Umspannwerk zu sehen, im Vordergrund zwei Personen, die sich über einen Plan beugen.

Bundesregierung: KRITIS-Dachgesetz beschlossen

[07.11.2024] Die Bundesregierung hat den Entwurf des KRITIS-Dachgesetzes beschlossen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser betont die Notwendigkeit des Gesetzes, um Deutschland widerstandsfähiger gegen Krisen und Katastrophen zu machen. mehr...

Auf dem Bild sind Michael Maxelon, Vorstandsvorsitzender der Mainova AG, Hessens Energie- und Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori und Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef zu sehen. Sie halten ein Plakat in Händen, das das Konzept der Energiewendeviertel illustriert.

Frankfurt am Main: Energiezukunft gemeinsam gestalten

[05.11.2024] Bei einer Veranstaltung der Mainova diskutierten Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef und Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori über den geplanten Ausbau der Strom- und Wärmenetze in Frankfurt. mehr...

Barcamp 2023 in der SMA Solar Academy. Foto: Heiko Meyer

Energieblogger: Energiewende in Krisenzeiten

[05.11.2024] Wie kann man Menschen trotz globaler Krisen und Konflikte für die Energiewende gewinnen? Mit dieser Frage beschäftigt sich das 12. Barcamp Renewables Mitte November in Kassel. mehr...

Stuttgart: Status zur Wärmeplanung

[30.10.2024] Die Landeshauptstadt Stuttgart plant bis 2035 eine klimaneutrale Wärmeversorgung und erhält Unterstützung durch das Regierungspräsidium. In einer Ausschusssitzung berichteten Verantwortliche über den Status und die Herausforderungen dieser nachhaltigen Wärmeplanung. mehr...

Die Säulen-Grafik zeigt die Entwicklung der installierten Leistung Erneuerbarer-Energien-Anlagen von 2023 bis 2029.

EWI-Gutachten: Milliardenanstieg bei EEG-Förderungen

[28.10.2024] Die EEG-Förderung für erneuerbare Energien könnte bis 2025 auf über 18 Milliarden Euro steigen – fast eine Milliarde mehr als 2023. Bis 2029 wird eine Verdoppelung der Erzeugungskapazitäten in Deutschland prognostiziert, die Förderzahlungen könnten auf über 23 Milliarden Euro steigen. mehr...

Das Bild zeigt Module einer Freiflächen-Photovoltaikanlage, imHintergrund sind Windräder zu sehen.

Bund-Länder-Kooperationsausschuss: Erneuerbare nehmen Fahrt auf

[28.10.2024] Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland hat im vergangenen Jahr kräftig zugelegt und das Vorjahresniveau deutlich übertroffen. Allerdings bleibt der Ausbau der Windenergie hinter den Erwartungen zurück. mehr...

AEE: Hintergrundpapier zu regelbaren Kraftwerken

[28.10.2024] Um die Stromversorgung in Deutschland auch künftig stabil zu halten, sind ergänzend zu erneuerbaren Energien regelbare Kraftwerke notwendig. Dies zeigt ein neues Hintergrundpapier der AEE. mehr...

Sachsen-Anhalt: Ressortplan Klima beschlossen

[25.10.2024] Das Kabinett von Sachsen-Anhalt hat jetzt einen neuen Ressortplan Klima verabschiedet, der 75 Maßnahmen zur Förderung des Klimaschutzes umfasst. Umweltminister Willingmann betonte, dass trotz sinkender Treibhausgasemissionen zusätzliche Anstrengungen notwendig seien, um die Klimaziele zu erreichen. mehr...

Eine Freiflächensolaranlage.

Bremen: Stadtteile sollen direkt profitieren

[17.10.2024] In Bremen soll künftig ein Teil der Erträge von Windkraft- und Freiflächensolaranlagen direkt an die naheliegenden Quartiere fließen können. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Abgabe der Anlagenbetreiber, mit denen die Bremer Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft entsprechende Verträge abschließen kann. mehr...

Die Grafik symbolisiert Zukunftsszenarien für die Energiewende, die sowohl technische als auch soziale Aspekte einbeziehen. Die in blau gehaltene Grafik zeigt Gebäude, Windräder und Strommasten.

Studie: Elektrifizierung im Fokus

[14.10.2024] Wie Deutschland bis 2045 ein klimaneutrales Energiesystem erreichen kann, haben Forscher des KIT, des DLR und des Forschungszentrums Jülich in einem neuen Bericht vorgestellt. Sie betonen die Bedeutung der Elektrifizierung und des Ausbaus der erneuerbaren Energien als zentrale Bausteine der Energiewende. mehr...

Zu sehen ist das historische Rathaus der Stadt Braunschweig.

Braunschweig: Erfolge bei Energieeinsparungen

[11.10.2024] Die Stadt Braunschweig hat einen Energiebericht für ihre städtischen Gebäude vorgelegt. Er dokumentiert, wie die Stadt in den vergangenen Jahren ihren Energieverbrauch und CO2-Ausstoß senken konnte. mehr...

Das Bild zeigt Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack.

Schleswig-Holstein: Solar-Erlass erleichtert Planung

[11.10.2024] Der Solar-Erlass soll den Kommunen in Schleswig-Holstein als Leitfaden bei der Planung und Genehmigung von Freiflächen-Solaranlagen dienen. Die Landesregierung hat den Erlass nun grundlegend überarbeitet. mehr...