Künstliche IntelligenzAlgorithmus statt Bauchentscheidung
Elektromobilität boomt. Nicht zuletzt aufgrund staatlicher Förderungen beim Kauf eines E-Autos ist die Zahl der Neuzulassungen von reinen Elektrofahrzeugen und Plug-in-Hybriden enorm gestiegen. Im Vergleich dazu kommt der Ausbau des Ladesäulennetzes aber nur langsam voran.
Anbieter von Ladesäulen stehen gleich vor mehreren Herausforderungen. Der Betrieb geht mit hohen Kosten einher und lohnt sich erst bei einer hohen Auslastung. Der Standort einer Ladesäule hat Auswirkungen auf die Auslastung wie auch auf die Nutzungshäufigkeit – und somit auf die Wirtschaftlichkeit. Entsprechend wichtig ist es, Standorte zu identifizieren, die möglichst häufig frequentiert werden und eine lange Ladedauer aufweisen. Hier kommt künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel.
Menschen bewegen sich in Städten mit spezifischen Mustern und Zielen. Das gilt auch bei der Nutzung von Lade-Infrastruktur. Gründe für die Nutzung einer Ladesäule lassen sich in der geografischen Umgebung finden. Mithilfe historischer Nutzungsdaten von Lade-Infrastruktur und externer Geodaten hat der Stadtwerkeverbund Thüga in Kooperation mit dem Unternehmen Geospin einen KI-Algorithmus entwickelt, der solche geografischen Nutzungsmuster erkennt. Als Trainingsgrundlage werden von circa 6.000 Ladepunkten in Deutschland jeweils die Nutzungsdaten der vergangenen sechs Monate verwendet.
Ladepunkte identifizieren
Hinsichtlich der externen Geodaten ist die Analyse der fußläufig erreichbaren Umgebung relevant. Zu den Einflussfaktoren gehören beispielsweise Points of Interest wie Parkplätze, Einkaufsmöglichkeiten, Cafés oder Haltestellen des ÖPNV. Zusätzlich spielen Daten zur Bevölkerung wie die Bevölkerungsdichte oder die Altersstruktur eine Rolle.
Insgesamt berücksichtigt Geospin bei der so genannten Potenzialanalyse für Lade-Infrastruktur mehr als 800 Geodaten. Auf dieser Datenbasis berechnet der Algorithmus verlässlich deutschlandweit für jeden Standort die zu erwartende Auslastung eines Ladepunkts. Das ist auch für Regionen ohne Erfahrungswerte möglich. Der Algorithmus des Modells basiert dabei auf wissenschaftlich fundierten Methoden des maschinellen Lernens.
Die EVI Energieversorgung Hildesheim hat sich bereits im Juni 2020 entschieden, zur Identifikation weiterer Ladestandorte mit Geospin zusammenzuarbeiten. „Wir nutzen das interaktive Portal von Geospin als objektive Entscheidungsgrundlage für die Planung unserer öffentlichen und halböffentlichen Lade-Infrastruktur. Auch darüber hinaus sehen wir viel Potenzial und setzen das Portal bereits erfolgreich für die Bearbeitung anderer Themenfelder ein“, sagt Mustafa Sancar, Kaufmännischer Geschäftsführer der EVI.
Hohe Auslastung erkennen
Die Potenzialanalyse für Lade-Infrastruktur bietet Geospin über eine intuitive Web-Oberfläche an. Durch das Hinzufügen der Analyse auf der interaktiven Karte wird die voraussichtliche Auslastung eines Ladepunkts farblich dargestellt. „Wir können so schnell erkennen, in welchem Bereich unseres Versorgungsgebiets die prognostizierte Auslastung vergleichsweise hoch ausfällt“, erklärt Jan Rethmeier, der bei der Energieversorgung Hildesheim als Referent für Produkt-Management und Produktentwicklung zuständig ist. Die Analysewerte werden dabei nur für bebaute Gebiete ausgegeben, sodass sich der Versorger auf die relevanten Bereiche fokussieren kann.
Um den Ausbau der Lade-Infrastruktur planen zu können, musste die Energieversorgung Hildesheim zunächst analysieren, welche Parkplätze überhaupt als Standorte für Ladesäulen infrage kommen. Die entsprechenden Adressen wurden anschließend in der Web-Oberfläche hochgeladen und auf der interaktiven Karte betrachtet. „Die Zoom-Funktion sowie das Wechseln zur Satellitenansicht ermöglichen eine genaue Betrachtung der Parkplätze, die wir für weitere Ladepunkte in Betracht ziehen“, so Jan Rethmeier. „Für uns spielt auch eine Rolle, wo sich schon Ladestationen befinden. Nicht zuletzt deshalb, weil der Netzzugang bei der Planung und Umsetzung und somit dem wirtschaftlichen Erfolg einer Ladestation mitentscheidend ist. Daher haben wir uns die Standorte bereits existierender Ladestationen ebenfalls auf der interaktiven Karte anzeigen lassen. In Kombination mit der Potenzialanalyse für Lade-Infrastruktur und ihrer Filterfunktion lässt sich schnell erkennen, für welche der möglichen Parkplätze die höchste Auslastung zu erwarten ist. Das ist für uns besonders wichtig, denn wir möchten neue Ladepunkte dort bereitstellen, wo sie von den Nutzerinnen und Nutzern am dringendsten benötigt werden.“
Portal auch für Breitbandausbau einsetzbar
Nicht nur bei der Erweiterung der Lade-Infrastruktur, auch beim Breitbandausbau nutzt die Energieversorgung Hildesheim das Geospin-Portal. Nutzer können sich zum einen die Daten des Breitbandatlas des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr anzeigen lassen. Das erlaubt einen schnellen Überblick über den aktuellen Stand der Breitbandverfügbarkeit. Zum anderen steht im Portal eine Analyse bereit, die aufzeigt, wo sich besonders viele förderfähige Haushalte befinden. So lässt sich das schnelle Internet gezielt dort ausbauen, wo die Nachfrage am größten ist.
Die Möglichkeit, weitere Betrachtungen der Bebauung und Wohnsituation zu analysieren, nutzt die EVI, um gezielt die Verteilung von Ein- und Mehrfamilienhäusern in den einzelnen Stadtbereichen zu untersuchen. Potenziale sowie Chancen und Risiken lassen sich damit auf einfache Weise verifizieren. In Kombination mit den unzähligen weiteren Geodaten lassen sich direkte Rückschlüsse auf Bedarfe, Möglichkeiten, aber auch Einschränkungen in den Ausbauplänen ziehen.
„Wir sind davon überzeugt, dass Datenanalysen eine immer größere Rolle bei Unternehmensentscheidungen spielen werden“, sind sich Sancar und Rethmeier einig. „So lassen sich Bauchentscheidungen verifizieren und Fehlinvestitionen vermeiden.“
https://www.evi-hildesheim.de
https://www.geospin.de
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Januar/Februar 2022 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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