Kraft-Wärme-KopplungAm Scheideweg
Durch den massenhaften Ausbau von Windkraft und Photovoltaik (PV) wird Strom nicht mehr sicher dann produziert, wenn er gebraucht wird. Die Volatilität nimmt weiter zu, je mehr Solarzellen und Windräder ans Netz gehen. Ohne die wirtschaftliche und technische Integration von Wind- und Solarstrom wird die Energiewende scheitern. Denn das gesamte Stromversorgungssystem wird in einer Form belastet, für die es nie ausgelegt wurde.
Ein Teil der Lösung ist der Ausbau der Stromnetze: Um die zunehmenden Versorgungsschwankungen aufzufangen, braucht Deutschland leistungsfähigere Netze, die Windstrom in den Süden und Sonnenstrom in den Norden transportieren. Der Netzausbau ist nicht nur unverzichtbar, er ist im Vergleich zu den technischen Alternativen auch günstiger. Ehe an neue Stromspeicher gedacht wird, sollte die Verteilung beherrscht werden. Doch ohne schnellere Genehmigungsverfahren und den nötigen Rückhalt in Politik und Bevölkerung lassen sich diese Ziele keinesfalls in den nächsten Jahren verwirklichen.
Begrenztes Regelvermögen
Der bestehende fossile Kraftwerkspark kann den schwankenden Ertrag der Erneuerbaren nur begrenzt ausregeln. Konventionelle Kraftwerke sollen den Restbedarf decken. Doch kommen sie mit dem Zuwachs beim EEG-Strom immer seltener zum Einsatz; entsprechend weniger rechnen sie sich. Ein weiterer Nachteil: Konventionelle Großkraftwerke verschwenden massenhaft Energie. Die Abwärme aus der Stromproduktion verpufft bei den meisten Anlagen ungenutzt. So müssen für die Wohnungsheizungen zusätzlich fossile Brennstoffe verfeuert werden, zulasten der Ressourcen und des Klimas. Dabei ist der Faktor Wärme ein Schlüssel, um die Erneuerbaren wirksam in das Stromsystem zu integrieren.
Neben leistungsfähigen Stromnetzen benötigt Deutschland einen Kraftwerkspark, der die schwankende Verfügbarkeit erneuerbarer Energien ausgleichen, Strom-Überschüsse sinnvoll umwandeln und speichern und dabei schnelle Laständerungen bewältigen kann. Zudem sollte er hocheffizient arbeiten und möglichst selbst auch mit nachwachsenden Brennstoffen betrieben werden können. All diese Voraussetzungen erfüllen moderne Kraft-Wärme-Kopplungssysteme, wie sie etwa in Rosenheim zum Einsatz kommen.
Das Beispiel Rosenheim
Die 60.000-Einwohner-Stadt will sich mithilfe der Stadtwerke bis zum Jahr 2025 – den Straßenverkehr ausgenommen – klimaneutral mit Energie versorgen. Lokale Energieerzeugung verdrängt Kapazität im gleichen Umfang anderswo in Deutschland bei insgesamt besserer CO2-Bilanz. Herzstück der Strategie bilden allerdings keine neuen Solarflächen. Stattdessen setzen die Stadtwerke Rosenheim auf ein flexibles KWK-Erzeugungssystem aus Müllverbrennung, hochmodernen Gasmotoren, selbstentwickelten Holzvergasern und Wärmespeichern. Die Abwärme ihrer Kraftwerke leiten die Stadtwerke in ihr Fernwärmenetz. Dadurch verdrängen sie den Hausbrand aus fossilen Energieträgern und senken langfristig den CO2-Ausstoß ihrer Stadt.
Unterschiedliche Kraftwerkstypen, Schnellstartfähigkeit und der energetische Querverbund mit der Fernwärme: Das Rosenheimer Erzeugungssystem gleicht die zeitweilig nachlassende Leistung von Sonnenstrom in der Region aus oder drosselt bei Bedarf die eigene Stromproduktion in sonnenreichen Stunden. Speicher übernehmen in dieser Zeit die Wärmeversorgung. Entscheidend für die gute Klimabilanz wie auch für die Wirtschaftlichkeit der Kraft-Wärme-Kopplung ist, den Faktor Wärme mit einzubeziehen und vor allem Wärmespeicher als Flexibilitätspuffer. Durch Wärmenetze erhöht sich der Wirkungsgrad von Verbrennungs- und Vergasungskraftwerken um durchschnittlich 50 Prozent, weil die Kraftwerksabwärme genutzt wird, anstatt zusätzlich fossile Energieressourcen zu verbrauchen. Zugleich lässt sich Energie in Form von Wärme hundertfach kostengünstiger speichern als in Form von elektrischem Strom. So kann das KWK-System flexibel auf Strommarktsignale reagieren und die schwankende Verfügbarkeit an erneuerbarer Produktion ausgleichen.
Die Markthemmnisse
Bei Abwägung des unternehmerischen Risikos für KWK stehen auf der Habenseite das KWK-Gesetz, das gegenwärtig niedrige Zinsniveau, das öffentliche Image und die Tatsache, dass Fernwärmeversorger in einem freien Wärmemarkt agieren können. Zudem befinden sich KWK-Einheiten gegenüber ungekoppelten Gaskraftwerken im Vorteil: Bei gleichen Einkaufskonditionen erschließen sie sich mit der Vermarktung der Kraftwerksabwärme eine zusätzliche Ertragsquelle. Unter Bedingungen, unter denen moderne Gaskraftwerke noch rentabel arbeiten können, steht die KWK in jedem Fall wirtschaftlich besser da. #bild2
Im Soll stehen dagegen die Energiemarktpreise, die kontinuierlich sinken. Durch den Ausbau der Erneuerbaren fluten zeitweise Massen an Strom zu Grenzkosten den Markt, sodass Wärme inzwischen ungefähr den gleichen Marktwert hat wie Strom. Ein Abbau überschüssiger Kraftwerkskapazität wäre die marktlogische Konsequenz. Der gegenwärtig diskutierte Ansatz für einen Kapazitätsmarkt hingegen versucht, ineffiziente Kraftwerke im Bestand zu halten. Er hätte den Nachteil, dass diese Reserve mit dem Spot-Markt wechselwirkt, weil der Kapazitätsüberhang eine Preiserholung verhindert. Besser wäre die Alternative, Reservekapazität über den Regelenergiemarkt oder einen ähnlichen Markttypus zu koordinieren. Die Übertragungsnetzbetreiber müssten die Erneuerbaren über ihre Bilanzkreise integrieren. Mit dem Ziel der Frequenzhaltung könnten sie sich mit Reservekapazität in Form von Kraftwerksoptionen eindecken. Eine sinnvolle Menge wäre die vierfache Standardabweichung des Regelenergiebedarfs und ein Zeithorizont von zwei Jahren. Der Preis für Regelenergie könnte sich zusammensetzen aus einem Leistungspreis pro Zeit sowie einem angemessenen einheitlichen Arbeitspreis.
Markt wird abgeschafft
Die aktuellen Rahmenbedingungen sorgen also nicht für schlechte Marktbedingungen. Sie schaffen den Markt zusehends ab. Das gilt sogar für das übergeordnete Ziel der ganzen Operation: den Klimaschutz selbst. Ein Marktsystem, das dem Klimaschutz dient, schafft Anreize, CO2 einzusparen, und ist technikneutral. So hätte jeder Akteur die Möglichkeit, die für ihn besten technischen Mittel zur CO2-Reduktion einzusetzen. Das Ergebnis wäre eine Vielfalt von Lösungswegen, die wiederum das Stromsystem stabilisieren würde. Stattdessen werden einzelne Technologien gefördert und damit der Wettbewerb ausgeschaltet.
Kraft-Wärme-Kopplung und Fernwärme senken wirksam den Ausstoß von Klimagasen, unter anderem, weil sie den Faktor Wärme berücksichtigen. Schließlich wird mehr als die Hälfte der Energie für Heizwärme verbraucht; den Rest teilen sich die Bereiche Strom und Verkehr. Zugleich integriert KWK die Erneuerbaren in den Strommarkt. Doch CO2 einzusparen, wird gegenwärtig nicht belohnt. Insbesondere bei der Wärmeerzeugung greifen die Anreize nicht: So bietet die Verdrängung von fossilem Hausbrand durch Fernwärme keine Vorteile, weil der Hausbrand nicht Teil des europäischen CO2-Handelssystems ist. Im Gegenteil: Zahlen müssen die Kunden für den CO2-Ausstoß bei der klimafreundlichen Fernwärme.
Europäische CO2-Steuer
Insgesamt haben CO2-Zertifikate ihre Lenkungswirkung eingebüßt. Die schwache europäische Konjunktur ließ die CO2-Preise zusammenschnurren. Mit dem absurden Ergebnis, dass nicht nur Sonnen- und Windenergie den Markt überspülen, sondern auch billiger (Braun-)Kohlestrom. Kein Rohstoff belastet die Atmosphäre mit mehr CO2. Im sprichwörtlichen Windschatten der Erneuerbaren eliminieren Kohlekraftwerke sogar modernste Gaskraftwerke, die deutlich klimaschonender und energieeffizienter arbeiten. Eine Tonne ausgestoßenes CO2 müsste mindestens das Sechsfache des aktuellen Marktpreises kosten, damit Klimakiller wie Braunkohle aus der Merit-Order fallen und sich die Investition in saubere und effizientere Kraftwerkstechnologien wieder lohnt. Ein weiterer Nachteil des Handelssystems: De facto finanzieren deutsche Stromkunden den CO2-Ausstoß der europäischen Nachbarn. Denn mit der Reduktion hierzulande dürfen die übrigen Europäer mehr Klimagase ausstoßen. Wirksamer wäre eine europäische CO2-Steuer: Sie würde den Ausstoß an Klimagasen gesellschaftsweit erfassen. Ein niedriger Einstiegssteuersatz würde gewährleisten, dass die Konjunktur nicht abgewürgt wird. Für die nötigen Investitionsanreize in CO2-sparende Technik könnte ein Ausbaupfad, beispielsweise mit einer jährlichen Steigerung von zwei Prozent des Steuersatzes, sorgen.
Spezialisierte Ausbildung
Verbesserungsbedarf gibt es aber nicht nur bei Marktbedingungen und Regulierung: Der Fernwärmesektor braucht mehr spezialisierte Ausbildung und Forschung. Verglichen mit den Sparten Gas und Wasser sind Fernwärmesysteme sehr komplex. Fernwärmerohre brauchen eine effektive Wärmedämmung und dehnen sich unter Hitze aus. Leitungen müssen als Zweirohrsysteme (Vor- und Rücklauf) verlegt werden. Beim Einsatz von Übergabestationen sind zahlreiche Variablen zu beachten, zum Beispiel Größe, Rücklauftemperatur, Regelungsgüte, Verkalkungsgefahr und Kosten.
Bis heute gibt es keinen grundständigen Ingenieurstudiengang für den Fernwärmebereich. Entsprechend fehlt es an qualifiziertem Führungsnachwuchs sowohl für die Versorgungswirtschaft als auch für Forschungslabore. Ebenso mangelt es an spezialisierten Ausbildungsgängen für Facharbeiter und Meister. Das Thema Fernwärme wird in anderen Ausbildungszweigen bislang nur als ein Thema unter vielen behandelt. Ein alternatives Angebot sind Schulungen des Energieeffizienzverbands für Wärme, Kälte und KWK (AGFW) sowie aufwendige hausinterne Schulungen, die sich letztlich nur Großversorger leisten können. Durch eine Bildungsinitiative für das Fernwärmefach ließen sich die Fehlerquote und somit die Kosten senken. Auf Geschäftsleitungsebene würden Belange der Fernwärme einen höheren Stellenwert genießen und entsprechend mit mehr Nachdruck verfolgt werden.
Beispiel Leitungsbau: Es fehlt an Grundlagenwissen zur Bodenmechanik; Berechnungen zur Rohrstatik sind ungenau. Ohne Forschung und Entwicklung wird auch das Regelwerk kaum modernisiert, die Unternehmen setzen auf hausinterne Lösungen. Branchenstandards sind in der Tendenz konservativ, es fehlt der wissenschaftliche Unterbau, um Neuerungen im Regelwerk abzusichern. Mit spezialisierter Ausbildung und eigener Forschung und Entwicklung ließen sich die Kosten für den Fernwärmebau langfristig senken.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe November/Dezember von stadt+werk im Titelthema Kraft-Wärme-Kopplung erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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