InterviewDen Energiewende-Turbo einlegen
Frau Andreae, das Motto des diesjährigen BDEW Kongresses lautet „Wir. Erreichen. Mehr.“ Wer darf sich als Wir angesprochen fühlen?
Wir – das sind wir alle: Die Energieunternehmen, die Industrie und auch die Politik, die wir zusammen an diesem großartigen Zukunftsprojekt arbeiten. Als BDEW können wir natürlich nur für die Energiewirtschaft sprechen und wollen deutlich machen, dass diese Ermöglicher von Veränderungen ist. Sei es bei der Elektromobilität, der Dekarbonisierung der Industrie, dem Erreichen der Klimaziele, der Versorgung mit Strom, Gas und Wärme oder dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft: Die Transformationsprozesse, die jetzt national und europäisch angestoßen werden, funktionieren nur mit der Energiewirtschaft.
Im vergangenen Jahr wurde der BDEW Kongress abgesagt. Nun findet er als Präsenzveranstaltung und virtuell statt. Welche Lehren zieht der BDEW als Veranstalter aus der Corona-Krise?
Wir ziehen eine positive Bilanz, auch wenn der Weg zwischendurch nicht einfach war. Den BDEW Kongress 2020 mussten wir schweren Herzens absagen. Wir haben dann aber erfolgreich im September die hybride Veranstaltung WIR.MACHEN.MÖGLICH. durchgeführt. Für das Jahr 2021 haben wir uns entschieden, den BDEW Kongress vom Juni in den September zu verschieben und das hybride Format beizubehalten. Ein Programmpunkt ist im Juni jedoch geblieben: Der BDEW-Talk ´Zentrale Weichen stellen! Energiepolitik zur Bundestagswahl` mit der Spitzenkandidatin und den -kandidaten fand als Live-Stream statt. Die sehr gute Resonanz von über 2.000 Live-Zuschauerinnen und Zuschauern und schon jetzt mehr als 3.000 Aufrufen in unserem YouTube-Kanal machen uns sehr stolz. Diese Erfahrungen zeigen, dass je nach Format und Zielsetzung alle drei Möglichkeiten funktionieren: rein digital, hybrid und natürlich live vor Ort. Meine Präferenz ist aber klar: Die persönliche Begegnung ist die beste Form des Austauschs.
Als eine ihrer letzten Amtshandlungen wird die Bundeskanzlerin auf dem BDEW Kongress sprechen. Angela Merkel galt ja mal als Klimakanzlerin. Wie beurteilen Sie die Energie- und Klimapolitik in der Ära Merkel?
Als Angela Merkel vor 16 Jahren Bundeskanzlerin wurde, lebten wir noch in einer völlig anderen Energiewelt. Damals stammten gerade einmal zehn Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien. Dass wir heute so viel weiter sind, liegt unter anderem daran, dass Frau Merkel Klimapolitik zunächst weit oben auf die Agenda gesetzt hat. Als Naturwissenschaftlerin war ihr die Dringlichkeit dieses Themas bewusst. Mit dem Pariser Klimaabkommen, dem Kohlekompromiss und der Einführung der CO2-Bepreisung fielen viele wichtige Weichenstellungen der Klimapolitik in ihre Amtszeiten. Natürlich hätten wir uns an vielen Stellen mehr Tempo und ein ambitionierteres Handeln im Umbau der Energieversorgung gewünscht. Auch die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke war aus meiner Sicht ein Fehler. Zusammenfassend kann man aber sagen, dass es in der Ära Merkel viele Fortschritte in der Energiepolitik gab.
Der Klimaschutz ist auf der politischen Agenda – nicht zuletzt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts – ganz nach vorn gerückt. Wird das Thema die Bundestagswahl entscheiden – oder ist den Bürgern der Benzinpreis doch wichtiger?
„Die Transformationsprozesse funktionieren nur mit der Energiewirtschaft.“
Klimapolitik ist eines der zentralen Themen bei dieser Bundestagswahl: In einer BDEW-Umfrage gaben mehr als zwei Drittel der Befragten an, dass sie Energie- und Klimapolitik als ein wichtiges oder sehr wichtiges Thema für die nächste Bundesregierung sehen. Entscheidend ist aber nicht, was in den Wahl-Programmen der Parteien steht, sondern dass aus den Ankündigungen nach dem 26. September konkrete Maßnahmen werden, die dann auch zeitnah umgesetzt werden. Wir erwarten von der nächsten Bundesregierung – unabhängig aus welchen Farben sie besteht – dass sie den Energiewende-Turbo einlegt.
Beim BDEW heißt es: Klimaschutz entsteht nicht durch Ziele, sondern durch Investitionen. Wieviel hat die Energiewirtschaft bereits investiert – und wieviel muss noch folgen?
Energieunternehmen zählen zu den bedeutendsten Investoren im Land. Fast 16 Milliarden Euro pro Jahr haben sie zuletzt investiert. Und die Unternehmen der Energiewirtschaft möchten auch weiterhin in eine nachhaltige Energieversorgung investieren. Damit treiben sie nicht nur die Energiewende voran, sondern tragen auch zur Wertschöpfung vor Ort bei. So hat eine Studie von EY im Auftrag des BDEW im vergangenen Jahr gezeigt, dass bereits die Energiewende-Maßnahmen für die ursprünglich geltenden Klimaziele bis 2030 Investitionen der Wirtschaft in Höhe von insgesamt 320 Milliarden Euro auslösen. Hierfür ist es aber essenziell, dass die Investitionsbereitschaft der Unternehmen schnell in reale Investitionen umgesetzt werden kann und nicht weiter durch regulatorische Hemmnisse gebremst wird.
Wichtige Akteure beim Klimaschutz sind die Kommunen. Wie hat sich die Rolle der Stadtwerke bei der kommunalen Energiepolitik verändert?
Stadtwerke gelten heute, noch stärker als in der Vergangenheit, als Innovationstreiber: Neben der Daseinsvorsorge sind viele Stadtwerke in neuen Geschäftsfeldern aktiv. Dazu gehören zum Beispiel Energieberatung, Energie-Contracting in Kooperation mit der Industrie und Wohnungswirtschaft, die Errichtung und der Betrieb der Lade-Infrastruktur für Elektroautos sowie die Bereitstellung von Carsharing-Angeboten. Auch mit der Entwicklung von Smart-City-Anwendungen beschäftigen sich heute schon zahlreiche Stadtwerke.
Wie können sich die kommunalen Unternehmen in einer Energiewelt im Wandel zukunftssicher aufstellen?
Energiewende und Digitalisierung führen auch in den Stadtwerken zu Veränderungen. Entscheidend ist, dass sie diese Veränderungen mitgehen und für sich nutzen. Es geht längst um mehr als den Verkauf von Energieprodukten. Geschäftsmodelle weiten sich immer stärker hin zum Bereich der Dienstleistungen und den Verkauf von Komplettlösungen aus. Dazu gehören Energieberatung und Pakete wie beispielsweise Kauf, Installation und Betrieb von Solaranlagen. Stadtwerke haben den direkten Draht zum Kunden und kennen die Gegebenheiten vor Ort. Damit sind sie prädestiniert dafür, Hausbesitzer und Kommunen zu beraten, für eine klimafreundliche Energieversorgung zu begeistern und die Energiewende vor Ort umzusetzen. Sie darin zu unterstützen und regulatorische Bremsen zu lösen, ist Aufgabe der Politik.
Welche politischen Rahmenbedingungen muss die neue Bundesregierung aus Sicht des BDEW schaffen, damit Klimaneutralität erreichbar ist?
Es reicht nicht, Ziele zu setzen, wir brauchen eine Übersetzung dieser Ziele in konkrete Instrumente. Daran mangelt es leider bisher. Die neue Bundesregierung muss einen Rahmen schaffen, der Investitionen in die Energiewende erleichtert: Wir brauchen schnelle und einfachere Planungs- und Genehmigungsverfahren, mehr Flächen für Windräder und Photovoltaikanlagen und eine investitionsfreundliche Netzregulierung, die den Unternehmen den Spielraum gibt, die zusätzlichen Anforderungen durch die verschärften Klimaziele zu bewältigen. Gleichzeitig muss die Politik die Weichen für eine ambitionierte Industrie-, Verkehrs- und Wärmewende stellen. Ohne zusätzliche CO2-Einsparungen auch in diesen Sektoren bleibt der Weg Richtung Klimaneutralität versperrt.
Dieser Beitrag ist im Spezial der Ausgabe Juli/August 2021 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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