Sonntag, 24. November 2024

WasserkraftPotenziale naturverträglich nutzen

[04.04.2023] In Nordrhein-Westfalen könnte aus der Wasserkraft noch mehr Energie erzeugt werden. Bestehende Anlagen sollten modernisiert und an vorhandenen Staustufen neue Kraftwerke errichtet werden. Hemmnisse und Hürden erschweren aber entsprechende Vorhaben bis hin zur Aufgabe.
Traditionelle Standorte wie das Jugendstil-Kraftwerk Heimbach können bis heute wertvolle Energie aus Wasserkraft liefern.

Traditionelle Standorte wie das Jugendstil-Kraftwerk Heimbach können bis heute wertvolle Energie aus Wasserkraft liefern.

(Bildquelle: hespasoft/stock.adobe.com)

Wasserkraft leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Energiewende, sondern stabilisiert durch ihre stete, dezentrale Einspeisung auch die Stromnetze. Aus diesem Grund sollte sie die nordrhein-westfälische Landesregierung – sofern sie ihre Klimaziele ernst meint – weiter ausbauen.
Ende 2022 waren laut Landesumweltamt in NRW rund 470 Wasserkraftanlagen in Betrieb. Die installierte Leistung inklusive Laufwasser-, Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke lag bei insgesamt knapp 500 Megawatt (MW). Erzeugt werden damit rund 660 Millionen Kilowattstunden (kWh) Strom, was rechnerisch den Jahresbedarf von mehr als 210.000 Haushalten deckt. Damit rangiert Nordrhein-Westfalen im Bundesländervergleich hinter Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf Platz vier. Ein Großteil der Betreiber sind regionale Energieversorger, aber auch kleine oder mittelständische Gewerbe- und Industriebetriebe, die zum Teil seit mehreren hundert Jahren mit der Energie des Wassers zuverlässig und verbrauchernah Strom erzeugen. Mit etwa 60 Prozent der gesamten Wasserkrafterzeugung liegt der Regierungsbezirk Arnsberg im Vergleich der fünf Regierungsbezirke ganz weit vorn.

Mehr Strom aus Wasserkraft

In der derzeit angespannten energiepolitischen Lage gilt es, so viele Kilowattstunden regenerativen Stroms wie möglich zu erzeugen und zu nutzen. Die größten Ausbaupotenziale bieten hierzulande die Wind- und Solarenergie, die beiden Lastenträger der Energiewende. Aber auch die bislang noch nicht ausgeschöpften Potenziale der Wasserkraft gilt es zu heben.
Mehr Strom aus Wasserkraft kann die Modernisierung oder das Repowering bestehender Standorte erwirken. Etwa durch den Einbau moderner Turbinen lassen sich die jahreszeitlich variierenden Wassermengen effizienter ausnutzen und höhere Jahreserträge erzielen. Technische Innovationen gestalten außerdem den Betrieb von Standorten mit geringeren Fallhöhen wirtschaftlicher. Aber auch weniger kostenintensive Maßnahmen können die Energieausbeute der Anlagen deutlich verbessern. Dazu zählt beispielsweise der Austausch von Getrieben oder Generatoren, der Einbau intelligenter Steuerungstechnik oder die Erneuerung von Rechen und Rechenreinigern. Durch entsprechende Schritte können die Stromerträge bestehender Anlagen kurzfristig um durchschnittlich 20 bis 25 Prozent gesteigert werden.

Ausbeute erhöhen

Ebenso können der Neu- und Ausbau von Anlagen an bereits bestehenden Staustufen die Ausbeute erhöhen. In Nordrhein-Westfalen befinden sich über 13.000 Querbauwerke. Mit den rund 470 Wasserkraftanlagen wird also nur an 3,6 Prozent der Querverbauungen klimafreundlich Strom erzeugt. Ein Großteil der ungenutzten Staustufen kann aufgrund geringer Fallhöhen oder niedriger Abflüsse nicht wirtschaftlich erschlossen werden. Wird an den Wehren allerdings Wasserkraft zur Stromerzeugung genutzt, kann dies auch der Gewässerökologie zugutekommen – nämlich dann, wenn Fischtreppen an den Kraftwerken gebaut werden.
Als Wasserkraftstandort gut geeignet sind außerdem Talsperren, da es dort kaum Konflikte mit dem Naturschutz und der Gewässerökologie gibt. NRW verfügt über insgesamt 81 Talsperren, im bundesweiten Vergleich ist das der Spitzenwert. An nur 38 dieser Talsperren in der Eifel und im Sauerland wird bislang Wasserkraft genutzt. Das heißt, rund die Hälfte der Talsperren in NRW ist noch frei. Dies hat auch die neue Landesregierung erkannt und daher angekündigt, an möglichst allen bestehenden Talsperren die Kraft des Wassers für die Energieversorgung nutzbar zu machen. In Kombination mit schwimmenden Solarparks auf den Stauseen der Talsperren kann ein zusätzlicher Beitrag zur Energiewende geleistet werden. Denn Wasserkraft und Solarenergie ergänzen sich optimal.

Beispielprojekt an der Lippe

Ein aktuelles Repowering-Projekt ist in Werne-Stockum an der Lippe geplant. Die neue Anlage mit einer installierten Leistung von 400 Kilowatt (kW) soll eine Bestandsanlage mit 45 kW Leistung ersetzen, da sie technisch und gewässerökologisch nicht mehr auf dem neuesten Stand ist. Erwartet wird eine jährliche Erzeugung von zwei Millionen kWh Ökostrom. Auch ein Fischaufstieg soll errichtet werden und die ökologische Situation in der Lippe deutlich verbessern. Seit rund 200 Jahren wird der Fluss in Werne-Stockum aus unterschiedlichen Gründen aufgestaut und ist für Fische deshalb flussaufwärts nicht passierbar. Das geplante Repowering-Projekt käme der Natur also gleich doppelt zugute. Es würde mehr regenerative Energie erzeugt und die Lippe parallel ökologisch aufgewertet. Die Anlage ist Teil des Klimaschutzkonzepts der Stadt Werne. Sie wird vom Kreis Unna als unterer Wasserbehörde und der Bezirksregierung Arnsberg als oberer Wasserbehörde ausdrücklich begrüßt. Weitere in Planung befindliche Wasserkraftprojekte gibt es beispielsweise an der Rur in der Eifel, der Urft, der Lippe und der Diemel.

Überzogene Genehmigungspraxis

Insgesamt erschweren langwierige und komplizierte Genehmigungsverfahren die Ausschöpfung der Wasserkraft. Die aktuelle Genehmigungspraxis verlangt umfangreiche Unterlagen und Gutachten, die viel Geld und Zeit kosten. Zudem blockieren der Wasserkraft gegenüber negativ eingestellte Behördenmitarbeitende oft Projekte aus vermeintlich ökologischen Gründen. Nicht selten führt das zu Genehmigungsverfahren von zehn und mehr Jahren.
Selbst kleine Änderungen am Standort, wie der Bau eines Fischaufstiegs oder die Erneuerung des Fischschutzes, werden als Gewässerausbau eingestuft. Unnötig umfangreiche Plangenehmigungsverfahren sind die Folge. Dabei würden die existierenden Standards bereits eine gute Funktion sicherstellen. Trotzdem wird meist jedes Detail geprüft, was zu einer Überfrachtung an Darlegungen, Nachweisen und Gutachten führt. Durch diese überzogene Genehmigungspraxis wird insbesondere das Repowering kleiner Wasserkraftanlagen verzögert, in vielen Fällen verhindert und führt teilweise sogar zur Aufgabe von Wasserkraftstandorten, die seit Jahrhunderten genutzt wurden.

Hürden abbauen

Um die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, müssen die Vorgaben aus dem Landeswassergesetz konsequent angewendet werden. Demnach haben die zuständigen Wasserbehörden innerhalb bestimmter Fristen über die Genehmigung einer Wasserkraftanlage zu entscheiden. Zudem muss das im Erneuerbare-Energien-Gesetz festgeschriebene überragende öffentliche Interesse an den Erneuerbaren in der Verwaltungspraxis besser berücksichtigt werden. Die bisherige Genehmigungspraxis konzentriert sich zu sehr auf mögliche Eingriffe durch Wasserkraftvorhaben, während die positiven Auswirkungen kaum oder gar nicht betrachtet werden. Das führt in der Regel zu Verfahren, die durch gewässerökologische Aspekte überfrachtet sind und das übergeordnete Ziel des Ausbaus oder der Modernisierung der klimafreundlichen Wasserkraft verfehlen.
Ob sich die bisherige restriktive Genehmigungspraxis unter der neuen Landesregierung ändert, wird der geplante Neubau an der Lippe in den kommenden Wochen und Monaten zeigen.

Philipp Hawlitzky

Der Autor, Philipp HawlitzkyPhilipp Hawlitzky ist stellvertretender Geschäftsführer beim Landesverband Erneuerbare Energien NRW e.V., dem Dachverband der Erneuerbaren Energien in Nordrhein-Westfalen. Zugleich ist der Wasserkraftexperte Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Nordrhein-Westfalen e.V. und der Interessengemeinschaft Wassernutzung NRW.



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