ForschungBioenergiedörfer haben Zukunft
Bioenergiedörfer sind in ländlichen Kommunen die Vorreiter für die Wärmewende. In den mehr als 200 Bioenergiedörfern Deutschlands, die bei der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe gelistet sind, werden mindestens 50 Prozent der benötigten Strom- und Wärmeenergie durch Bioenergie regional erzeugt und die Wärme über ein Nahwärmenetz an die Haushalte sowie kleine und mittlere Unternehmen geliefert. Vielfach wurden Bürgergenossenschaften gegründet, welche die Energieanlagen finanziert haben und betreiben. Das Ende der 20-jährigen Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) erfordert nun kreative Ideen für den Weiterbetrieb. Das Forschungsprojekt „Innovative Konzepte und Geschäftsmodelle für zukunftsfähige Bioenergiedörfer – klimafreundlich, demokratisch, bürgernah“ der Universitäten Kassel und Göttingen zeigt Perspektiven auf.
Fokussierte das ursprüngliche Konzept vor rund 20 Jahren auf der Energiebereitstellung durch Biomasse, haben sich die Bioenergiedörfer inzwischen weiterentwickelt und in erneuerbare Energien wie Solarthermie, Photovoltaik und Windkraft investiert, die sinnvollerweise künftig in ein regionales Gesamtkonzept zur bedarfsgerechten Energieerzeugung integriert werden sollten.
Zukunftsoptionen untersucht
Ein wirtschaftlicher Betrieb wird in den meisten Bioenergiedörfern durch eine 20-jährige Vergütung des Stroms über das EEG sichergestellt – für viele läuft diese Vergütung in den Jahren 2025 bis 2030 aus. Sie macht aber den größten Teil der Einnahmen aus, denn die Wärme wird oft unter dem Vergleichspreis für fossile Wärme an die Bürger abgegeben. Das Auslaufen der Förderperiode stellt die Bioenergiedörfer daher vor die existenzielle Frage, wie weiterhin ein wirtschaftlicher Betrieb der Energieanlagen und ein fairer Wärmepreis für die Kunden sichergestellt werden kann. Hier setzt das Verbundprojekt der Universitäten Kassel und Göttingen an.
Im Rahmen des Vorhabens werden Zukunftsoptionen gesichtet, berechnet und bewertet und auf Praxistauglichkeit geprüft. Für die Zusammenarbeit wurden die Bioenergiedörfer Krebeck/Wollbrandshausen im Landkreis Göttingen sowie das Bioenergiedorf Altenmellrich im Landkreis Soest gewonnen. Ergebnisse des gemeinsamen Diskurses werden in Form von Handlungsempfehlungen auf der Transferplattform energiewendedörfer.de veröffentlicht.
Ideen, wie es in den Bioenergiedörfern weitergehen könnte, gibt es viele, wie eine Befragung durch das Projekt-Team zeigt. Die meisten Bioenergiedörfer setzen auf eine Verknüpfung mit anderen erneuerbaren Energien oder wollen in die Lokal- und Regionalvermarktung von Strom einsteigen. Viele gesetzliche Hürden und bürokratische Regelungen verhindern oder hemmen jedoch zurzeit die Eigennutzung des selbsterzeugten Stroms und den Verkauf an Dritte. Auch die Herstellung von Biomethan und das Betreiben einer eigenen Hoftankstelle wurden mehrfach als Geschäftsidee genannt. Bei den hohen Investitionen in diese Technologie müssen Chancen und Risiken jedoch genau abgewogen werden – immer vor dem Hintergrund, dass die Wärmekunden weiter versorgt werden müssen.
Untersuchung neuer Geschäftsfelder
#bild2 Eine Möglichkeit zur Förderung für weitere zehn Jahre besteht, wenn Betreiber eine flexible, bedarfsgerechte Stromproduktion anbieten. Hierfür kann man sich im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens bewerben. Die bisherige Leistung der vorhandenen Blockheizkraftwerke (BHKW) muss dazu mindestens um das Doppelte – Experten raten zu mehr – erhöht werden, um zu Spitzenzeiten des Stromverbrauchs mehr Biogas zu verstromen. Aktuell haben circa 50 Prozent der Bioenergiedörfer BHKW-Leistung „überbaut“ und erfüllen damit die notwendige Voraussetzung, um sich für eine weitere Förderphase zu bewerben. Ob ein weiterer Zubau stattfindet und sich damit neue wirtschaftliche Pfade für Betreiber öffnen, ist zu bezweifeln, denn einige Neuerungen im EEG 2021 haben dazu geführt, dass „geplante oder bereits getätigte Investitionen schlagartig unwirtschaftlich“ werden, so die Meinung vieler Biogasexperten.
Vom Forschungsprojekt untersuchte neue Geschäftsfelder setzen auf vielen Ebenen an. So wird das Optimierungspotenzial des Nahwärmenetzes zum Beispiel durch den Anschluss neuer Wärmekunden, eine Verminderung der Wärmeverluste durch Senkung der Rücklauftemperatur im Nahwärmenetz oder eine wärmeangepasste Fütterung der Biogasanlage untersucht und die Kosteneinsparungen berechnet. Auf der Rohstoffseite können kostengünstige (zum Beispiel kommunale und landwirtschaftliche Reststoffe) sowie ökologisch wertvolle Biomassesubstrate (etwa durchwachsene Silphie, Riesenweizengras und Wildpflanzenmischungen) Kosten senken und im Zuge der CO2-Bepreisung ein Zusatzeinkommen generieren. Des Weiteren werden neue Technologien und Wertschöpfungsketten analysiert, die in Ergänzung zur Biogasanlage neue Geschäftsmodelle ermöglichen. In den Handlungsempfehlungen wird der gegenwärtige Entwicklungsstand der neuen Technik aufgezeigt, eine wirtschaftliche, rechtliche und ökologische Bewertung vorgenommen und die Herangehensweise bei der betrieblichen Umsetzung beschrieben.
Erprobung in der Praxis
Gemeinsam mit den Praxispartnern Krebeck/Wollbrandshausen und Altenmellrich wurde zum Beispiel geprüft, ob eine Aufbereitung des Biogases zu Biomethan und die Einspeisung in das Erdgasnetz oder eine Vermarktung des Biomethans auf einer eigenen Hoftankstelle wirtschaftlicher sind. Eine Herausforderung liegt darin, ausreichend Rohbiogas für die Aufbereitung zur Verfügung zu stellen und parallel genügend Wärme für das Nahwärmenetz zu produzieren. Ein wirtschaftlich sinnvolles Konzept ist demnach erst im Verbund mit Nachbarbiogasanlagen zu erreichen, um über entsprechend große Biogasmengen beiden Anforderungen gerecht zu werden. Die Frage, ob dann das aufbereitete Biomethan in das Erdgasnetz eingespeist oder über eine Hoftankstelle vermarktet werden solle, ergab, dass eine kombinierte Vermarktung nicht nur wirtschaftlicher ist, sondern auch dazu beiträgt, das Vermarktungsrisiko für Biomethan an einer Hoftankstelle zu senken.
Auch die Pyrolysetechnik als ergänzende Wärmequelle für Nahwärmenetze wurde für beide Praxisdörfer untersucht. Bei dieser weitgehend marktreifen Technologie können Biomassen unter Sauerstoffausschluss zu Pyrolysegas und Pflanzenkohle umgewandelt werden. Die Pyrolyse stellt geringe Anforderungen an die Qualität der Biomasse, sodass auf regionalspezifisch vorhandene Rest- und Abfallbiomasse wie Landschaftspflegematerial, Stroh oder Gärreste zugegriffen werden kann. Das Pyrolysegas lässt sich dann für die Wärmegewinnung nutzen. Für die entstehende Pflanzenkohle gibt es verschiedene Verwertungsoptionen, etwa der Einsatz als Aktivkohle in der Industrie, als Zugschlagstoff in der Bauindustrie, als Stalleinstreu für die Tierhaltung oder zur Bodenverbesserung. Je nach genutzter Biomasse lassen sich mit der Pflanzenkohle attraktive Geschäftsmodelle darstellen. Im Vergleich zu einem Hackschnitzelkessel als Wärmequelle für das Nahwärmenetz zeigt die Pyrolysetechnik einschließlich der Vermarktung der Pflanzenkohle eine deutlich bessere Wirtschaftlichkeit.
So unterschiedlich wie die Bioenergiedörfer in ihrem Werdegang, der Technikausstattung und der Organisationsform aufgestellt sind, so unterschiedlich werden auch die Lösungsansätze für einen weiteren Betrieb nach dem Auslaufen der ersten EEG-Förderperiode sein. Es gibt nicht einen Königsweg. Vielmehr bedarf es einer frühzeitigen Prüfung möglicher Handlungsoptionen.
https://www.uni-kassel.de/go/wetzel
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Mai/Juni 2021 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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