Sonntag, 22. Dezember 2024

BeleuchtungDynamische Steuerung spart Energie

[19.01.2023] Die Stadt Bad Hersfeld hat im Modellvorhaben Light as a Service über ein Jahr hinweg Straßenleuchten der neuesten Generation sowie eine dynamische, KI-basierte Lichtsteuerung getestet. Das Projekt hat die Erwartungen übertroffen.
Beleuchtung der Berliner Straße vorher und nachher: Mehr Licht auf der Fahrbahn sowie für die Rad- und Gehwege – und das bei deutlichen Energieeinsparungen.

Beleuchtung der Berliner Straße vorher und nachher: Mehr Licht auf der Fahrbahn sowie für die Rad- und Gehwege – und das bei deutlichen Energieeinsparungen.

(Bildquelle: TU Berlin)

Beleuchtung im öffentlichen Raum soll hell sein, aber gleichzeitig Energie sparen. Dem Sicherheitsgefühl von Bürgerinnen und Bürgern muss Rechnung getragen, es sollen aber auch die Lichtverschmutzung und CO2-Emissionen minimiert werden.Darüber hinaus soll die öffentliche Beleuchtung möglichst insektenfreundlich sein.
Dieses Dilemma mit zum Teil gegensätzlichen Zielsetzungen wird von aktuellen Straßenbeleuchtungsanlagen bisher in vielen Fällen nicht zuverlässig aufgelöst. Die hessische Kreisstadt Bad Hersfeld hat daher gemeinsam mit der Deutschen Bank, Microsoft, [ui!] Urban Lighting Innovations und den Stadtwerken Bad Hersfeld im Rahmen des Modellprojekts Light as a Service über ein Jahr lang neue Ansätze bei der öffentlichen Beleuchtung erprobt und umgesetzt.
Kernthese dabei: Die genannten Anforderungskonflikte sind so komplex, dass sie nicht mehr durch eine statische Straßenbeleuchtung oder menschliche Operatoren gelöst werden können. Der Weg zum Erfolg kann nur über eine dynamisch-adaptive Lichtsteuerung unter Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) führen.

Leuchten neuester Generation

Für das Modellvorhaben wurden in drei Projektgebieten der Stadt Bad Hersfeld – im nördlichen Stadtring mit einem hohem Verkehrsaufkommen, der Berliner Straße als Verbindung des südlichen Stadtrings zu überörtlichen Bundesstraßen sowie Teilen des Wohngebiets Eichhofsiedlung – 154 neue Straßenleuchten installiert. Die ausgewählten Gebiete waren bislang noch nicht auf LED-Technologie umgestellt und repräsentieren zudem ein breites Spektrum unterschiedlicher Anforderungen an die öffentliche Beleuchtung.
Die intensive Erfassung der Vorher- und Nachher-Situation aller Leuchtenstandorte in den drei Projektgebieten stellte die Grundlage für konkrete und messbare Projektergebnisse dar. Das gesamte Vorhaben wurde vom Fachbereich Lichttechnik der Technischen Universität Berlin wissenschaftlich begleitet.
Eine wichtige Voraussetzung für das Projekt Light as a Service war die Beschaffung von Straßenleuchten der neuesten Generation, die erstmalig in dieser Form für das Projekt verfügbar gemacht wurden. Sie können Signale aus der Lichtsteuerung und der entwickelten künstlichen Intelligenz verarbeiten. Die in Bad Hersfeld eingesetzten Produkte der Firma Schréder können zudem die Farbtemperatur zwischen einem neutralen Weißton und einem gelblichen, oft auch als Amber bezeichneten, Licht regulieren (im Projekt zwischen 3.000 und 2.200 Kelvin). Darüber hinaus lassen sich über dynamisches Dimmen die Lichtverteilung und die Helligkeit situativ an die jeweiligen Straßenverhältnisse anpassen.

Bedarfsgerechte Steuerung

Die in Bad Hersfeld eingesetzten Leuchten verfügen alle über eine Kommunikationsschnittstelle, über die sie einerseits Daten über ihre Betriebszustände, Verbräuche und Störungen senden und andererseits Steuerbefehle aus dem Licht-Management der vorhandenen städtischen Datenplattform [ui!] UrbanPulse und von im Projektgebiet installierten Sensoren empfangen. Eine Vielzahl von Messpunkten und Sensoren speist Daten in die städtische Datenplattform ein, um die jeweils geltenden Verkehrs-, Witterungs- und Umwelteinflüsse zu erfassen. Aus diesem Datenbestand errechnet die KI-basierte Software-Lösung des Projekts ständig und in Echtzeit für jede einzelne Leuchte die bedarfsgerechte Beleuchtungssteue­rung und gibt diese Informationen an das Lichtsteuerungssystem weiter – inklusive weiterer Energieverbrauchsberechnungen und Betriebsprognosen.
Neben der vollautomatisierten KI und der Sensorik erhalten die Leuchten auch Steuersignale von ganz anderer Seite: So griffen im Wohngebiet Eichhofsiedlung die Bürgerinnen und Bürger mit einer exklusiv im Rahmen des Projekts entwickelten App mit ihren privaten Endgeräte auf die Straßenbeleuchtung zu. Sie konnten damit eine oder mehrere Leuchten im Hinblick auf Farbtemperatur und Lichtintensität testen. Auch die Lichtverteilung, also die Überstrahlung auf die Hausfassade, die Einfahrt oder das eigene Wohnzimmer, war für jeweils zehn Minuten veränderbar, bevor durch das Regelprogramm wieder die vorherigen Einstellungen aufgerufen wurden.
Die umfangreichen Informationsströme aus dem Modellprojekt werden von der städtischen Datenplattform verarbeitet. Sie stellt das interaktive Bindeglied dar zwischen dem Lichtsteuerungsmanagement einerseits sowie den Sensoren und der Bürger-App andererseits. Aus der Datenplattform heraus werden die im Projekt gewonnenen Informationen zudem für weitere Anwendungen aufbereitet, etwa für das kommunale Energie-Monitoring.
Erwartungen übertroffen
Das Modellprojekt in Bad Hersfeld wurde aus einer großen Auswahl weltweiter Bewerber in den USA als Gewinner des diesjährigen „Smart 50 Awards“ gekürt – als nur eines von zwei europäischen Projekten.

Erwartungen wurden übertroffen

Aus Sicht der Kommune hat das Modellprojekt Light as a Service die Erwartungen der Projektteilnehmer und der Stadtpolitik voll erfüllt und in weiten Teilen sogar übertroffen. Die beabsichtigten Einsparungen hinsichtlich des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen wurden erreicht und konnten durch die dynamische Lichtsteuerung weiter ausgebaut werden. Durch den Einsatz der neuesten Leuchtengeneration konnten innerhalb des Projekts Energieeinsparungen von durchschnittlich 77 Prozent gegenüber dem Ist-Zustand erzielt werden. Diese Werte ließen sich durch den Einsatz der dynamischen Steuerung in bestimmten Situation auf bis zu 86 Prozent steigern. Die Verbrauchsverminderung beträgt bei den eingesetzten 154 Leuchten des Projekts rund 65.000 Kilowattstunden pro Jahr, der Kohlendioxidausstoß konnte um rund 27 Tonnen pro Jahr gesenkt werden.
Die dynamisch-adaptive Straßenbeleuchtung kann darüber hinaus jederzeit ohne großen Unterhaltungsaufwand gruppenbezogen oder auch nur für einzelne Leuchten an ein verändertes Verkehrsaufkommen, die Witterungsumstände, Umleitungssituationen oder besondere Veranstaltungen angepasst werden.
Das sensorgestützte Erfassen nasser Straßenverhältnisse führt zu erheblichen zusätzlichen Energieeinsparungen und zu reduzierten Blendwirkungen durch Herabsetzen des Dimm-Levels der Straßenleuchten. Die Verkehrssicherheit ist gegeben. Das gilt auch, wenn zur Reduzierung von Lichtverschmutzungseffekten (durch veränderte Lichtkegel) und zur Erhöhung der Insektenfreundlichkeit vermehrt warmweiße Farbtemperaturen und eine stärkere Dimmung in Nachtzeiträumen umgesetzt werden. Das Modellprojekt bietet des Weiteren eine bessere Störungsanalyse und eine erhöhte Anlagenverfügbarkeit. Die Zeitspanne, bis Defekte auffallen und eine Instandhaltung greift, wird verkürzt.

Umrüstung auf einen Schlag

Die Skalierbarkeit des Pilotprojekts auf ein Gesamtumrüstungsszenario der Bad Hersfelder Straßenbeleuchtung ist möglich – und wird auch umgesetzt. Statt der bisherigen schrittweisen jährlichen Eigenfinanzierung für die energetische Modernisierung der Straßenbeleuchtung hat sich die Bad Hersfelder Stadtverordnetenversammlung aufgrund des erfolgreichen Projekts für ein neues Servicemodell entschieden.
So wird im kommenden Jahr für die noch umzurüstenden rund 1.500 bis 2.000 Straßenleuchten in Bad Hersfeld modernste Leuchten- und Sensortechnik in Gesamtheit beschafft und über zehn Jahre hinweg mithilfe eines Dienstleisters betrieben, der neben den Investitionen auch die Reinigung, Wartung, Unterhaltung sowie die Entstörung der Beleuchtung und den Ersatz von ausgefallenen Komponenten übernimmt.
Die Investitionsaufwendungen lassen sich so für die Stadt Bad Hersfeld über eine lange Laufzeit verteilen und bedürfen keiner großen, zusätzlichen Kreditermächtigung. Die im Modellprojekt nachgewiesenen Qualitätsgewinne, die gemessenen CO2-Reduzierungen sowie die signifikanten Verminderungen der Stromverbräuche können somit für die restliche Straßenbeleuchtung der Kommune auf einen Schlag realisiert werden – und nicht, wie bislang, lediglich zeitverzögert in Jahresschritten.

Martin Bode ist Leiter des Fachbereichs Technischer Dienst bei der Kreisstadt Bad Hersfeld und Leiter des Abwasserbetriebs. In seinen Fachbereich fallen zusammen mit den Stadtwerken auch Betrieb, Unterhaltung und energetische Modernisierung der Straßenbeleuchtung. Matthias Weis ist Geschäftsführer der [ui!] Urban Lighting Innovations GmbH. Er blickt auf über 25 Jahre Erfahrung im Bereich Straßenbeleuchtung zurück.




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