Montag, 25. November 2024

InterviewDer Roll-out ist nicht in Gefahr

[26.07.2021] Erst gab es Verzögerungen bei der Zertifizierung der Smart Meter Gateways, dann sorgte ein Eilbeschluss des OVG Münster für Verunsicherung. Über den schwierigen Weg zum intelligenten Messwesen sprach stadt+werk mit Voltaris-Geschäftsführer Karsten Vortanz.
Karsten Vortanz ist Geschäftsführer der VOLTARIS GmbH und verantwortet die Bereiche Kaufmännischer Service

Karsten Vortanz ist Geschäftsführer der VOLTARIS GmbH und verantwortet die Bereiche Kaufmännischer Service, IT, Vertrieb und Produktentwicklung.

(Bildquelle: VOLTARIS GmbH)

Herr Vortanz, steht der Smart Meter Roll-out unter einem schlechten Stern?

Es gibt in der Tat immer wieder Hürden, die auf dem Weg in das intelligente Messwesen zu meistern sind. Dennoch ist der Roll-out nicht in Gefahr. Die intelligenten Messsysteme sind die notwendigen Bausteine der digitalen Infrastruktur und damit Voraussetzung für neue, digitale Geschäftsmodelle sowie das Gelingen der Energiewende.

Welche Auswirkungen hat das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster zur BSI-Markterklärung?

In der Entscheidung des OVG Münster geht es um die Rechtmäßigkeit der Markterklärung des BSI. Unabhängig des noch ausstehenden Hauptsacheverfahrens gilt der aktuelle Eilentscheid nur für die rund 50 Kläger. Für alle anderen Marktteilnehmer – und somit für den Großteil der Messstellenbetreiber – ist die Markterklärung bereits bestandskräftig geworden. Für sie besteht nach wie vor die Verpflichtung, innerhalb der ersten drei Jahre nach Roll-out-Start – also bis Anfang 2023 – zehn Prozent der intelligenten Messsysteme auszurollen. Eine Missachtung führt im schlimmsten Fall zum Verlust der Grundzuständigkeit. An den wesentlichen Aspekten des Roll-outs wird sich nichts ändern, nämlich an der Technik und vor allem an den zugehörigen Umsetzungsprozessen.

Das Bundeswirtschaftsministerium will das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) nun anpassen. Was ist geplant und ist das aus Ihrer Sicht ausreichend?

Die Technischen Richtlinien des BSI sollen hinsichtlich der funktionalen Interoperabilität der Smart Meter Gateways überarbeitet und ein formales TR-Zertifizierungsverfahren soll etabliert werden. Damit bestünde die Möglichkeit, die Gateways sukzessive für weitere Anwendungen weiterzuentwickeln und neue Tarifanwendungsfälle zu integrieren. Der Weg wäre somit frei für markt- und netzdienliche digitale Mehrwertdienste. Wichtig für die Piloteinbauten und den operativen Roll-out ist die vorgesehene Bestandsschutzregelung für den Fall, dass sich die BSI-Markterklärung nachträglich als nichtig oder rechtswidrig erweist oder aufgehoben wird. Die bisher verbauten und beschafften Gateways erhalten noch in diesem Jahr ein Update, sodass alle Geräte die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Die Investitionssicherheit ist damit gewährleistet.

Die Voltaris Anwendergemeinschaft Messsystem setzt den Roll-out fort. Welche Erfahrungen haben die beteiligten Unternehmen gemacht?

Mittlerweile verfügen wir innerhalb der Anwendergemeinschaft, in der mehr als 40 Energieversorger und Stadtwerke beim Roll-out zusammenarbeiten, über gut 18 Monate Erfahrung bei der Umsetzung der neuen Prozesse des intelligenten Messwesens. Diese werden regelmäßig gemeinsam in Workshops analysiert und sorgfältig dokumentiert. Es hat sich beispielsweise gezeigt, dass die Beschaffung der Geräte für den intelligenten Messstellenbetrieb neu gedacht werden muss. Der Bestellprozess der Gateways per elektronischem Bestell- und Lieferschein muss im Einklang mit dem Kundenanschreiben drei Monate vor dem Einbautermin und der konkreten Terminierung des Einbaus stehen – diese Prozesse gilt es nun sukzessive zu verbessern. Auch die Umsetzung der sicheren Lieferkette der Gateways nach den strengen BSI-Vorgaben an Lagerung und Transport ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.

Die größte Herausforderung ist die Mobilfunkanbindung.“
Wo liegt die größte Herausforderung beim Roll-out?

Bei der Mobilfunkanbindung. Um die Monteure vor Ort zu unterstützen, haben wir dafür ein komplettes Maßnahmenpaket entwickelt. Vor der Installation bieten wir eine Abfrage der Provider-Daten für die Anschlussobjekte an, um die Feldstärke am Haus festzustellen. Auch die Pegelmessung vor Ort spielt eine wichtige Rolle – dazu geben wir Hilfestellung. Ergänzend testen wir weitere WAN-Alternativen, zum Beispiel die Anbindung von Gateways im 450 Megahertz-Funknetz. Die Vorgehensweise bei der Installation und Inbetriebnahme eines intelligenten Messsystems sowie alle notwendigen Komponenten haben wir in einem ausführlichen Montagehandbuch zusammengestellt, das aufgrund der gemachten Erfahrungen kontinuierlich aktualisiert wird.

Welche Mehrwertdienste mit dem intelligenten Messsystem sind besonders vielversprechend?

Immer mehr Kunden wünschen sich eine digitale Interaktion mit ihrem Energieversorger sowie einen transparenten Überblick über ihren Energieverbrauch und die damit verbundenen Kosten. Web-Portale zur Visualisierung der Energiedaten sind daher heute schon ein Must-have für Stadtwerke. Unsere Portallösungen für Haushaltskunden, Gewerbekunden und Kommunen werden insofern stark nachgefragt. Besonders das Gewerbekundenportal ist ein lohnender Mehrwertdienst. Es ist speziell auf die Bedürfnisse von Firmen-, Filial- und Industriekunden zugeschnitten, die ein professionelles Energie-Management benötigen, denn es ermöglicht die Auswertung und den Vergleich mehrerer Standorte. Seit dem 1. Januar 2021 kann der Gebäudeeigentümer als Anschlussnehmer den Messstellenbetreiber frei wählen. Dadurch ist das Submetering zu einem essenziellen neuen Geschäftsfeld für Stadtwerke geworden. Denn damit können attraktive weitere Marktfelder erschlossen werden – zum Beispiel durch die Fernauslesung und Abrechnung von Heizkosten in größeren Immobilien.

Wie kann Submetering technisch umgesetzt werden?

Unser Submetering-Konzept verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der Mehrspartenauslesung, Submetering und Mehrwertdienste vereint. Mittels der LMN-Schnittstelle werden nicht nur die abrechnungsrelevanten Messdaten der Hauptmessungen für Strom, Gas, Wasser und Wärme über das Smart Meter Gateway an externe Marktteilnehmer bereitgestellt, sondern über die CLS-Schnittstelle auch die Messdaten der Untermessungen, wie die von Heizkostenverteilern oder Wärmemengenzählern. Darüber hinaus können über die CLS-Schnittstelle weitere digitale Mehrwertdienste angeboten werden. Dazu zählen die Anbindung von Rauchwarnmeldern, Türkontakten, Raumklimasensoren oder auch Füllstandsensoren für Mülleimer. Nachdem die Messdaten durch Initiierung des Gateway-Administrators beim aktiven externen Marktteilnehmer eingetroffen sind, werden diese auf der Mehrwertdiensteplattform zur Weiterverarbeitung in Abrechnungssystemen oder Portalen bereitgestellt. Derzeit realisieren wir innerhalb der Anwendergemeinschaft die ersten Submetering-Pilotprojekte.

Im Forschungsprojekt DESIGNETZ wird die intelligente Vernetzung von vielen dezentralen Energieerzeugern und -verbrauchern untersucht. Welche Ergebnisse des Projekts würden Sie hervorheben?

In dem Netz-Projekt EMIL – Energienetze mit innovativen Lösungen – haben wir in Zusammenarbeit mit unseren saarländischen Partnern, unter anderem der VSE AG, innovative Technologien zur Netzführung entwickelt und erprobt. Unsere Aufgabe im Projekt war die Untersuchung und Umsetzung des Einsatzes intelligenter Messsysteme in intelligenten Energienetzen. Die Bereitstellung von Messdaten zur Netzzustandserhebung sowie die Steuerung von Erzeugung und Verbrauch sind zentrale Beiträge, die ein Messsystem dabei leistet. Darüber hinaus kann es sicher und zuverlässig Steuerbefehle umsetzen sowie als Informations- und Kommunikationsplattform agieren und somit intelligente Lösungen im Energienetz ermöglichen. Zudem haben wir uns mit den neuen Prozessen beschäftigt sowie ein Mess- und Steuerkonzept entwickelt und erprobt.

Interview: Alexander Schaeff

Im Interview, Karsten VortanzKarsten Vortanz ist Geschäftsführer der VOLTARIS GmbH und verantwortet die Bereiche Kaufmännischer Service, IT, Vertrieb und Produktentwicklung. Die Dienstleistungen des Unternehmens umfassen sowohl das klassische Metering als auch das Energiedaten-Management für alle Marktrollen sowie den Betrieb der modernen Messeinrichtungen und intelligenten Messsysteme.



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