EinspeisevergütungAlte Mühlen mit Zukunft
Das Jahr 2021 markiert eine Zäsur für die Energiewende. Erstmals wird für tausende Windenergieanlagen die Einspeisevergütung wegfallen. Nach 20 Jahren EEG-Förderung müssen sich die alten Windräder dann im Markt behaupten. Weiterbetreiben oder stilllegen? Diese Frage stellt sich somit allein zum Jahreswechsel 2020/2021 für Windräder mit einer Leistung von rund 4.000 Megawatt (MW). Betroffen sind zum einen Anlagen, die im Jahr 2000 in Betrieb gingen, als das erste EEG in Kraft trat. Zum anderen sind aber auch alle Anlagen aus den 1990er-Jahren betroffen, für die das EEG eine Art Kulanzregelung vorsah: Sie erhielten damals einen Vergütungsanspruch für die kommenden 20 Jahre. Ein Argument für den Weiterbetrieb der Altanlagen liefert der Ökostromversorger Naturstrom: Bis zu 1,6 Milliarden Euro könnten bis 2026 gegenüber dem Ersatz durch neue Windparks eingespart werden. Das besagt eine Berechnung von Naturstrom, die auf Daten der Übertragungsnetzbetreiber, der Bundesnetzagentur und aus aktuellen Studien basiert.
Der Umbruch kommt 2021 also mit Vehemenz, ist aber kein Einzelereignis. Es werden fortan jährlich Anlagen mit rund 2.300 MW folgen – bis 2026 wird dies knapp 30 Prozent der aktuell installierten Windenergieleistung in Deutschland betreffen. In vielen Fällen wird ein Repowering, also der Ersatz durch neue Anlagen, aufgrund geänderter Abstandsregelungen und anderer Bestimmungen nicht möglich sein. Das geht aus einer Betreiberumfrage der Fachagentur Windenergie an Land hervor.
Kosten für Weiterbetriebsgutachten
Für viele Anlagen wird aber auch ein wirtschaftlich auskömmlicher Weiterbetrieb keine Selbstverständlichkeit sein. Das liegt zum einen an den zu erwartenden Erlösen. Die Preise an der Leipziger Strombörse waren von 2008 an jahrelang im Sinkflug. Nach einem deutlichen Anstieg 2018 hat sich der Preis am Spotmarkt auf einem historisch betrachtet mittleren Level von rund 4,0 Cent pro Kilowattstunde (kWh) eingependelt. Der Marktwert von Onshore-Windstrom am Markt für den tagesaktuellen Handel liegt spürbar unter dem Durchschnitt bei rund 3,3 Cent. Bei allen Ideen für die Stromvermarktung von Altanlagen, die derzeit in der Diskussion sind – vom Verkauf des Stroms an Ökostromanbieter über das Power Purchase Agreement (PPA) bis hin zu Power to X –, wird der Wert des Windstroms am Spotmarkt die Referenz sein. Natürlich sind Mehrerlöse möglich, sie werden allerdings nicht hoch ausfallen.
Den Erlösen steht die Kostenseite gegenüber. Beim Übergang zur dritten Betriebsdekade fallen nicht unerhebliche Kosten für ein Weiterbetriebsgutachten an. Neben diesen einmaligen stehen auch laufende Kosten an, vor allem für Service und Instandhaltung, die technische Betriebsführung, für die Direktvermarktung des Stroms und vielfach auch für die Grundstückspacht. Das Beratungsunternehmen Deutsche WindGuard hat für den Bundesverband WindEnergie (BWE) dazu drei Betriebskonzepte modelliert. Im Low-Budget-Konzept, das Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen auf ein Minimum beschränkt, sind 2,8 Cent pro kWh nötig, damit ein Weiterbetrieb wirtschaftlich ist.
Ersatz verursacht Mehrkosten
Für die Betreiber steht viel auf dem Spiel – ebenso für die Energiewende und die Stromkunden. Wenn vermehrt funktionstüchtige Altanlagen stillgelegt werden, droht dem Ausbau der Windenergie unter dem Strich ein deutlicher Einbruch. Außerdem sind die Kosten nicht zu vernachlässigen. Denn die Altanlagen produzieren sehr günstig Strom. Werden sie stillgelegt, muss ihre Stromproduktion ersetzt werden. Geschieht dies durch neue Windräder, steigen die Stromgestehungskosten. Über einen Betrachtungszeitraum von sechs Jahren summieren sich diese Mehrkosten im Worst-Case-Szenario auf rund 1,6 Milliarden Euro.
Zur Errechnung dieses Betrags hat Naturstrom die Erlösanforderungen der Altanlagen denen von neu zu errichtenden Windparks gegenübergestellt. Als Basis für die Erlösanforderungen der Neuanlagen dienen die Ergebnisse der Ausschreibungsrunden für Windenergie an Land des Jahres 2018, die allesamt unter korrigierten Bedingungen – also vor allem mit vorliegender BImSchG-Genehmigung – durchgeführt wurden und somit ein realistisches Bild liefern. Der Durchschnitt des mengengewichteten Zuschlagswerts der vier Runden liegt bei 5,72 Cent pro kWh. Die Erlösanforderungen der Altanlagen liefert eine Studie der Deutschen WindGuard im Auftrag des BWE: 2,8 Cent gemäß dem oben erwähnten Low-Budget-Konzept.
Maßgeblich für die Berechnung der Kostendifferenz zwischen Alt- und Neuanlagen ist die zu erwartende Stromproduktion. Diese errechnet sich aus dem Bestand an Altanlagen sowie aus Annahmen zum durchschnittlichen Weiterbetriebszeitraum und zur Anzahl der Volllaststunden.
Studie der Deutschen WindGuard
Qualifizierte Abschätzungen hierzu liefert wiederum eine Studie der Deutschen WindGuard für Naturstrom. Diese geht von einer durchschnittlichen Weiterbetriebsdauer von dreieinhalb Jahren aus. Darüber hinaus ergab eine Kurzauswertung der Stamm- und Bewegungsdaten der Übertragungsnetzbetreiber, dass Altanlagen im Mittel auf 1.456 Volllaststunden im Jahr kommen. Der Anlagenbestand geht aus den Anlagenstammdaten der Übertragungsnetzbetreiber hervor. Für die Berechnung wurden die Anlagen mit einer installierten Leistung von mindestens einem Megawatt berücksichtigt, da diese für den Weiterbetrieb besonders geeignet sind. Für 2021 ergibt sich hieraus eine Differenz zum Gesamtbestand von rund 1.900 MW. Schon ab dem Jahr 2001 hatten fast alle installierten Anlagen eine Leistung von einem MW und mehr, sodass für die Betrachtung der Jahre ab 2022 kaum noch ein Unterschied besteht.
Möglichst günstiger Ökostrom
Die finanziellen Auswirkungen eines Worst-Case-Szenarios seien hier beispielhaft am Jahr 2021 dargestellt: Die dann aus dem EEG fallenden Altanlagen mit einer Leistung von einem Megawatt und mehr verfügen zusammen über eine Leistung von 2.218 MW. Bei 1.456 Volllaststunden erzeugen sie insgesamt 3.083.808 Megawatt (MWh) Windstrom. Diese Strommenge wäre für 86.346.624 Euro zu haben, wenn die Erlösanforderungen des Low-Budget-Konzepts von 2,8 Cent je kWh zugrunde gelegt werden. Gingen nun im schlimmsten Fall alle Anlagen vom Netz, müssten sie durch neue ersetzt werden. Bei einer Erlösanforderung von 5,72 Cent pro kWh würden die 3.083.808 MWh genau 176.393.817,60 Euro kosten. Hieraus ergeben sich gegenüber dem Weiterbetrieb der Altanlagen Mehrkosten in Höhe von 90.047.193,60 Euro. Unter Berücksichtigung des dreieinhalbjährigen Weiterbetriebszeitraums stehen bereits 315.165.177,60 Euro zu Buche – wohlgemerkt allein für die Anlagen, die 2021 aus dem EEG fallen. Da Jahr für Jahr weitere Anlagen folgen, summieren sich die Mehrkosten über einen Betrachtungszeitraum bis 2026 auf dann 1,6 Milliarden Euro.
Chancen für Altanlagen
Wie ist diese Zahl einzuordnen? Vermutlich ist sie zu hoch gegriffen, da sie den Worst Case darstellt. Für etliche Anlagen wird sich der Weiterbetrieb rechnen, wenn die Börsenstrompreise nicht unerwartet einbrechen. Naturstrom und andere Branchenakteure haben sich des Themas angenommen und entwickeln Konzepte, wie sich die Vermarktung der Strommengen und der Anlagenbetrieb optimieren lassen. Die Berechnung zeigt indes: Es geht nicht nur um die Interessen des einzelnen Windmüllers und auch nicht nur um die gesellschaftlichen Interessen auf Metaebene – um Energiewende und Klimaschutz. Es geht auch darum, im Sinne der Kunden Ökostrom möglichst günstig zu produzieren. Hierbei wird den Altanlagen künftig eine wichtige Rolle zukommen. Die Chancen, die sich durch den Weiterbetrieb bieten, darf sich weder die Branche noch die Gesellschaft als Ganzes entgehen lassen.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juli/August 2019 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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