InterviewDirekter Draht zum Kunden
Herr Dichter, die Digitalisierung hat auch die Energiebranche erfasst. Wo stehen die Stadtwerke aus Ihrer Sicht?
Stadtwerke in Deutschland befinden sich bereits mitten in der Digitalisierung, 77 Prozent der Energieversorgungsunternehmen werden sich in den kommenden zwei bis drei Jahren stark damit befassen. EVU setzen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit Themen wie neuen Geschäftsmodellen, Blockchain oder Prosumer-Initiativen auseinander. Das ist notwendig und richtig. Allerdings sind die Ergebnisse der Bemühungen zum digitalen Fortschritt Stand heute sehr unterschiedlich.
Das heißt?
Nach unserer Recherche haben viele der 300 Top-EVU bei digitalen Angebote noch keine digitale Bestellstrecke für Commodity- und Non-Commodity-Produkte. Eine benutzerfreundliche und schnell zielführende Bestellstrecke wird allerdings von vielen Kunden vorausgesetzt. Wir sehen noch dringenden Handlungsbedarf aus Sicht der Kunden: Mobile First wird von Google bereits seit dem Jahr 2015 als einer der wichtigsten Ranking-Faktoren beschrieben. Responsive Design ist ein Muss und sollte konsequent angewendet werden. Das ist Allgemeinwissen, aber noch lange nicht in ausreichendem Maße umgesetzt.
Welche Auswirkungen hat die immer schneller fortschreitende Digitalisierung?
Alle Online-Angebote eines EVU müssen so unkompliziert wie möglich gestaltet werden. Sie können zum Beispiel um einfach und intuitiv zu bedienende Sprachassistenten ergänzt werden. Digital Natives unterscheiden sich in einem Punkt deutlich von den vorherigen Generationen. Diese Zielgruppe ist nicht mehr markentreu und bindet sich nicht mehr so stark an Unternehmen, auch sind Recherche und Kaufverhalten stark digital geprägt. Stadtwerke sind mehr gefordert und müssen potenzielle Kunden mit passendem Content und Angeboten auf Web-Anwendungen überzeugen.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Versorger dadurch bei Vertrieb und Marketing?
Der klassische Durchschnittskunde existiert nicht mehr. Aus diesem Grund werden bei marktführenden Unternehmen mit starker Ausrichtung auf das Online-Geschäft potenziell Kaufinteressierte mithilfe von Cluster-Analysen in typischen Untergruppen zusammengefasst und identifiziert, teilweise sogar live. Hier ist auch das Stichwort Digitaler Zwilling erwähnenswert. An jedem Berührungspunkt werden wichtige Daten gewonnen, aber diese werden noch zu selten in konkrete Erkenntnisse übersetzt und in Maßnahmen umgesetzt. Hier liegt ein großer Schatz ungenutzt: Evaluierung der Strategie, die Ableitung in einzelne Kanäle und der optimierte Kanalmix. Dieser wird auch in Zukunft Gespräche vor Ort im Service-Center sowie verschiedene Online-Angebote beinhalten.
Wie muss ein zeitgemäßes Kundenportal eines Stadtwerks gestaltet sein?
Ein Kunden- oder Self-Service-Portal ist ein wichtiger Bestandteil für den Kundenservice. Immer mehr Kunden erwarten mittlerweile, dass alle Informationen und Angebote rund um die Uhr verfügbar sind und Verträge zu jeder Zeit abgeschlossen werden können. Ein Kundenportal muss aktuell sein und die neuesten technischen Anforderungen bedienen. Die Kunden funktionieren ähnlich wie eine Suchmaschine, sie entscheiden nach Inhalt, Relevanz und Geschwindigkeit. Zudem werden durch das Portal intern Verwaltungs- und betriebliche Aspekte vereinfacht und verbessert. Der Serviceaufwand wird deutlich verringert, Auswertungen des Kundenlebenszyklus werden vereinfacht, Unternehmen können ihre Kunden besser kennenlernen, und Erfassungsfehler können verringert werden. Die Auswertungen dieser Daten werden genutzt, um den Kunden mit auf ihn zugeschnittenen Informationen und Angeboten zu versorgen. Das empfinden Kunden als positives Service-Erlebnis, welches Zeit spart.
„Die Kunden funktionieren wie eine Suchmaschine.”
Welche Rolle spielen Social Media bei der Kommunikation und Kundengewinnung?
Seit einiger Zeit steht nicht nur die Interaktion zwischen Internet-Nutzern im Mittelpunkt des Social Web, sondern auch die Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Kunden. Kunden werden zu Markenbotschaftern. Wer könnte besser Werbung für ein Unternehmen machen als zufriedene Kunden? Social Media Marketing ist deshalb ein spannender Kanal, um mit Kunden zu kommunizieren und Neukunden von der Marke zu überzeugen. Der ausgespielte Content steht jedoch nicht isoliert für sich, sondern muss in eine Differenzierungsstrategie eingebunden sein, um ein Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens zu ermöglichen. Das ist neben der absoluten Kundenorientierung und dem Wissen über die zugrunde liegenden Bedürfnisse und Motivationen der Zielkunden entscheidend.
Das Unternehmen Redtree bietet digitale Lösungen für die Energiewirtschaft an. Um welche Produkte und Dienstleistungen handelt es sich?
Unsere Software-Produkte umfassen die skalierbaren IT-Produktfamilien loop und io. Durch diese Produkte verschlanken sich die Prozesse der EVU, und es wird mehr Transparenz durch das Zusammenführen von Daten erzeugt. Eines der Ergebnisse ist, dass die Kunden jederzeit exzellente Services erwarten dürfen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Bei uns gibt es beispielsweise den direkten Draht zum Energieversorger jetzt auch über digitale Sprachassistenten: Google Home und Alexa sind ein interessantes Upgrade für die moderne Service- und Vertriebsorganisation. Mittels der Sprachassistenten können Kunden ganz einfach und komfortabel mit den Stadtwerken in Kontakt treten – und das völlig kostenlos. Viele nützliche Services sowie ein Pool aus mittlerweile über 1.300 möglichen Antworten sorgen dafür, dass die Anliegen der Kunden unkompliziert geklärt werden können. Das Service-Upgrade auf den io.assistent ist dabei denkbar einfach. Dieser kann komfortabel in die bestehenden Systeme und Prozesse integriert werden.
Wie können Datenanalysen zu einem Mehrwert für die Kunden führen?
Live-Daten von Kunden werden beispielsweise generiert, indem die Wechselrichter von Solaranlagen über Schnittstellen mit dem Serviceportal verbunden werden und somit alle wesentlichen Daten im Portal zur Verfügung stehen. Auf Grundlage von Verhaltensmustern werden User-Profile aufgebaut und unter Einbindung von Big-Data-Analysen in Produkt- und Service-Affinitäten übersetzt. Das Verhalten der Kunden wird sowohl auf der Website, als auch auf dem Serviceportal in Echtzeit analysiert, um Ableitungen für ein angenehmes und zielorientiertes Benutzererlebnis zu ermöglichen. In Kombination mit Verbrauchsprofilen können die Energieversorger ihren Kunden passende Tarife und Angebote anbieten. Gleichzeitig gewinnen die Versorger mehr Transparenz über den Produktlebenszyklus von Technologien und Energieträgern.
Was müssen Stadtwerke tun, um zukunftssicher zu werden?
Energieversorger benötigen entweder eigene technische Infrastrukturen oder Know-how von Dritten, um bestehende und neue Produkte wirtschaftlich vertreiben zu können. Hier kann die Zusammenarbeit mit Start-ups sinnvoll sein, die eine gänzlich andere Kultur pflegen. Auch sehen wir die Kooperation mit erfahrenen Dienstleistern und Entwicklungspartnern als sinnvoll an, die stark auf die Energiebranche fokussiert sind und das notwendige Tempo und Verständnis für die Thematik einbringen. Viele der Lösungen, welche die Versorger in Vertrieb und Marketing einsetzen sollten, sind bereits heute als schnell nutzbare White-Label- oder Customized-Lösungen verfügbar.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juli/August 2019 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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