Mittwoch, 20. November 2024

Gas-InfrastrukturDer Weg zum grünen Gasnetz

[29.11.2019] Für den Betrieb der Gasnetze setzen die Betreiber meist auf Erdgas. Neun Terawattstunden werden dafür verbrannt. Doch es gibt eine klimafreundlichere Alternative: Der Betrieb mit Biomethan könnte 1,4 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
Gasnetzbetreiber können mit dem Wechsel zu grünen Gasen zur Energiewende und in der Folge nachhaltig zum Klimaschutz beitragen.

Gasnetzbetreiber können mit dem Wechsel zu grünen Gasen zur Energiewende und in der Folge nachhaltig zum Klimaschutz beitragen.

(Bildquelle: scanrail/123rf.com)

Um Gas zu transportieren, ist in den Leitungen ein gewisser Druck vonnöten. Dieser Druck wird in den Verdichterstationen erzeugt, von denen es in Deutschland 53 Stück mit 1.900 Megawatt installierter Leistung gibt. Sechs davon werden elektrisch betrieben, 47 allerdings mit Erdgas. Für eben diesen Betrieb werden neun Terawattstunden Erdgas verbrannt. Zum Vergleich: In ganz Deutschland werden aktuell pro Jahr insgesamt zehn Terawattstunden Biomethan verbraucht.
Würde man den Betrieb des Gasnetzes und der Verdichterstationen auf Biomethan umstellen, könnten 1,4 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Dies scheint im Vergleich zu anderen Emittenten ein Tropfen auf den heißen Stein. Und doch könnten Gasnetzbetreiber mit dem Wechsel zu grünen Gasen zur Energiewende und in der Folge nachhaltig zum Klimaschutz beitragen. Sämtliches durch die klimafreundliche Gestaltung des Gastransports in Deutschland verbrauchtes Erdgas würde klimaschonend und CO2-arm transportiert, ohne Gaslieferanten oder Letztverbraucher zum tatsächlichen Wechsel auf grüne Gase anreizen oder verpflichten zu müssen.

Mehrkosten nicht anerkannt

Warum aber geschieht das nicht? Es liegt nicht am Prozess, denn aufgrund derselben Brennwerteigenschaften kann aufbereitetes Biomethan ebenso eingespeist werden wie Erdgas und könnte somit von heute auf morgen auch bei den Verdichterstationen zum Einsatz kommen – ob als Beimischung oder zu 100 Prozent. Vielmehr liegt es an den Ausgaben. Da Biomethan noch teurer ist als Erdgas, entstehen bei der Umstellung der Verdichterstationen Mehrkosten von circa 35.000 Euro. Diese werden von der Bundesnetzagentur (BNetzA) Stand heute nicht als Kosten für die Wälzung über die Netznutzungsentgelte anerkannt. Das wiederum hat zur Folge, dass die Netzbetreiber sich nicht bewegen, denn sie möchten nicht auf den höheren Kosten sitzenbleiben.
Soll sich an diesen Rahmenbedingungen etwas ändern, müsste der offizielle Weg über Anträge und Formulare gegangen werden. Man weiß oder ahnt doch zumindest, dass die Mühlen der Bundesbehörde oftmals langsamer laufen und sich das Projekt „grünes Netz“ in die Länge ziehen würde. Ein anderer Weg ist, ein Risiko einzugehen und einen Präzedenzfall zu schaffen. Würden ein oder mehrere Verdichterstationen auf grün gestellt und die Netzbetreiber dann die Mehrkosten bei der BNetzA einfordern, wäre es für Letztere zumindest politisch riskant, den Antrag abzulehnen. In Zeiten, in denen ein ganzes Land nach Klimaschutzmaßnahmen verlangt, ist davon auszugehen, dass der Image-Schaden bei Antragsablehnung größer wäre als der Preis, der für die Umstellung letztlich von allen Netznutzern über marginal höhere Netznutzungsentgelte zu zahlen wäre.

Grundhaltung überdenken

Um hier einen Wandel herbeizuführen, müsste also die Grundhaltung überdacht und neu und mutig gehandelt werden. Denn wer die Energiewende wirklich möchte, hätte an dieser Stelle einen sehr wirksamen Hebel. Eine weitere Stellschraube, die aktuell eher als Hindernis für das grüne Netz betrachtet werden kann, ist die Erlösobergrenze. Sie definiert Jahr für Jahr neu, welche Erlöse der Netzbetreiber im Folgejahr erzielen darf, um seine Aufgaben zu erfüllen. Was ursprünglich als Anreiz gedacht war, um Kosten zu senken und die Produktivität zu steigern, verhindert heute Investments in eine klimafreundliche Zukunft.
Verschärfend kommt hinzu, dass die ersten Förderungen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von mit Biomethan betriebenen Anlagen wie Blockheizkraftwerken auslaufen und der Zubaudeckel der im Gesetz inbegriffenen Flexibilitätsprämie ebenfalls ausgeschöpft ist. Es braucht also neue, sinnvolle Verwendungszwecke für das grüne Gas – der Betrieb des Gasnetzes könnte einer davon sein. Dies hätte zudem eine starke Signalwirkung für die Empfänger des transportierten Erdgases, würde es doch zeigen, dass ökologisch verantwortliches Handeln mithilfe grüner Gase unabhängig vom Anwendungsgebiet einfach und schnell umsetzbar ist. Es gibt weder Risiken bei der Umstellung noch Risiken für den Biomethan-Markt, es könnten im Gegenteil sogar Überbedarfe gedeckt werden.

Forderungen werden lauter

Inzwischen werden die Rufe auch aus dem direkten Umfeld des Gasnetzes lauter: Die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas (FNB Gas) hat die grünen Gase wie SNG und Wasserstoff sowie die stärkere Berücksichtigung der Sektorkopplung im Rahmen des Netzentwicklungsplans 2020-2030 klar als wichtige Faktoren für die Dekarbonisierung und die Erreichung der Klimaziele benannt. Deswegen wurde auch der Wunsch erneuert, sie in die Gas-Infrastruktur zu integrieren. Zudem fordert sie ab 2021 eine Quote für grüne Gase, die sich bis 2030 auf zehn Prozent steigert. So sollen fossile Energieträger zunächst vornehmlich von Biomethan und dann auch von grünem sowie blauem Wasserstoff verdrängt werden, um die Klimaziele zu erreichen.

Versorgungssicherheit und Kosteneffizienz

Sogar über eine Kombination mit einer CO2-Bepreisung sowie einem Marktanreizprogramm für Power-to-Gas-Technologien wird laut nachgedacht. Sicher auch aus diesem Grund wurden die Netzbetreiber aufgefordert, möglichst viele Projekte mit grünen Gasen zu melden. FNB Gas führt als Vorteile unter anderem die Versorgungssicherheit, aber auch die Kosteneffizienz bei Transport und Speicherung, den Beitrag zur CO2-Reduktion sowie das Potenzial für die Sektorenkopplung an. Die Stellungnahmen der verschiedenen Fernleitungsnetzbetreiber zu diesem Vorstoß sprechen eine klare Sprache: Alle sind sich einig, dass grüne Gase künftig wesentlich sein werden, sie divergieren jedoch in ihrer Einschätzung zu den Möglichkeiten. Interessant wäre an dieser Stelle auch die Meinung der Verteilnetzbetreiber (VNB) gewesen, die das Gasnetz zur Verteilung an die Endverbraucher betreiben. Sie wurden jedoch nicht befragt. Ebenfalls interessant ist, dass diejenigen, die hier fordern, schon längst selbst ihren Beitrag leisten könnten – nämlich indem sie ihr Netz umstellen oder den Druck in diese Richtung erhöhen.

Matthias Kerner

Kerner, MatthiasMatthias Kerner ist seit 2017 Geschäftsführer der bmp greengas GmbH. Davor war er in verschiedenen kaufmännischen Funktionen bei der Erdgas Südwest GmbH und der EnBW Energie Baden Württemberg AG tätig. Weitere Positionen im Bereich Governance, Risk und Compliance (GRC) hatte er bei der Daimler AG und bei PricewaterhouseCoopers inne.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Bioenergie
Das Bild zeigt eine Bioenergieanlage.

FNR: Lokale Ressourcen nutzen

[18.11.2024] Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) stellt einen neuen Leitfaden vor, der Gemeinden bei der Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung unterstützt. mehr...

Bioenergieanlagen: Gefahr im Verzug

[14.11.2024] Die Bioenergieverbände fordern eine Übergangslösung im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), um hunderte von der Stilllegung bedrohte Bioenergieanlagen zu schützen. Das von der Bundesregierung angekündigte Biomassepaket müsse zumindest in Teilen noch vor der Bundestagsneuwahl umgesetzt werden. mehr...

Das Bild zeigt eine Biogasanlage, zu sehen sind Fermenter, Gasspeicher und die Gasaufbereitungsanlage.

dena-Branchenbarometer: Neue Chancen für Biomethan

[25.10.2024] Trotz wirtschaftlicher Turbulenzen steigt das Interesse an neuen Biomethanprojekten. Das Gebäudeenergiegesetz und der Umbau der Gasnetze bieten der Branche vielversprechende Perspektiven, zeigt das dena-Branchenbarometer Biomethan. mehr...

Zu sehen ist die Startseite der Biodgas-Kampagne, dort steht: Biogas ist Zukunft - Schon heute.

Kampagne: Vorteile von Biogas in den Fokus rücken

[10.10.2024] Vier Biogas-Akteure haben heute eine bundesweite Kampagne gestartet, um die Potenziale von Biogas in den Fokus der Energiewende-Debatte zu rücken. Sie fordern mehr politische Unterstützung und betonen, dass Biogas bereits heute einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leistet. mehr...

Holz ist eine wichtige erneuerbare Wärmequelle.

Fachkongress Holzenergie: Klimanutzen von Holz

[23.09.2024] Auf dem 24. Fachkongress Holzenergie in Würzburg wurde die Bedeutung von Holz als erneuerbarer Wärmequelle diskutiert. Die Branche fordert klare politische Unterstützung, um die Energiewende voranzutreiben. mehr...

Landwärme-Insolvenz: Kommunikation „ungünstig“

[19.09.2024] Stadtwerke fürchten große Auswirkungen der Landwärme-Insolvenz. Das Kommunikationsverhalten des Unternehmens sei „ungünstig“, so der Branchenverband ASEW. mehr...

Laut einer Studie könnten flexible Biogasanlagen in Kombination mit Wasserstoffkraftwerken bis 2030 eine Reserveleistung von rund 26 Gigawatt bereitstellen.

Studie: Potenzial von Biogasanlagen

[12.09.2024] Biogasanlagen könnten eine entscheidende Rolle bei der Sicherung der deutschen Stromversorgung spielen. Laut einer Studie der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen können bis 2030 durch die Flexibilisierung bestehender Anlagen zwölf Gigawatt Leistung bereitgestellt werden. mehr...

Stadtwerke Trier: Biogas verbessert Klimabilanz

[04.09.2024] Die Stadtwerke Trier wollen grüne Gase für die Energiewende in der Region. mehr...

Umweltorganisationen fordern den Berliner Senat und das kommunale Unternehmen BEW auf

Robin Wood: Keinerlei Schutz für Wälder

[04.09.2024] Die Berliner Nachhaltigkeitsvereinbarung für Biomasse garantiere keinerlei Schutz für Wälder und Natur, so der Naturschutzverband Robin Wood. mehr...

Biogasanlage: Die Rolle der Bioenergie soll gestärkt werden.

BMWK: Maßnahmenpaket für Bioenergie

[20.08.2024] Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat für den Herbst ein Biomassepaket zur Stärkung der Bioenergie in Deutschland angekündigt. Sandra Rostek, Leiterin des Hauptstadtbüros Bioenergie, begrüßt die Initiative, mahnt aber zur Eile. mehr...

Auf Holzenergie wird kein CO2-Preis erhoben

Fachverband Holzenergie: Klarstellung des BMWK begrüßt

[13.08.2024] Holzenergie kann auch weiterhin ohne CO2-Bepreisung eingesetzt werden, so das Bundeswirtschaftsministerium. Für den Fachverband Holzenergie ist damit eine „Phantomdebatte“ beendet. Geschäftsführer Gerolf Bücheler fordert nun auch das Umweltbundesamt auf, seine Position zu überdenken. mehr...

Grundsteinlegung: Das BMW-Werk in Dingolfing wird künftig durch eine Biomasseanlage mit CO2-neutraler Prozesswärme versorgt.

Dingolfing: Prozesswärme für BMW

[02.08.2024] Die UP Energiewerke errichten in Dingolfing ein innovatives Biomasse-Heizkraftwerk, das das dortige BMW-Werk mit CO2-neutraler Prozesswärme versorgt. mehr...

Biogasalage: Der Bundesverband Bioenergie (BBE) hat die herausragende Bedeutung der Bioenergie betont.

BBE: Bioenergie schützt das Klima

[01.08.2024] Anlässlich der Fortschreibung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie hat der Bundesverband Bioenergie die zentrale Bedeutung der Bioenergie für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung in Deutschland hervorgehoben. mehr...

Die Stadtwerke Schwäbisch Hall installieren einen Biomassekessel im Heizkraftwerk Hessental.

Schwäbisch Hall: Erstmals Wärme aus Holz

[05.07.2024] Die Stadtwerke Schwäbisch Hall haben mit den Bauarbeiten für einen Biomassekessel im Heizkraftwerk Hessental begonnen. mehr...

Bürgermeister Harald Stadler (links) und REWAG-Vorstandsvorsitzender Dr. Robert Greb vor dem Rohbau des Biomasseheizwerks in Neutraubling.

REWAG: Bio-Nahwärme für Neutraubling

[05.06.2024] Die REWAG baut ein Biomasseheizwerk für Nahwärme in Neutraubling. Es soll im Oktober 2024 in Betrieb gehen. mehr...