Agora EnergiewendeDas Energiesystem wird dezentraler
Die Denkfabrik Agora Energiewende hat jetzt den Sammelband Energiewende und Dezentralität veröffentlicht, an dem sowohl eigene Experten als auch hinzugezogene Fachleute gearbeitet haben. Ein Ergebnis der Analyse ist, dass sich die Dezentralität mit der Energiewende zu einem dauerhaft prägenden Strukturmerkmal des Energiesystems entwickelt, diese Entwicklung aber nicht mehr zu dem bisherigen Konzept einer ausschließlich zentralen Steuerung mit immer mehr Netzausbau kompatibel ist. Dabei treiben die Schlüsseltechnologien der Energiewende wie Wind, Solar, Batteriespeicher und Digitalisierung einerseits sowie in der Gesellschaft verankerte politische, ökonomische und soziale Präferenzen für Eigenversorgung und Regionalität andererseits die Entstehung dezentraler Strukturen voran, folgert Agora. Deshalb benötigt das neue Strom- und Energiesystem laut dem Think Tank einen eigenen Ordnungsrahmen für Dezentralität. Dieser müsse Ordnung in das Chaos im Bereich der dezentralitätsbedingten Ausnahmen bei Entgelten, Steuern, Abgaben und Umlagen bringen.
Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende, sagt: „Dezentralität ist kein Wert an sich. Aber angesichts von dauerhaft erwartbaren Netzengpässen und aufgrund von sozialen oder politischen Präferenzen für Regionalität können dezentrale Strukturen Mehrwert generieren.“ Allerdings fehle ein entsprechender Rahmen, in dem dezentrale Lösungen den zentralen Strommarkt sinnvoll ergänzen können. Vorteile sieht Agora Energiewende im vermiedenen Netzausbau – hierfür fehle jedoch bisher ein monetäres Maß – oder in der Befriedigung des Bedürfnisses nach Regionalität, für das es ebenfalls keinen Marktrahmen gebe.
Stromregionen gefordert
In dem Sammelband werden die nach Auffassung der Autoren sechs prägenden Aspekte des Themenfeldes beleuchtet. Diese seien die Rolle der Eigenversorgung, die regionale Verteilung von Stromerzeugung und -verbrauch, die regionale Vermarktung von Ökostrom, regionale Smart Grids und Smart Markets, die Rolle kleiner Akteure mit dem Fokus auf der Bürgerenergie und schließlich die Rolle kommunaler Energieversorgung.
Diese Aspekte werden wiederum in Bezug auf das Stromnetz sowie in ihrer ökonomischen, sozialen und politischen Dimension analysiert. Es werden Chancen und Risiken abgeleitet und hieraus erste Handlungsvorschläge unterbreitet. Als Konsequenz fordert Graichen, das Stromsystem perspektivisch in eine klare Struktur aus drei Ebenen zu überführen, für die Abgaben und Umlagen gesondert geregelt sind. Dies wären eine untere Ebene, in der Strom vor Ort und ohne Rückgriff auf das öffentliche Netz erzeugt und verbraucht wird – so genannter Eigenverbrauch/Mieterstrom –, eine mittlere Ebene innerhalb einer Stromregion und schließlich eine überregionale, auch transnationale Ebene für den überregionalen Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch. Neu an dem Konzept sei vor allem die Einrichtung von Stromregionen, in denen bei Netzengpässen ein regionaler Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch stattfindet und neue regionale Märkte entstehen können.
Jetzt sei die Politik gefordert, so Graichen: „Eine zukunftsfähige Energiewendepolitik muss die Dezentralitätskomponente als wichtiges neues Strukturelement der Energiewirtschaft aktiv gestalten und sie zügig in den energiewirtschaftlichen Regulierungsrahmen integrieren.“
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