Freitag, 22. November 2024

KlimaschutzDer Partner kann nur Erdgas sein

[05.04.2013] Wer in Deutschland die CO2-Emissionen kostenoptimal reduzieren will, kommt an Erdgas nicht vorbei. Dies ist das Ergebnis einer Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI). Ist es also Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Energiedebatte?
Verdichterstation: Erneuerbare Energien brauchen Erdgas als Backup.

Verdichterstation: Erneuerbare Energien brauchen Erdgas als Backup.

(Bildquelle: WINGAS)

Die deutsche Energiewende stockt, denn nötige Infrastruktur wird nicht schnell genug geschaffen. Aber ebenso schwer wiegt: Die Energiewende verliert an gesellschaftlicher Akzeptanz, da die Kosten aus dem Ruder laufen. Zunehmend rückt daher in den Fokus der Debatte, dass Energie nicht nur umweltschonend sein muss, sondern auch bezahlbar und damit sozialverträglich. Statt ideologischer Scheuklappen, die – koste es, was es wolle – ein Primat der Erneuerbaren setzen, muss technologie- und marktoffen geprüft werden, wie die CO2-Emissionen am wirtschaftlichsten gesenkt werden können. Denn Klimaschutz steht im Zentrum der Energiewende und stellt neben dem Ausstieg aus der Kernenergie eines der zwei Oberziele dar. Und sobald man diese Frage stellt, wird klar, dass die Erneuerbaren nicht immer die beste Antwort sind. Oft lautet die Antwort: Erdgas.

Studie zur Rolle von Erdgas

Dies belegt eine aktuelle Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI). Die Studie untersucht die Wettbewerbsfähigkeit von Erdgas hinsichtlich CO2-Vermeidung im Wärme-, Strom- und Mobilitätsmarkt. Das Ergebnis: Wer in Deutschland die CO2-Emissionen kostenoptimal reduzieren will, kommt an Erdgas nicht vorbei. Es ist daher Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Energiedebatte. Die CO2-Vermeidungskosten müssen zum Maßstab der Klimapolitik gemacht werden. Wenn diese Kosten niedrig sind, werden die Bürger die Energiewende mittragen. Wenn die Kosten jedoch unabsehbar steigen, wird diese Wende scheitern – und das Ziel der Bundesregierung, die Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken, verkommt zur realitätsfernen Öko-Romantik.

Erzeugung: Gas statt Kohle

Erdgas weist unter allen fossilen Brennstoffen die mit Abstand beste Klimabilanz auf. Demgemäß hat die verstärkte Substitution anderer fossiler Energieträger durch Erdgas seit 1990 den wichtigsten Einzelbeitrag zur CO2-Reduktion in Europa geleistet. Aber die Klimaschutzpotenziale von Erdgas sind noch lange nicht ausgeschöpft: Der CO2-Ausstoß kann weiterhin effizient verringert werden, wenn bei der Energieerzeugung von Kohle auf Gas umgestiegen wird. Im Strommarkt können durch Erdgastechnologien bereits bis 2015 die Emissionen um fast 40 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Selbst für eine Vermeidung von bis zu 65 Prozent CO2 stellt der Wechsel von alten Kohle- zu modernen Erdgaskraftwerken die effizientere Option dar.
Eigentlich ist die steigende Bedeutung von Erdgas im Strommarkt längst auf breiter Ebene erkannt: Denn die erneuerbaren Energien brauchen Erdgas als Backup und langfristigen Partner. Die Praxis der Energiewende spricht bisher jedoch eine andere Sprache. Auch wenn es keiner so wollte, Kohlekraft ist in Deutschland auf dem Vormarsch. So erklärte beispielsweise Dieter Helm, Professor für Energiepolitik in Oxford, Ende 2012 dem Nachrichtenportal Bloomberg: „Deutschland steigt derzeit von Kernkraft auf Kohle und von Gas auf Kohle um – so ziemlich das Schlimmste, was aus der Perspektive des Klimawandels geschehen kann.“ Die aktuellen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft
Energiebilanzen (AGEB) belegen diesen Trend. Während die Produktion von Braunkohlestrom nach Angaben der AGEB zwischen 2011 und 2012 von 150 auf 158 Milliarden Kilowattstunden (kWh) und die Produktion von Strom aus Steinkohle von 112 auf 118 Milliarden kWh gestiegen ist, ist der Stromanteil aus Erdgaskraftwerken gesunken: von 83 Milliarden kWh auf geschätzte 70 Milliarden kWh im Jahr 2012. Aus Sicht des Klimaschutzes eine verkehrte Welt.

Politik muss eingreifen

Zwar bekennen sich seit Fukushima alle großen Parteien zur Bedeutung von Gas im Strommarkt, und Umweltorganisationen wie Greenpeace hatten schon lange vorher eine größere Rolle für Gas gefordert. Aber die traurige Realität ist: Neue Gaskraftwerke werden kaum gebaut. Damit sich Investitionen in hochflexible und effiziente Gaskraftwerke lohnen, müssen die politischen Rahmenbedingungen dringend angepasst werden. Die Betriebszeit der Gaskraftwerke ist insbesondere durch die vernachlässigbaren Betriebskosten der Erneuerbaren – bei gleichzeitig sehr hohen, subventionierten Investitionskosten – auf einen so niedrigen Stand gesunken, dass sich der Betrieb bestehender Anlagen oft kaum lohnt – und schon gar nicht Investitionen in neue Kraftwerke. Hier muss die Politik eingreifen, wenn ihr Klimaschutz wirklich am Herzen liegt.
Die genaue Ausprägung der künftigen Rolle von Erdgas hängt daher auch davon ab, ob – und falls ja: wann – in Deutschland Carbon Capture and Storage (CCS) genutzt wird. Der Einsatz von CCS, also die Abscheidung und unterirdische Speicherung von CO2, ist seit August 2012 in Deutschland gesetzlich geregelt, findet aber in der Öffentlichkeit keine Akzeptanz. Es gibt daher hierzulande kein einziges ernsthaftes Praxisprojekt. Es ist wenig wahrscheinlich, dass diese Technologie in den kommenden 20 Jahren in größerem Umfang eingesetzt wird. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) betrachtet CCS bereits als gescheitert, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Damit bliebe Erdgas auch längerfristig ein zentraler Pfeiler für eine klimafreundliche Stromversorgung. Erdgas ist und bleibt also unverzichtbar, wenn Klimaziele in bezahlbarer Weise erreicht und die schwankende Stromerzeugung der Erneuerbaren dezentral und flexibel ausgeglichen werden sollen. Genau hierfür bieten die Stadtwerke die Infrastruktur.

Klimaschonende Erdgasheizungen

Auch im Wärmemarkt sind erdgasbasierte Systeme in absehbarer Zeit der kosteneffizienteste Weg, um Treibhausgase zu verringern. Klimaschonende und wirtschaftliche Erdgasheizungen – wie etwa Mikro-KWK-Anlagen (Kraft-Wärme-Kopplung) und Brennwertkessel – bilden somit eine wichtige Ergänzung zu Gebäudedämmungen und anderen Ansätzen für mehr Energieeffizienz.
Schon bis 2015 könnten in privaten Haushalten rund 28 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent durch neue Heizungen und Gasbrennwertsysteme eingespart werden. Das entspricht der CO2-Jahresproduktion von 3,5 Millionen Zwei-Personen-Haushalten. Bis 2030 ließen sich auf diese Weise sogar rund 52 Millionen Tonnen CO2 vermeiden. Die Mehrzahl der heutigen Heizungen entspricht nicht mehr dem Stand der Technik und sollte in den kommenden Jahren erneuert werden. Dies bietet ein immenses Potenzial für nachhaltige CO2-Einsparungen. Die Idee einer Abwrackprämie für Heizungen, wie sie bereits diskutiert wird, ist hier sehr hilfreich.
Erdgastechnologie und Gebäudedämmung sind natürlich kein Entweder-Oder. Beide zusammen sorgen für ein Höchstmaß an Klimaschutz und Effizienz. Gebäudesanierungen können den Energiebedarf privater Haushalte bis 2030 signifikant senken. Im Falle einer Sanierungsrate von einem Prozent prognostizieren die Experten, dass sich der Bedarf um 100 Terawattstunden (TWh) pro Jahr verringert. Von dieser Reduzierung entfielen etwa 17 TWh auf Erdgas. Bei einer dreiprozentigen Sanierungsrate würde der Energiebedarf um insgesamt 150 TWh im Jahr zurückgehen, mit einer Verringerung des Erdgasabsatzes um 28 TWh.
Die Anzahl der Gebäude mit erdgasbasierten Heiztechnologien wird dagegen bis 2030 ansteigen. Als eine besonders wichtige Effizienztechnologie gelten gasbasierte Mikro- und Klein-KWK-Anlagen. Ölbasierte Technologien gehen dagegen weiter zurück, Holzpellet-Heizungen verbleiben auf geringem Niveau, während Wärmepumpen voraussichtlich vermehrt eingesetzt werden. Weitere wichtige Effizienztechnologien für eine dezentrale erdgasbasierte Energieerzeugung sind solargestützte Gas-Brennwert-Systeme und Brennstoffzellen. Durch diese Technologien wird Erdgas auch im Wärmemarkt weiterhin eine zentrale Rolle spielen, um den CO2-Ausstoß zu verringern.

Investitionen in Erdgasfahrzeuge

Ein dritter wichtiger Bereich, neben Wärme und Strom, ist der Transport- und Mobilitätssektor. Auch hier bietet Erdgastechnologie enorme Potenziale, um kosteneffizient Emissionen zu senken – und zwar ohne Abstriche in Reichweite und Fahrkomfort. Falls bis 2030 ein Fünftel der deutschen Fahrzeugflotte von ölbasierten Kraftstoffen auf Erdgas umgestellt würde, ließen sich jährlich bis zu 20 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent vermeiden. Zum Vergleich: Das entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoß von 2,5 Millionen Zwei-Personen-Haushalten. Die Kohlendioxid-Emissionen von Erdgasfahrzeugen liegen bis zu 23 Prozent unter denen benzinbetriebener Gefährte. Erdgasmobilität ist bereits erprobt und verfügbar – und wird zunehmend auch bei Lkw und Schiffen eingesetzt.
Um Erdgas als Kraftstoff noch weiter zu stärken, wäre es zum Beispiel ein wichtiges Zeichen, die Steuererleichterungen für Erdgasfahrzeuge über das Jahr 2018 hinaus zu verlängern und auch bei Nutzfahrzeugen Anreizsysteme für die Einführung von Gasantrieben zu schaffen. Auch im Mobilitätssektor ist es an der Zeit, dass die Politik Farbe bekennt und wirksam Klimaschutz betreibt.

Erdgas ist die Ergänzung

Die deutsche Energiewende ist weltweit zum Schlagwort geworden und für viele ein Hoffnungsträger. Auf dem Papier klingt die Geschichte einfach: Deutschland steigt aus der Atomkraft aus und setzt auf erneuerbare Energien. Schon 2020 sollen die Erneuerbaren bis zu 90.000 Megawatt Strom erzeugen. Sonne, Wind und Wasser schwanken jedoch in ihrer Energieerzeugung – und oft schwanken sie am Bedarf vorbei. Daher brauchen sie einen Partner, der diese Fluktuationen flexibel ausgleicht. Dieser Partner kann nur Erdgas sein. Denn Erdgas ist klimafreundlich, sicher und günstig verfügbar. Gas ist hierbei weit mehr als nur ein Wegbereiter. Es ist vielmehr ein Garant für Versorgungssicherheit auch im Zeitalter der Erneuerbaren. Eine Energieform, die wir dauerhaft für Wärme, Strom und Mobilität brauchen. Allerdings: Dafür muss etwas getan werden.
Die deutsche Energiewende wird scheitern, wenn Netze und Speicher nicht zügig ausgebaut werden und sich der Bau neuer Gaskraftwerke weiter ins Irgendwann verschiebt. Um die Infrastruktur fit zu machen, ist ein zweistelliger Milliardenbetrag nötig. Die vergangenen Jahre zeigen jedoch: Die Investitionen bleiben aus. Das ist kein Wunder. Denn Gaskraftwerke sind oft nicht rentabel, weil der dort produzierte Strom durch hochsubventionierten erneuerbaren Strom verdrängt wird. Zudem ist der deutsche Energiemarkt überreguliert, Investitionen etwa in neue Gasleitungen rechnen sich nicht bei einer Rendite von nur vier Prozent. Hier sind politische Weichenstellungen nötig. Sonst drohen Deutschland künftig regelmäßig Versorgungsengpässe wie im vergangenen Winter, als eine stabile Versorgung über das Stromnetz in Süddeutschland gefährdet war. Dabei gab es jedoch Gas zur Genüge in den Speichern. Was fehlte, waren Transportkapazitäten.

Lösung für das Speicherproblem

Nicht nur durch die Flexibilität der Gaskraftwerke ist Erdgas der ideale Partner der erneuerbaren Energien. Die Gas-Infrastruktur kann darüber hinaus auch helfen, ein weiteres Grundproblem der Energieversorgung zu lösen: das Speicherproblem von Strom aus regenerativen Quellen. So lässt sich überschüssiger Ökostrom durch Elektrolyse in Wasserstoff umwandeln sowie weiterführend in erneuerbares Methan. Diese Energieträger wiederum lassen sich in den Gasnetzen speichern, transportieren und nach Bedarf für Strom, Wärme und Mobilität verwenden. Bislang steckt diese Power-to-Gas-Technologie noch in den Kinderschuhen. Aber sie bahnt den Weg, Strom und Gas noch cleverer zu vernetzen.
Zu welchen Anteilen künftig natürliches Erdgas oder erneuerbares Gas genutzt wird, kann heute keiner sagen. Sicher ist nur: Der Energieträger Gas wird auch künftig eine zentrale Rolle spielen, wenn die Energiewende gelingen soll. Investitionen in Gasspeicher und -netze sind daher notwendig und zukunftsflexibel. Diese Investitionen werden aber nur getätigt, wenn sie sich rechnen. Hier braucht die Wirtschaft politische Unterstützung. Nötig ist ein Markt-Design, das es attraktiv macht, in Gas zu investieren. Bislang wird über die Bedeutung von Gas zwar viel geredet, in der Praxis werden die Potenziale aber verschenkt. Erdgas kann und muss einen wesentlichen Beitrag leisten, die Energiewende mit Augenmaß zu gestalten. Denn ohne Erdgas wird die Energiewende unbezahlbar.

Dr. Gerhard König ist seit Oktober 2009 Mitglied des Vorstands von Wintershall und Sprecher der Geschäftsführung von WINGAS.


Stichwörter: Erdgas, WINGAS, Gerhard König


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