Sonntag, 22. Dezember 2024

Klimafreundliches BauenAbschied von Energiedinosauriern

[24.07.2024] Die Zahl der Plusenergiehäuser ist noch relativ gering. Die meisten Gebäude sind Energiefresser. Die kommunale Wärmeplanung kann hier für Klarheit sorgen. Wichtig ist auch, Immobilien als Teil eines Netzwerks aus Gebäuden, Straßen und grünen Energiequellen zu sehen.

Photovoltaikanlagen an der Fassade und auf dem Dach, eine hochwärmedämmende Gebäudehülle und eine Kombination von Erdwärme und Solarthermie: Das Rathaus Freiburg im Stadtteil Stühlinger gilt als erstes öffentliches Netto-Plusenergie-Bürogebäude der Welt. Da das Rathaus sogar mehr Energie erzeugt, als es selbst benötigt, wird der überschüssige Strom in das städtische Netz eingespeist. Das Rathaus Freiburg funktioniert somit wie ein Kraftwerk im Kleinformat. Noch ist die Zahl solcher Plus­energiehäuser in Deutschland relativ gering. Ganz im Gegenteil: Die meisten Gebäude sind sogar Energiefresser – zu schlecht die Dämmung, und zu alt die Wärme- und Kältetechnikanlagen. Hinzu kommen die fossilen Energieträger und Geräte mit hohem Energieverbrauch, die in vielen Immobilien immer noch zum Standard gehören. In Vergangenheit wenig Anreiz In der Vergangenheit haben verhältnismäßig günstige Gas- und Öl-Heizanlagen und vergleichsweise teure Strompreise wenig Anreiz gegeben, Heizanlagen umzurüsten. Dass Investitionen sich durchaus rechnen und ein nachhaltiges und energieeffizientes Gebäude Zukunftsfähigkeit bedeutet, ist vielen Bauherren und Immobilienbetreibern noch nicht bewusst. Zum Beispiel amortisieren sich Geothermieanlagen, die im Winter mit einer Wärmepumpe zum Heizen und im Sommer zum direkten Kühlen des Gebäudes genutzt werden, nach zehn bis zwölf Jahren. Während Länder wie Dänemark oder Schweden bereits vor Jahren anfingen, sich mit klimafreundlichen Heizungstechnologien zu beschäftigten und fossile Heizungen zu verbieten, setzte man hierzulande lange auf Freiwilligkeit bei der Wahl der Wärmeerzeugung. Dementsprechend mangelt es jetzt an Wissen und Erfahrungswerten in Bezug auf Wärmepumpen. Diesen Rückstand gilt es aufzuholen. Bestand bleibt Sorgenkind Um das zu schaffen, ist deutlich mehr Expertise darüber notwendig, wie Wärmepumpensysteme gerade im Bestand am sinnvollsten einzubinden sind und wie effiziente Lösungen mit einer wirtschaftlichen Wärmequelle für den Bestand aussehen können. Dieses Fachwissen fehlt vielen nicht nur bei großen Immobilien, sondern auch bei Ein- und Mehrfamilienhäusern. Des Weiteren muss dieses Wissen den Planerinnen und Planern, Energieberaterinnen und Energieberatern sowie den ausführenden Firmen zugänglich gemacht werden. Derzeit wird die Entscheidung, ob und wann eine Wärmepumpe sinnvoll und wirtschaftlich ist, von vielen noch aufgeschoben oder auf eigene Faust getroffen. Das Ergebnis ist oft eine ineffiziente Lösung, die sich bei genauerer Betrachtung als unwirtschaftlich herausstellt. Die gute Nachricht: Die einzelnen notwendigen technischen Komponenten und Tools sind bereits vorhanden, und es liegen auch entsprechende Betriebserfahrungen vor. Im Neubaubereich gehören Wärmepumpen fast schon zum Standard bei der Auswahl der Heizungstechnik. Anders sieht die Lage jedoch im Bestand aus: Hier fehlen noch ausreichende Auslegungs- und Betriebserfahrungen zu sinnvollen und wirtschaftlichen Systemlösungen je nach Bestandssituation. Individuelle Analysen Die größte Herausforderung für die Altbauten insbesondere im Wohnungsbereich besteht darin, für jede Bestandssituation die passende wirtschaftliche Lösung zu entwickeln. Individuelle Analysen und Konzeptentwicklungen für jedes einzelne Bestandsgebäude sind jedoch zu aufwendig – und vor allem im Bereich Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser sicherlich zu kostspielig. Daher braucht es so schnell wie möglich standardisierte Vorgehensweisen und speziell für den Bestand von Ein- und Mehrfamilienhäusern entwickelte standardisierte Lösungen für ähnliche Gebäude, beispielsweise geclustert nach Baualtersklassen oder nach Energieeffizienzklassen in Kombination mit den typischen Bestandsheizsystemen der jeweiligen Zeit. Durch eine Art Standardkatalog mit Empfehlungscharakter für drei bis vier Varianten in Abhängigkeit der gängigen Gebäude je nach Baualtersklasse oder Energieeffizienzklasse kann vermieden werden, dass jeder Marktteilnehmer versucht‚ das Rad neu zu erfinden. Nur so wird man die notwendige Geschwindigkeit in der Transformation des Bestands erreichen. Gleichzeitig wäre es falsch, die Wärmepumpe als eine Nonplus­ultra-Lösung zu betrachten, da ihre Wirtschaftlichkeit im Bestand von sehr vielen Randbedingungen abhängt. Daher ist es sinnvoll, in der Gesamtbetrachtung auch Alternativen, wie Anschlussmöglichkeiten an regenerativ betriebene Nahwärme- und Fernwärmesysteme, zu prüfen und zu bewerten. Die kommunale Wärmeplanung wird hier sicherlich an verschiedenen Stellen solche Angebote ermöglichen. Fassaden unter Strom Neben der effizienten Nutzung von Wärme ist die regenerative Stromerzeugung ein weiterer Eckpfeiler von Plusenergiehäusern. Ziel ist es, den Strombedarf durch erneuerbare Energiequellen zu decken und darüber hinaus Überschüsse zu produzieren, die entweder in eigene Stromspeicher oder ins öffentliche Netz eingespeist werden können. Große Hoffnungen liegen dabei auf der Solarenergie: Nach Plänen der Bundesregierung soll der Solaranteil bis zum Jahr 2030 auf 200 Gigawatt vervielfacht werden. Möglich wird dieses ambitionierte Ziel durch technologische Neuerungen, denn Photovoltaikmodule lassen sich längst nicht nur auf Dächern anbringen. Wie das geht, zeigt neben dem Freiburger Rathaus der Drees & Sommer-Neubau OWP 12 in Stuttgart. Gemeinsam mit dem Fassadenbauunternehmen FKN hat das auf Bau und Immobilien spezialisierte Beratungsunternehmen eine neuartige Außenhülle mit PV-Elementen entwickelt. Insgesamt wird auf knapp 700 Quadratmetern Fassadenfläche ein Ertrag von rund 70 Megawattstunden im Jahr gewonnen. Dank der innovativen Fassadenkon­struktion, die zudem sehr hohen Anforderungen an Schallschutz und Wärmedämmung standhält, ist die Fassade in Kombination mit den PV-Elementen mit 210 Millimetern sogar dünner als herkömmliche Aufbauten und spart damit Platz, wodurch wiederum die vermietbare Fläche vergrößert werden konnte. Eine Win-win-Situation für alle. Smart Grids bieten Vorteile Die Integration von Plusenergiehäusern stellt herkömmliche Stromnetze vor große Herausforderungen, da sie nicht auf dezentrale Einspeisung ausgelegt sind. Smart Grids bieten hier entscheidende Vorteile, indem sie die Einspeisung und Nutzung erneuerbarer Energien organisieren und damit optimieren. Durch den Einsatz von Sensoren, intelligenten Zählern und Steuerungssystemen können diese Netze den Energieverbrauch in Echtzeit überwachen und steuern. Diese Daten helfen, Lastspitzen zu vermeiden und den Energieverbrauch zu glätten, was sowohl die Netzstabilität erhöht als auch den Bedarf an fossilen Reservekraftwerken reduziert. Seit Januar 2020 gibt es für alle Haushalte mit einem jährlichen Stromverbrauch von mehr als 6.000 Kilowattstunden (kWh) die Pflicht, Smart Meter einbauen zu lassen. Solche digitalen, intelligenten Messsysteme sind Teil des Smart Grids und kommunizieren den Stromverbrauch und damit den Strombedarf in Echtzeit an die Netzbetreiber. Auch der Verbraucher erhält in Echtzeit Transparenz darüber, wie viel Strom er gerade benötigt. Mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz will das Wirtschaftsministerium dafür sorgen, dass dynamische Stromtarife in Verbindung mit Smart Metern flächendeckend auf den Markt kommen. Sie passen sich preislich der Nachfrage und dem Angebot im Netz an und sollen so Verbraucher und Klima entlasten. KI-basierte Energie-Management-Systeme können heute bereits solche variablen Preise für wirtschaftliche Betriebsführungsstrategien nutzen. Hin zum Campusgedanken Um das Potenzial der Gebäude als Kraftwerke voll auszuschöpfen, ist ein weiterer Aspekt der Vernetzung entscheidend: weg von der einzelnen Betrachtung der Gebäude hin zum Campusgedanken. Nur wenn Immobilien als Teil eines großen Netzwerks aus Gebäuden, Straßen und grünen Energiequellen gesehen werden, kann die Vision von einer klimapositiven ­Zukunft wahr werden. So verbraucht zum Beispiel ein Logistikgebäude vergleichsweise wenig Energie, bietet dafür aber sehr große Flächen für Photovoltaikanlagen und kann dementsprechend auch einen Überschuss produzieren. Diesen kann wiede­rum das nah gelegene Wohngebäude nutzen, das vielleicht selbst nicht genügend Energie erzeugen kann oder über wenig Speicherkapazität verfügt. Für Gebiete, wo es nicht so viele Abnehmer gibt, wird bereits überlegt, den überschüssigen Strom in Wasserstoff umzuwandeln, um diesen dann für die Transportkette bereitzustellen. Damit entsteht hier eine Sektorkopplung. Dabei werden verschiedene Sektoren wie Wohnquartiere, Gewerbe- und Industriestandorte, Logistikstandorte, einzelne Gebäude und Mobilität gekoppelt, um die gegenseitige Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien voranzubringen.

Prof. Dr. Michael Bauer

Der Autor, Prof. Dr. Michael BauerProf. Dr. Michael Bauer verantwortet als Partner der Drees & Sommer SE den Geschäftsbereich Engineering Consulting. Zu seinen Referenzen gehören das Freiburger Rathaus, die experimenta Heilbronn und die Neue Messe Stuttgart. An der Uni Stuttgart lehrt er als Honorarprofessor. Ehrenamtlich wirkt er in Fachausschüssen des VDI und beim DGNB mit.



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