Samstag, 23. November 2024

BDEWH2-Hochlauf per Baukastenprinzip

[05.07.2023] Der BDEW will den Wasserstoff-Hochlauf hierzulande beschleunigen, damit das Land international nicht den Anschluss verliert. Helfen soll das Baukastenprinzip – und viel Geld vom Staat.
Wasserstoff im Erdgasnetz ist zwar möglich

Wasserstoff im Erdgasnetz ist zwar möglich, seine grüne Variante wird für den Wärmemarkt jedoch nicht ausreichen.

(Bildquelle: Frank Urbansky)

Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und der Nutzung erneuerbarer und dekarbonisierter Energien nimmt weltweit Fahrt auf. Auch in Deutschland müssten die Weichen für einen entschlossenen Hochlauf von Wasserstoff gestellt werden. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat dazu das Diskussionspapier „Ein Marktdesign für Wasserstoff“ vorgelegt. Es zeigt wesentliche Bausteine für die Entwicklung eines Markts auf und skizziert vier Phasen des Wasserstoffhochlaufs.
„Für die Energiewende, aber auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland bietet der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft enorme Chancen“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. Die kommenden Jahre würden in Deutschland und Europa darüber entscheiden, ob der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in der Breite gelingt und ein Umfeld für Innovationen und Investitionen geschaffen wird.
Doch das ist keineswegs sicher. Während nach Einschätzung des BDEW in den USA durch den Inflation Reduction Act bereits ein Wasserstoff-Hochlauf im Gange ist, gibt es hierzulande magere 100 Megawatt Elektrolyseleistung, allenfalls eine Manufakturfertigung von Elektrolyseuren (und das vor dem Hintergrund eines Leistungsziels bei Elektrolyseuren von zehn Gigawatt bis 2030) sowie streng genommen nicht einmal einen Markt, weil kein Produkt.

Siebenfacher Marktpreis

Denn Wasserstoff aus Elektrolyse ist deutlich teurer wie der aus Dampfreformierung, auch grauer Wasserstoff genannt. Daran ändert auch ein erstes Marktinstrument an der Leipziger Energiebörse EEX, der Hydrix, an der sich einige Hersteller beteiligen, nichts (derzeit 229,50 Euro pro Megawattstunde – etwa das Siebenfache des konventionell erzeugten Wasserstoffs).
Die Rettung soll deshalb in anderen grünen Gasen wie Biomethan und blauem Wasserstoff liegen. Die Potenziale von Ersterem sind ebenfalls laut BDEW auf etwa 100 Terawattstunden (TWh) pro Jahr begrenzt, die bis 2030 erreicht werden sollen (der gesamte deutsche Gasverbrauch liegt bei 1.000 TWh). Letzteres ist umstritten und in Deutschland wegen des CCS-Verbots nicht möglich.
„Derzeit steht der Markthochlauf noch am Anfang: Die Technologien rund um Wasserstofferzeugung, -transport, -speicherung und -nutzung sind weitgehend verfügbar und technisch ausgereift. Was aber noch fehlt, ist die Erprobung im Zusammenspiel der verschiedenen Wertschöpfungsstufen“, muss auch Kirsten Westphal, Mitglied der BDEW-Hauptgeschäftsführung, die Defizite einräumen. Das liege auch daran, dass die langfristigen Marktaussichten noch zu unsicher und damit die finanziellen Risiken zu groß seien – sprich: Kaum jemand traut sich zu, in etwas zu investieren, das so teuer ist oder in Zukunft wohl noch teurer bleiben wird als grauer Wasserstoff. Beim BDEW beschwört man dagegen Skalierungseffekte wie sie auch bei PV und Windkraft zu beobachten seien.
Dennoch muss Westphal konstatieren: „Privatwirtschaftliche Investitionen finden noch nicht in ausreichendem Maße statt. Für einen erfolgreichen Wasserstoff-Hochlauf brauchen wir Mut und Pragmatismus. Regulatorische Hürden sollten daher gering gehalten, Angebot und Nachfrage durch konsistente Förderinstrumente stimuliert und ein verlässlicher Ordnungsrahmen, etwa für die zukünftige Wasserstoffinfrastruktur, geschaffen werden.“ Also sollen die Fördermilliarden weiter fließen. Nur zur Erinnerung. Neun Milliarden Euro sind bereits in der Nationalen Wasserstoffstrategie vorgesehen. Sieben Milliarden Euro davon für Projekte allein in Deutschland.

Vier Phasen bis zum Ziel

Doch nun zu den BDEW-Plänen. Der Verband sieht vier Phasen für die Entwicklung des Wasserstoffmarkts:
Während der Initialphase müssten wichtige Grundvoraussetzungen bis 2023/2024 geschaffen werden, um den Markthochlauf zeitnahe zu initiieren. Dazu gehörten staatliche Unterstützung, regulatorische Flexibilität und ein glaubwürdiges Zielbild.
Die Aufbauphase dauert bis Anfang der 2030er Jahre, wenn das H2-Kernnetz und weitere Leitungen auf Fernleitungs- und Verteilnetzebene in Deutschland aufgebaut sind und die Übergangsregelungen aus dem europäischen Wasserstoff- und Gasmarkt-Dekarbonisierungspaket enden. Hier sollen erste internationale Lieferbeziehungen etabliert, Projekte ausgedehnt, die Wasserstoffnutzung in der Industrie angereizt und bedarfsgerecht Gasverteilnetze auf Wasserstoff umgestellt werden.
In der Ausprägungsphase ab 2035 soll die Entwicklung hin zu überwiegend marktlichen Mechanismen stattfinden Bis 2040 sollen dann auch langfristig angelegte staatliche Fördermechanismen nach und nach auslaufen.
In der Zielphase ab 2040 soll ein funktionierender Wasserstoffmarkt erreicht sein. Dann werden Wasserstoff und seine Derivate in Deutschland, der EU und global in ausreichenden Mengen erzeugt und gehandelt.
Voraussetzung dafür ist ein funktionierendes Wasserstoffnetz. Zwar bestätigen Studien der Branche (wir berichteten) und des DVGW die generelle Eignung der Verteil- und Energienetze für den Betrieb mit Wasserstoff. Allerdings räumt der BDEW selbst ein, dass es kaum möglich sein wird, alle Verteilnetze zu erhalten. Ein Teil der Netze, so Andreae, werde auf Wasserstoff umgestellt und ein Teil einfach stillgelegt.
Dazu passt der jüngste Bericht der IRENA. Im World Energy Transitions Outlook 2023 vom Juni wird davon ausgegangen, dass nur 0,14 Prozent der Haushalte mit Wasserstoff beheizt werden. Das macht auch in Deutschland einen Großteil der Verteilnetze überflüssig.
Wie dem auch sei: Ein Wasserstoffmarkt wird, wenn überhaupt, erst in ferner Zukunft entstehen – mit vagen Aussichten und viel Geld vom Staat, also von allen Steuerzahlern, die für die Energiewende ohnehin schon viel tiefer in die Tasche greifen müssen.

Frank Urbansky


Stichwörter: Wasserstoff, BDEW, IRENA


Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Wasserstoff

Stadtwerke Bonn: Pläne für H2-Anschluss vorgestellt

[20.11.2024] Die Stadtwerke Bonn haben jetzt der Bundesnetzagentur ihre Vorschläge zur Anbindung zweier Heizkraftwerke an das Wasserstoff-Kernnetz präsentiert. Die Pläne sind Teil der Strategie, die Klimaneutralität der Bundesstadt bis 2035 zu erreichen. mehr...

Alexander Honz vom Stadtwerk am See untersucht die Möglichkeit einer Wasserstoff-Transformation in der Region Bodensee-Oberschwaben.

Stadtwerk am See: Gasleitungen für Wasserstoff

[08.11.2024] Das Stadtwerk am See aus Friedrichshafen am Bodensee setzt gemeinsam mit regionalen Partnern auf eine wasserstoffbasierte Zukunft. Bei einer Veranstaltung informierten sie über den aktuellen Stand der Wasserstoffwandlung und die mögliche Anbindung der Region Bodensee-Oberschwaben an das Wasserstoff-Kernnetz. mehr...

Stadtwerke Speyer: Energiewabe mit Wasserstoff

[05.11.2024] Die Stadtwerke Speyer wollen ein innovatives Wasserstoffprojekt starten und suchen Partner aus der Wirtschaft. Ziel ist es, die regionale Energieversorgung nachhaltiger und wirtschaftlicher zu gestalten. mehr...

Sachsen-Anhalt: Projekt Green Octopus

[04.11.2024] In Sachsen-Anhalt wird der Aufbau einer klimaneutralen Wasserstoffwirtschaft konkret. Mit dem Projekt Green Octopus Mitteldeutschland soll ein wichtiger Beitrag zur Vernetzung von Erzeugungs- und Verbrauchsregionen geleistet werden. mehr...

Baden-Württemberg: Förderung für PEGASUS-Projekt

[04.11.2024] Das Land Baden-Württemberg unterstützt Daimler Truck jetzt mit einer Förderung von fast 50 Millionen Euro bei der Entwicklung von Wasserstoff-Lkw für den Schwerlastverkehr. Im Rahmen des Projekts PEGASUS sollen insgesamt 100 wasserstoffbasierte Lastkraftwagen entwickelt und unter realen Bedingungen getestet werden. mehr...

Bremen/Bremerhaven: Anschluss ans Wasserstoff-Kernnetz

[04.11.2024] Die Bundesnetzagentur hat jetzt die Anbindung Bremens und Bremerhavens an das deutsche Wasserstoff-Kernnetz genehmigt. Mit dem Projekt soll die Region Teil eines zukunftsweisenden Energieverbunds werden. mehr...

Verkehrsgesellschaft Vorpommern-Rügen: Erster Wasserstoff-Bus startet im Linienbetrieb

[31.10.2024] Mit dem Einsatz von emissionsfreien Wasserstoff-Bussen geht die Verkehrsgesellschaft Vorpommern-Rügen (VVR) einen wichtigen Schritt in der Antriebswende im öffentlichen Nahverkehr. Die ersten drei Brennstoffzellen-Busse sollen unter realen Bedingungen auf verschiedenen Strecken getestet werden. mehr...

badenova: Bundesnetzagentur genehmigt H2-Kernnetz in Südbaden

[30.10.2024] Die Bundesnetzagentur hat den Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber zur Entwicklung eines nationalen Wasserstoff-Kernnetzes bestätigt. Der Verteilnetzbetreiber badenovaNETZE wird im Rahmen der Projekte RHYn Interco und H2@Hochrhein eine Schlüsselrolle beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Südbaden und am Hochrhein übernehmen. mehr...

Hamburg: HH-WIN wird Teil des nationalen Wasserstoff-Kernnetzes

[24.10.2024] Das Hamburger Wasserstoff-Industrie-Netz wird Teil des bundesweiten Wasserstoff-Kernnetzes, was Hamburgs Industrie ein einheitliches Wasserstoff-Netzentgelt sichert. Dies schafft Investitionssicherheit für den geplanten Ausbau des Netzes bis 2032. mehr...

Das Bild zeigt eine grün schimmernde Pipeline als Symbol für das Wasserstoffkernnetz. Im Hintergrund sind Windräder zu sehen.

Bundesnetzagentur: Grünes Licht für H2-Netz

[22.10.2024] Ein Kernnetz soll die Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland stärken und regionale Cluster vernetzen. Die Bundesnetzagentur hat die Pläne der Netzbetreiber nun genehmigt. mehr...

Wasserstoff kann zur Dekarbonisierung des Wärmesektors beitragen.

Infrastruktur: Die Netze in Toleranz üben

[10.10.2024] Im Sinne der Dekarbonisierung könnte Wasserstoff zumindest teilweise anstelle von Erdgas im Wärmesektor genutzt werden. Der Einsatz birgt jedoch Risiken. Lösungen gibt es bereits für die Messtechnik und Abrechnung. mehr...

Das Bild zeigt das Zeichen H2 für Wasserstoff, das in einer Flüssigkeit schwimmt.

Rheinland-Pfalz: Potenzialregionen für Wasserstoff

[08.10.2024] Eine aktuelle Studie des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität zeigt, dass es in Rheinland-Pfalz vielversprechende Regionen für die Produktion von grünem Wasserstoff gibt. mehr...

Das Bild zeigt die Eröffnung des Quest-One-Standorts in Hamburg, es ist unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz zu sehen.

Quest One: Serienproduktion von Elektrolyse-Stacks

[07.10.2024] Der Elektrolyse-Spezialist Quest One hat in Hamburg eine neue Produktionsstätte für die automatisierte Fertigung von Elektrolyse-Stacks eröffnet. Die Serienproduktion soll die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff erhöhen und die Energiewende vorantreiben. mehr...

Dank Gasmotor kann ein taiwanesisches Unternehmen Abfallwasserstoff für die unternehmenseigene Energieerzeugung nutzen.

Abfallwasserstoff: Energie aus Siliziumresten

[02.10.2024] Wie mittels Kraft-Wärme-Kopplung Abfallwasserstoff aus der Industrie für die eigene Energieversorgung genutzt werden kann, zeigt ein Projekt in Taiwan. Während Brennstoffzellen daran scheiterten, können Gasmotoren den unreinen Wasserstoff gut verarbeiten. mehr...

Einweihung der neuen Gasturbine im Heizkraftwerk der Stadtwerke Bonn.

Stadtwerke Bonn: Neue Gasturbine in Betrieb genommen

[02.10.2024] Die Stadtwerke Bonn haben jetzt im Heizkraftwerk Nord eine wasserstofffähige Gasturbine in Betrieb genommen und eine bestehende Turbine umgebaut. Damit wird ein wichtiger Schritt hin zur klimaneutralen Energieversorgung der Stadt Bonn unternommen. mehr...