InterviewDas Rückgrat der Erzeugung
Herr Liesner, welche Rahmenbedingungen müssen aus Sicht des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung geschaffen werden, um die Klimaziele zu erreichen?
Nicht nur aus KWK-Sicht gilt: Bei allen politischen Entscheidungen müssen das Prinzip der Technologieoffenheit und der Aspekt Efficency First berücksichtigt werden. Denn Energie, die nicht verbraucht wird, trägt am meisten zum Klimaschutz bei. Allerdings stellen wir fest, dass bei der aktuellen Diskussion über die All-Electric-Society, in der regenerativ erzeugter Strom die zentrale Energieform ist, zu wenig an die Versorgungssicherheit gedacht wird. Gerade in Deutschland muss auch nach dem Kohle- und Atomausstieg die Residuallast abgedeckt werden. Allein mit Strom aus Wind und Sonne ist das nicht zu schaffen. Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen spielen hier eine zentrale Rolle. Die KWK kann Versorgungssicherheit mit Klimafreundlichkeit in Einklang bringen.
Im Klimaschutz-Sofortprogramm der Bundesregierung sind auch Änderungen im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) enthalten. Wie bewerten Sie die Regelungen?
Aus Sicht des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung ist es positiv, dass endlich etwas Ruhe in die Gesetzeslage zur KWK einkehren kann und unsere Bemühungen im Dialog mit der Bundespolitik, insbesondere zur Korrektur der Übergangsfrist und für die Regelungen zum Biomethan, erfolgreich waren.
In einem Whitepaper von 2G Energy heißt es, dass eine intelligente Sektorkopplung unter Einbeziehung der Gas-Infrastruktur das Erreichen der Klimaziele ermöglicht. Können Sie das näher erläutern?
Beim Erreichen der Klimaziele muss das Zieldreieck der Energiewirtschaft beachtet werden: Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Hier kommt das Erdgasnetz ins Spiel, das über eine Speicherkapazität von 220 Terawattstunden verfügt. Aus erneuerbaren Energien erzeugter Wasserstoff kann hier in großen Mengen gelagert und saisonal nach Bedarf entnommen werden. Viele Leitungen sind für die Umrüstung auf 100 Prozent Wasserstoff geeignet, sodass ein schrittweiser Übergang in das regenerative Zeitalter auf Basis einer bestehenden Infrastruktur realisiert werden kann.
Wie unterstützt die Kraft-Wärme-Kopplung die Dekarbonisierung der Energieerzeugung?
Wenn die großen, zentralen Kraftwerke vom Netz gehen, bilden dezentrale KWK-Anlagen das Rückgrat der Energieversorgung. Aufgrund der gleichzeitigen und hocheffizienten Produktion von Strom und Wärme tragen auch erdgasbetriebene Kraftwerke dazu bei, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Zudem kann Wasserstoff, der beispielsweise aus überschüssigem Windstrom erzeugt wird, in KWK-Anlagen genutzt werden. Der wesentliche Vorteil: Diese Kraftwerke sind steuerbar und können innerhalb von Sekunden hochgefahren werden. Das zeigte sich übrigens Anfang dieses Jahres, als es eine große Störung im europäischen Stromnetz gab. Damals lieferten dezentrale KWK-Anlagen mehrere Gigawatt zur Stabilisierung des Stromnetzes.
Was ist heute zu beachten, damit Investitionen in neue KWK-Anlagen langfristig gesichert sind?
Elementar für die Zukunftssicherheit ist, dass die Anlagen auch grüne Gase nutzen können. Anlagen von 2G Energy etwa können sowohl mit Erdgas als auch mit Biogas betrieben werden. Wir haben Kunden, die selbsterzeugtes Biogas nutzen. Wenn hiervon nicht genug zur Verfügung steht, schalten sie einfach auf Erdgas um. Außerdem sollten KWK-Anlagen auf den Betrieb mit Wasserstoff umgerüstet werden können.
„KWK bringt Versorgungssicherheit mit Klimafreundlichkeit in Einklang.“
2G Energy wirbt damit, dass seine Blockheizkraftwerke (BHKW) H2-ready sind. Welche Entwicklungsarbeit musste geleistet werden, damit auch Wasserstoff eingesetzt werden kann?
Wir haben schon vor zehn Jahren mit der Entwicklung von Wasserstoff-BHKW begonnen – das kommt uns nun zugute. Die technischen Unterschiede sind in erster Linie den abweichenden physikalischen Eigenschaften von Wasserstoff geschuldet. Neben der Anpassung des Verdichtungsverhältnisses durch die Nutzung anderer Kolben, besteht der wesentliche Unterschied vor allem im Prozess der Gemischbildung vor der Verbrennung. Während im regulären Erdgas- oder Biogasbetrieb die externe Gemischbildung im Gasmischer und vor der Verdichtung stattfindet, erfolgt diese im Wasserstoffbetrieb erst direkt vor dem Brennraum. Unsere bisher installierten Wasserstoff-BHKW können jedoch auch problemlos mit 100 Prozent Erdgas betrieben werden. Standard Erdgas-BHKW wiederum ermöglichen einen Wasserstoffanteil von bis zu 40 Prozent.
Wie sieht aus Ihrer Sicht die Energieversorgung von morgen aus – und welche Rolle nimmt dabei die Kraft-Wärme-Kopplung ein?
Der Strombedarf wird weltweit stark ansteigen. Die Stichworte lauten: Digitalisierung, Elektrifizierung der Wärmeerzeugung und Elektromobilität. Wind- und Solarenergie werden künftig die zentralen Eckpfeiler der Energieversorgung sein. Aber sie stehen nur schwankend zur Verfügung. Wie eingangs erwähnt, sind Energiespeicher nötig und Teil einer regenerativen Speicherlösung sind die Erdgasnetze. Dezentral installierte KWK-Anlagen wiederum lösen mehrere Probleme eines künftigen Energiesystems. Sie liefern Strom und Wärme, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint und tragen so zur Netzstabilität bei. Die hohen Wirkungsgrade machen den Betrieb wirtschaftlich, egal welche Gasarten genutzt werden. Die hocheffiziente und ressourcenschonende Nutzung von Erdgas sichert die Versorgungssicherheit während des Übergangs zur kompletten Klimaneutralität. Da bereits installierte KWK-Anlagen auf grüne Gase umgerüstet werden können, macht die Nutzung von Wasserstoff das BHKW zum klimaneutralen und gleichzeitig bedarfsgerechten Energielieferanten. Um es nochmals deutlich zu sagen: Kraft-Wärme-Kopplung ist die Rückgrat-Technologie einer zu 100 Prozent erneuerbaren Energiewelt der Zukunft.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juli/August 2021 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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