Montag, 23. Dezember 2024

DigitalisierungDer digitale Energieversorger

[18.06.2015] Effizientere Prozesse, neue Produkte und Dienstleistungen – für kommunale Versorger bietet die Digitalisierung viele Chancen. Dazu müssen sie neue Kompetenzen aufbauen und sich Partner suchen. Denn die Wettbewerber der Zukunft heißen Google oder Amazon.
Geschäftsmodelle und Unternehmenskultur kommunaler Versorger stehen vor einem radikalen Wandel.

Geschäftsmodelle und Unternehmenskultur kommunaler Versorger stehen vor einem radikalen Wandel.

(Bildquelle: PEAK Agentur für Kommunikation)

Nach der Energiewende stellt die Digitalisierung einen weiteren Paradigmenwechsel für die Energiewirtschaft dar. Die Herausforderung: Aus reinen Infrastrukturbetreibern und Versorgern müssen agile Dienstleister werden. Vor allem in neuen Geschäftsfeldern wie Smart Home prägen außerdem zunehmend die großen Versorger, etwa E.ON und RWE, sowie branchenfremde Akteure den Wettbewerb um die Kunden. Gerade kommunale Energieversorger könnten hier jedoch mit ihren Stärken punkten, etwa der Kundennähe und einem tiefen Verständnis für den lokalen Markt. So wird die digitale Zeitenwende wohl auch zu einer Konsolidierung des Marktes führen: Wer als Versorger keine digitale Strategie hat und den Aufbau der nötigen technologischen Infrastruktur nicht stemmen kann, droht den Anschluss an die großen Konzerne zu verlieren. Die Kooperation mit anderen Stadtwerken, aber auch mit Unternehmen aus energienahen Branchen, wird daher an Bedeutung gewinnen.

Aufbau digitaler Kompetenz

Den größten Teil ihrer Erlöse erwirtschaften die Versorger heute mit der Erzeugung und Bereitstellung von Energie für ihre Kunden – sei es als Netzbetreiber im regulierten Bereich oder als herkömmlicher Strom- und Gasvertrieb. Die fortschreitende Digitalisierung der Energiewirtschaft – nicht zuletzt dank des Durchbruchs vernetzter Haustechnik – wird diese Welt auf den Kopf stellen. Ein solcher Wandel ruft neue Konkurrenz auf den Plan, das zeigt die Erfahrung aus anderen Branchen sehr deutlich. Hier sei beispielhaft die Bedrohung der Finanzindustrie durch das Bezahlen mit Smartphones genannt.
In anderen Branchen ist die Digitalisierung schon lange Realität. Das gilt für alle Dimensionen, angefangen bei der Interaktion mit den Kunden über die Geschäftsprozesse bis hin zu neuen digitalen Geschäftsmodellen. Der Energiesektor steht in diesen Fragen hingegen noch am Anfang. Sicher, der Stromtarif lässt sich heute über Online-Portale auswählen und auf Vertragsdetails kann der Kunde schnell via App zugreifen. Dabei handelt es sich aber oft nur um neue Kanäle, um auf die bisherigen Energieprodukte im modernen Gewand zugreifen zu können. Eine echte Verzahnung von digitalen Angeboten und den Produkten findet kaum statt. Hier liegt die Chance für den digitalen Energieversorger: Er versteht die Bedürfnisse des Kunden auch jenseits seiner althergebrachten Energieprodukte und ist in der Lage, ihm innovative Produkte und Dienstleistungen auf Basis neuer intelligenter Technologien anzubieten. Gleichzeitig kann der Versorger diese durch digitale Unternehmensprozesse deutlich effektiver und schneller bereitstellen. Dafür bieten insbesondere datengetriebene Geschäftsmodelle ein großes Potenzial, die auf der Auswertung und Verknüpfung einer großen Menge von Energie- und anderen Nutzerdaten basieren.

Google als Wettbewerber

Kurzum: Der digitale Energieversorger muss sich einem kompletten Kulturwandel verschreiben, weg vom reinen Infrastrukturbetreiber mit langen Planungszyklen und hin zum agilen Energiedienstleister. Und das alles in einer Welt, die auf der einen Seite von dezentralen Strukturen geprägt, andererseits aber zunehmend vernetzt ist. In dieser neuen Welt wird sich der Akteur durchsetzen, der den Zugang zum Kunden hat und ihm integrierte Angebote für all seine Energiebedürfnisse machen kann. Das müssen im Zeitalter der Digitalisierung nicht zwangsweise die Versorger sein. Insbesondere der ab 2017 in Deutschland geplante Roll-out intelligenter Zähler und Messsysteme sowie der Einzug intelligenter Hausgeräte und vernetzter Haustechnik bieten auch anderen Akteuren viele Kontaktpunkte zum Energiekunden.
Diese neuen Wettbewerber – wie Google oder Amazon – können auf vorhandene Kompetenzen in der Datenverarbeitung und -auswertung bauen. Solche Fähigkeiten sind ein wichtiger Baustein auf dem Weg in die digitale Energiewirtschaft, bei vielen kommunalen Versorgern sind sie aber noch nicht ausgeprägt. Die neue Konkurrenz ist zudem in der Lage, den Kunden personalisierte Angebote mit einem hohen Nutzerkomfort zu machen. Außerdem pflegen sie einen ganz anderen Umgang mit Informationen als Wert an sich. Hier können die Energieversorger noch einiges dazu lernen: Nicht nur das Produkt, auch der Datensatz hat einen kommerziellen Wert. Durch die Verknüpfung der unterschiedlichen Informationen steigt dieser Wert sogar.

Vernetzt in die Zukunft

Die Vernetzung von Produkten und Dienstleistungen, auch mit denen von Partnerunternehmen, führt letztlich zu einem höheren Komfort für die Endkunden. Gerade hier kommt den Stadtwerken zugute, dass sie bereits seit Langem ein essenzieller Bestandteil der lokalen Infrastruktur sind. Sie kennen die Bedürfnisse und Rahmenbedingungen vor Ort und sind in der Lage, etwa kleine lokale Produzenten mit ansässigen Gewerbeparks und Fabriken zu vernetzen. Weiterhin stehen sie im engen Austausch mit kommunalen Großabnehmern, denen sie durch gezielte energienahe Dienstleistungen helfen können, ihre Verbrauchskosten zu senken. Ein Beispiel dafür ist, die Heizungen von Schulen mithilfe ferngesteuerter Thermostate entlang der Stundenpläne auszusteuern.#bild2
Wegen der strengen Datenschutzanforderungen sind die Möglichkeiten zur kommerziellen Weiternutzung der Daten aus intelligenten Zählern, den Smart Metern, bisher begrenzt. Allein durch die Vernetzung von Hausgeräten und Haustechnik ergeben sich aber neue Datenpunkte, die nicht in der Hand der Versorger liegen und auf die auch neue Marktakteure Zugriff haben. Das zeigt sich insbesondere bei integrierten Smart-Home-Produkten und den damit verbundenen Kommunikationswegen. Hier stehen Energieversorger wie E.ON mit ihren Produkten zur Verbrauchsermittlung von Haushaltsgeräten in direkter Konkurrenz zu Start-ups, die flexibel und agil handeln. An dieser Stelle können die kommunalen Versorger ebenfalls auftrumpfen: Dank ihrer lokalen Präsenz und ihrer überschaubaren Organisationsstruktur können sie schnell auf geänderte Anforderungen in der Region eingehen und neue Angebote am Markt etablieren. So kann der kommunale Energieversorger beispielsweise gezielt die Ansiedlung neuer Gewerbeparks unterstützen, indem er innovative Ansätze zum Last-Management dieser Gewerbeimmobilie entwickelt und bereitstellt. Eine andere Möglichkeit wäre die Umsetzung spezieller Smart-Home-Pakete für die kommunale Wohnungswirtschaft.
Wollen die Stadtwerke das Feld nicht einfach der neuen Konkurrenz überlassen, müssen sie sich frühzeitig auf ihre Stärken besinnen und sich als Experten für alle energienahen Dienstleistungen in der Region positionieren. Gegenüber der Konkurrenz haben sie den Vorteil, dass sie einen Vertrauensvorschuss beim Kunden genießen. So hat eine Studie von Accenture jüngst gezeigt, dass Verbraucher bei Lösungen für das vernetzte Heim eher das Angebot eines Energieversorgers als das eines Internet-Unternehmens wie Google nutzen würden. Stadtwerke verfügen darüber hinaus über langjährige Kundenbeziehungen und können neue Angebote besser am Markt platzieren.

Neue Unternehmenskultur

In Zeiten der Digitalisierung muss sich auch die Unternehmenskultur der Versorger von Grund auf ändern. Früher standen oft eine langfristige Planung und eine ingenieursgetriebene Herangehensweise im Vordergrund. Heute zählen Experimentierfreudigkeit und die Einsicht, dass nicht jedes Pilotprojekt von Erfolg gekrönt sein wird. Weiterhin müssen die Kundenbedürfnisse der Ausgangspunkt aller Überlegungen sein, an denen sich die Produkte und Dienstleistungen orientieren.
Das gilt umso mehr für die regionalen und lokal agierenden Energieversorger, die ohnehin schon nah am Kunden sind und dessen Bedürfnisse nun durch neue technische Möglichkeiten noch besser verstehen und bedienen können. Hierbei ist es besonders wichtig, ein Verständnis für die spezifischen Kundengruppen zu entwickeln und diese mit gezielten Angeboten zu adressieren. Das Spektrum ist groß: Vom Kleineinspeiser, der Hilfe bei der Projektierung und Steuerung seiner Kraft-Wärme-Kopplungsanlage benötigt, bis hin zu den Kommunen, denen die Versorger etwa Angebote zur Überwachung der Straßenbeleuchtung mit intelligenten Sensoren machen können.
Digitalisierung beschränkt sich aber nicht nur auf die Endprodukte für den Kunden. Vielmehr müssen die Energieversorger auch die nötige Infrastruktur aufbauen und diese effizient betreiben. Dazu gehört zum einen die eigene IT-Infrastruktur, die auf die Erfassung und Verarbeitung großer Datenmengen für Netz und Vertrieb ausgelegt sein muss, gleichzeitig aber flexibel und schnell auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren sollte. Zum anderen verändert sich die grundsätzliche Netzinfrastruktur, etwa durch den bevorstehenden Roll-out intelligenter Messsysteme. Zwar zieht sich die Einführung der Smart Meter über einen längeren Zeitraum hin, die Investitionen dafür müssen aber schon heute getätigt werden, um frühzeitig eine skalierbare und funktional vollständige Infrastruktur nutzen zu können.

Kooperationspartner suchen

Die Herausforderung besteht für die kommunalen Versorger nicht nur darin, diese Investitionen in die digitale Zukunft finanziell zu stemmen, sondern auch in der Öffnung gegenüber Partnern. Es ist unmöglich, in allen Bereichen die nötigen Kompetenzen alleine aufzubauen. Daher ist die Zusammenarbeit mit externen, spezialisierten Partnern unvermeidbar.
Für die kommunalen Energieversorger tun sich durch die Digitalisierung viele Chancen durch effizientere, effektivere Prozesse und neue Produkte und Dienstleistungen auf. Sie müssen allerdings ihre Geschäftsmodelle und ihre Unternehmenskultur einem radikalen Wandel unterziehen und neue Kompetenzen insbesondere im Datenumgang aufbauen. Durch die klare Fokussierung und Begrenzung ihrer Leistungstiefe mit Partnern müssen sie sicherstellen, dass dieser Umbruch sich auch nachhaltig profitabel auswirkt. Der Wind wird in jedem Fall eisiger: Wer sich im Zeitalter der Digitalisierung und des Internets der Dinge dem härter werdenden Wettbewerb und erodierenden Margen im Vertrieb nicht stellen will oder kann, sollte ernsthaft in Erwägung ziehen, sich strategisch auf das regulierte Geschäft und die Erzeugung zu beschränken.

Ralph C. Trapp

Trapp, Ralph C.Ralph C. Trapp ist verantwortlicher Geschäftsführer des Bereichs Energiewirtschaft bei Accenture für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Beratung mit Schwerpunkt Chemieindustrie und Energiewirtschaft.



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