Montag, 23. Dezember 2024

ZweitmarktAusgepowert? Noch lange nicht.

[05.04.2016] Nicht zuletzt dank einer rasanten technologischen Entwicklung werden Kraftwerke teils schon weit vor Ablauf ihrer Lebenszeit abgestoßen. Dabei sind die Produktionspotenziale der Altanlagen noch lange nicht erschöpft. Der Zweitmarkt bietet hier neue Chancen.
Gebrauchte Module sind aufgrund des Massensterbens in der Solarindustrie heiß begehrt.

Gebrauchte Module sind aufgrund des Massensterbens in der Solarindustrie heiß begehrt.

(Bildquelle: styleuneed/Fotolia.com)

Bis vor Kurzem gab es allenfalls eBay. Wer heute nach gebrauchten Photovoltaikmodulen, Solaranlagen, Windrädern oder Blockheizkraftwerken sucht, der wird im Netz schnell fündig. Eine Reihe von spezialisierten Online-Marktplätzen mit geprüften Angeboten, umfangreichen Datenbanken und professionellen Suchfunktionen bringt Käufer und Verkäufer aus der ganzen Welt zusammen. Gehandelt wird alles von der kleinsten Anlage bis hin zum großen Investment. Dabei hat sich ein Zweitmarkt für Kraftwerke erst in den vergangenen drei bis fünf Jahren so richtig entwickelt. Und: Die Nachfrage ist groß, Tendenz steigend. Zweitmarkt-Pionier Frank Fiedler aus dem thüringischen Meiningen betreibt seit dem Jahr 2010 die PV-Plattform secondsol.de. „Damals galt es zunächst, ein neues Verständnis bei den Betreibern zu schaffen und darauf hinzuwirken, gebrauchte Module nicht einfach wegzuschmeißen“, erklärt der Geschäftsführer. „Heute hat sich die Sichtweise komplett geändert und der Markt ist rasant gewachsen. Alleine bei Second Sol suchen täglich über 1.000 Interessenten nach PV-Produkten.“ Dabei sei der Handel mit gebrauchter Ware im PV-Bereich für fast alle Solaranlagenbesitzer sogar existenziell wichtig geworden. Schließlich, so der Experte, sind über 76.000 Modultypen mit unterschiedlichsten Abmessungen, Technologien, Leistungen und Optiken von mehr als 1.800 Herstellern im Verkehr. „Fast alle damaligen Hersteller sind aber pleite, sodass keine Module mehr bevorratet werden“, ergänzt Fiedler. Um eine Anlage wieder zum Laufen zu bringen, müssen defekte Module jedoch gemeinhin durch dieselben Komponenten ersetzt werden. Hier bietet der Zweitmarkt oftmals die einzige Chance. Deshalb hat sich nach Einschätzung von Fiedler auch der Gebrauchtmarkt für Photovoltaik bislang am stärksten etabliert. Mittlerweile unterhält der Plattformbetreiber und Gebrauchtwarenhändler sogar ein eigenes Lager, in dem er 5.000 verschiedene Modultypen und circa 50.000 Module vorrätig hält. Schließlich sind allein im vergangenen Jahr mehr als 250.000 Module über Second Sol gehandelt worden. Hinzu kommen Wechselrichter, Speicher und Zubehör. Außerdem bietet die Firma Second Sol Dienstleistungen wie den Modulnachbau und das Testen von PV-Modulen via Flashen, Elektroluminiszenz und Thermografie an. Gleichzeitig steht die Handelsplattform für Photovoltaikprodukte auch externen Dienstleistern wie Anwälten, Gutachtern, Reinigern und Versicherungen offen. Die Nutzer des PV-Marktplatzes stammen aus über 80 Ländern, wobei die Ware von deutschen Händlern nur zu 40 Prozent ins Ausland geht, und wenn dann meist nach Europa. 500 Nutzer der Plattform sind nach Angaben des Geschäftsführers sehr aktiv, die übrigen 7.000 User nur gelegentlich.

Die komplette PV-Anlage im Visier

Karsten Kreisler aus Hamburg betreibt mit dem Online-Marktplatz project-forum.biz seit 2011 eine professionelle Plattform für schlüsselfertige Solarprojekte und komplette PV-Bestandsanlagen. Er sagt: „Der Zweitmarkt für vollständige Anlagen, die ohne Umzug von Person A an Person B verkauft werden, ist erst in den vergangenen drei bis fünf Jahren so richtig ausgelöst worden.“ Kreisler hat die Erfahrung gemacht, dass sich die Anlageneigentümer erst nach einigen Betriebsjahren – meist aus persönlich induzierten Gründen – für den Verkauf eines Investments entschließen. Was den Zweitmarkt für Photovoltaik dabei vor allem befördere, seien die verschiedenen Anlagen- und damit Investitionsgrößen. Kreisler: „So ist garantiert, dass jeder Investor für sich das Passende findet.“ Dabei haben sich bislang vor allem Anlagen zwischen 100 und 600 Kilowattpeak (kWp) als Dauerrenner erwiesen. Positiv wirke sich außerdem das Vorliegen historischer Ertragsdaten aus sowie der Umstand, dass jederzeit eine technische Bestandsaufnahme durch Sachverständige möglich ist. Demgegenüber stünden lediglich Einzelrisiken wie beispielsweise eine schlechte Anlagenausführung, technische Probleme einzelner Komponenten oder amateurhafte Verträge.
Der Hamburger Plattformbetreiber vermutet, dass das gehandelte Bestandsanlagenvolumen in Deutschland inzwischen sogar das Neubauvolumen übersteigt. Die Gründe liegen auf der Hand: „Der Photovoltaikausbau war in der Vergangenheit stark rückläufig. Gleichzeitig sind die Preise für Neuanlagen – nicht zuletzt wegen der geringeren Vergütungshöhen nach dem überarbeiteten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – bereits unter diejenigen von Bestandsanlagen gesunken“, so Kreisler. „Hinzu kommt, dass sich Bestandsanlagen oft unbürokratischer betreiben lassen als aktuelle Anlangen, die nach einem aufgeblähten EEG gefördert werden.“ Dabei gehen fertige Anlagen über project-forum.biz zumeist an inländische Investoren, aber auch einige ausländische Akteure sind aktiv. Der Zugang zum Marktplatz wird restriktiv gehandhabt, um zu gewährleisten, dass nur tatsächliche Verkäufer und Kaufinteressenten aufeinander treffen. Für die Dokumentation hält das Portal vollständige Datenräume bereit. Alle Angebote werden durch ein erfahrenes Team vorab geprüft.

Übertragbare EEG-Vergütung

Auch auf dem Marktplatz Milk the Sun boomt das Geschäft mit der gebrauchten Ware. So erwartet Geschäftsführer und Konkurrent Dirk Petschik für das Jahr 2015 nochmals eine Umsatzsteigerung von 150 Prozent gegenüber einem bereits sehr guten Vorjahr. Denn: „PV-Anlagen bieten eine sichere Anlageform mit noch immer überdurchschnittlichen Renditen“, sagt Petschik. Dabei zahlt es sich aus, dass die gesetzlich geregelte Einspeisevergütung über 20 Jahre bei einer Übertragung der Anlage auf den neuen Besitzer übergeht. So sorgt sie auch weiterhin für eine stabile und planbare Einnahmeseite. Die Aufwendungen für Versicherungen, Wartung und Verwaltung seien ebenfalls stabil. Zudem könnten Investitionen in Photovoltaikanlagen unter Umständen interessante steuerliche Vorteile bringen. Noch finden laut dem Berliner Unternehmer die meisten Transaktionen über das Portal milkthesun.com national statt. Petschik sieht jedoch bereits einen Trend hin zu übernationalen Transaktionen: „Dies ist sicher auch eine Entwicklung, die wir als international tätiger Marktplatz beflügeln.“ Dabei werden in der Masse Anlagen von 30 bis 3.000 kWp gehandelt. Die komplette Bandbreite umfasst hingegen Anlagen von 8 bis 48.000 kWp und damit eine finanzielle Spanne von 20.000 Euro bis hin zu 72 Millionen Euro. Die größte Schwierigkeit beim Handel mit gebrauchten PV-Anlagen sieht der Milk-the-Sun-Geschäftsführer darin, den Eigentümern von Solaranlagen zu vermitteln, dass es überhaupt einen laufenden Markt für Photovoltaikanlagen gibt. Und dass Anlagenbesitzer demzufolge nicht über 20 Jahre an ein PV-Investment gebunden sind, sondern über ein jederzeit liquidierbares Asset verfügen. Petschik: „Oft fehlt es aber auch an einfachen Instrumenten zur Bestimmung des Wertes einer Anlage. Deshalb stellen wir auf Milk the Sun nicht nur einen entsprechenden Online-Rechner zur Verfügung, sondern schaffen durch die Masse an Angeboten auch jede Menge Transparenz und Vergleichbarkeit.“

Die zweiten Windräder

Ein gutes Beispiel für einen Online-Marktplatz mit gebrauchten Windrädern ist die Plattform wind-turbine.com. Das Online-Marketing-Unternehmen WIV aus dem hessischen Gelnhausen hat das Portal 2012 gestartet. Auch im Bereich Windenergie hat sich innerhalb weniger Jahre ein prosperierender Zweitmarkt entwickelt. Der Grund: Erste Windkraftanlagen sind mittlerweile 15 Jahre alt und älter. Sie werden deshalb im Zuge eines Repowerings nicht selten durch moderne Anlagen ausgetauscht. WIV-Geschäftsführer Bernd Weidmann beklagt hier vor allem die undurchsichtige Händlerstruktur: „Zum Teil wird eine Anlage von mehreren Händlern angeboten. Den echten Verkäufer ausfindig zu machen, ist eine Herausforderung.“ Grund genug, um mit den Plattformen windturbine.de und wind-turbine.com endlich einen direkten Kontakt zum Interessenten herzustellen und damit den Vertriebsweg erheblich zu kürzen. In der Anfangszeit konnten die Hessen meist nur 20 bis 30 gebrauchte Windkraftanlagen (WKA) regelmäßig zu ihrem Fundus zählen. Weidmann freut sich: „Seit Mitte 2015 hat das stark angezogen. Zurzeit haben wir circa 250 gebrauchte WKAs im Bestand.“ Dabei werde jede eingehende Anfrage vorab auf Qualität geprüft: „Da gehen wir in der Tat auch ans Telefon und fragen weitere Details ab, die für unsere Kunden interessant sein könnten“, erklärt Weidmann. Auch der Bereich Komponenten und Services nehme stark zu und soll künftig ausgebaut werden. Förderlich für die Entwicklung des Zweitmarkts ist laut Weidmann die Tatsache, dass sich die in Deutschland installierten Windräder in der Regel noch in einem guten Zustand befinden: „Sie können durchaus noch einige Jahre wirtschaftlich betrieben werden und das zu einem Anschaffungspreis von meist nur fünf bis 20 Prozent des Neupreises.“ Hinderlich sei hingegen, dass es gewöhnlich keine Garantie gebe und der Käufer außerdem die Kosten für Rückbau, Transport und Wiederaufbau tragen müsse. Während in den ersten Jahren hauptsächlich kleinere Leistungsklassen von 100 bis 300 kW im Trend lagen, werden heute sogar 2-MW-Anlagen angefragt. Dabei werden immer ältere Anlagen – 2018 werden rund 10.000 Anlagen älter als 15 Jahre sein – auch künftig den Zweitmarkt weiter beflügeln. Abnehmer finden die Windkraftanlagen vor allem im Ausland. So steuern Nutzer aus über 190 Ländern die Plattform wind-turbine.com an, die in sechs Sprachen verfügbar ist. Während die Verkäufer aus Deutschland, Dänemark und einigen weiteren Ländern stammen, werden die Anlagen weltweit verkauft. Sie gehen nach Osteuropa, in die Türkei, nach Afrika und Südamerika. „Windanlagen, die nicht verkauft werden, werden recycelt oder gehen ins Ersatzteillager“, ergänzt der Unternehmer aus Hessen. Es gebe aber auch vermehrt Anfragen von deutschen Unternehmen, die mithilfe von Windrädern ihren Strombedarf decken oder einfach investieren wollen.

BHKW gehen ins Ausland

Für An- und Verkauf gebrauchter Blockheizkraftwerke (BHKW) stellt Markus Gailfuß, Inhaber des Ingenieurbüros BHKW-Consult und Gesellschafter des BHKW-Infozentrums Rastatt eine Plattform für Online-Anzeigen zur Verfügung (bhkw-gebrauchtmarkt.de). Der Energieexperte berichtet allerdings, dass die Anzahl angebotener Module nach einem steilen Anstieg in den Jahren 2013 und 2014 im vergangenen Jahr rückläufig war. Gailfuß: „Die Pflanzenöl-BHKW-Motoren, die vor einigen Jahren wegen Stranded Investments sehr zahlreich verkauft wurden, sind heute größtenteils vom Gebraucht-BHKW-Markt verschwunden.“ Als problematisch für den Gebrauchtmarkt im Leistungsbereich über 100 kW hat sich vor allem die Mittelspannungsrichtlinie erwiesen, die eine Zertifizierung – das so genannte Einheitenzertifikat – von Energieerzeugungsanlagen vorschreibt. Da vor allem ältere KWK-Anlagen die Vorgaben der Richtlinie nicht erfüllen, können sie meist nicht an einem anderen Standort innerhalb Deutschlands betrieben werden. Doch auch BHKWs kleinerer Leistungen im Niederspannungsbereich müssten bei einer erneuten Installation in Deutschland meist nachgerüstet werden, um die technischen Auflagen zu erfüllen. Aus diesem Grund, so Gailfuß, geht heute ein Großteil der gebrauchten KWK-Anlagen nach Osteuropa. Auch Andre Kandlin, Geschäftsführer von Stromerzeuger-Ankauf, liefert hauptsächlich in den Osten und noch weiter. Der BHKW-Gebrauchtwaren-Händler aus dem Rhein-Erft-Kreis sagt: „In Deutschland ist es unmöglich – und das ist ganz klar der Politik geschuldet – ein gebrauchtes BHKW zu verkaufen.“ Schuld sind, so Kandlin, vor allem die riesigen Subventionen für neue BHKW. Diese führten heute eher dazu, dass Stadtwerke und sonstige Betreiber ihre Gas-Aggregate bereits nach 40.000 oder 60.000 Betriebsstunden aussortierten, während ein BHKW früher mindestens 100.000 Betriebsstunden lang im Einsatz war. Deshalb habe sich in Deutschland auch nie ein Zweitmarkt für BHKW etablieren können; die Subventionen für Neuanlagen bezeichnet Kandlin als versteckte Abwrackprämie. Diese gebe es für BHKW schon lange, sie werde jedoch mit den Jahren immer intensiver. Kandlin ist seit mittlerweile 14 Jahren im Geschäft, pro Monat verkauft er etwa drei bis vier gebrauchte Kraftwerke: „Was in Deutschland noch ein wenig geht sind Biogasanlagen, weil diese noch in der EEG-Vergütung sind, Gas-BHKW gehen aber alle ins Nicht-EU-Ausland.“ Den Transport der Anlagen organisiert zum Teil Stromerzeuger-Ankauf, andere Kunden holen die Ware selbst in Deutschland ab. Um auch auf gebrauchte Ware Garantien geben zu können, hat der Rheinländer lokale Partnerschaften in den jeweiligen Import-Ländern aufgebaut. Und wer nun doch in Deutschland ein gebrauchtes Blockheizkraftwerk sucht, der kann sich entweder an Gailfuß, Kandlin und eine Handvoll weiterer BHKW-Spezialisten für Gebrauchtware wenden, bei seinem Neuanlagenhersteller anfragen oder er landet eben doch wieder bei eBay.

Melanie Schulz




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