Freitag, 18. Oktober 2024

Stadtwerke Schwäbisch HallNetztransparenz durch virtuellen Klon

[20.07.2020] Eine Plattform erlaubt es den Stadtwerken Schwäbisch Hall, einen digitalen Zwilling der bestehenden Netze zu erzeugen. Mittels des virtuellen Klons lassen sich Planungen, Simulationen und Manipulationen in Echtzeit durchführen, ohne Auswirkungen auf den realen Netzbetrieb.
Die VEP zeigt einen Teil des Niederspannungsnetzes der Stadtwerke Schwäbisch Hall

Die VEP zeigt einen Teil des Niederspannungsnetzes der Stadtwerke Schwäbisch Hall, in dem auch Verbraucher und Erzeuger durch Icons eingezeichnet sind.

(Bildquelle: Stadtwerke Schwäbisch Hall)

Die Stadtwerke Schwäbisch Hall setzen seit ihrer Gründung im Jahr 1971 auf regenerative Energien und regionale Erzeugung. Im Netz des Energieversorgers wurden 2019 bilanziell rund 98 Prozent des Absatzes im Strombereich vor Ort erzeugt. Bei einer zeitgleichen Betrachtung der Produktion zum tatsächlichen Bedarf waren dies immer noch 80 Prozent. Von den erzeugten 317.457 Megawattstunden (MWh) Strom stammten rund 20 Prozent aus Photovoltaik, 37 Prozent aus Windkraft, 23 Prozent aus Biomasse, 18 Prozent aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) und etwa zwei Prozent aus Wasserkraft.

Enorme Ansprüche an die Netze

Klar ist, dass der hohe Anteil an erneuerbaren Energien Herausforderungen für die Stadtwerke mit sich bringt. Schließlich wurde die Infrastruktur der Stromversorgung in Deutschland nicht für die Energiewende konzipiert. Die Volatilität der Einspeisung aus Wind- und Solarstrom stellt enorme Ansprüche an die Netze. Zur Vermeidung von Engpässen sind im Netz des regionalen Energieversorgers fossile und steuerbare Biogas-KWK-Anlagen sowie Wärmespeicher zur Entkopplung von Wärmebedarf und Stromerzeugung im Einsatz. Dies ist wiederum nur deshalb möglich, weil die Stadtwerke kontinuierlich auf den Ausbau von Wärmenetzen gesetzt haben, selbst mehr als 60 Blockheizkraftwerke betreiben und knapp 200.000 MWh Wärme absetzen.
Neue Elemente wie Stromspeicher und Lade-Infrastruktur für die Elektromobilität bedeuten zusätzliche Aufgaben für die Netze und deren Steuerung. In den bestehenden Verteilnetzen steigt daher die Bedeutung, das Zusammenwirken von Einspeiseanlagen, Speichern und der Lade-Infrastruktur zu analysieren. Gleichzeitig ergibt sich daraus der Bedarf, bei der Planung weiterer Anlagen das Zusammenspiel der Netzkomponenten zu simulieren, um die Stabilität jederzeit sicherzustellen.

Cloudbasierte Software-Lösung

Genau an diesen Stellen kann das Potenzial der Digitalisierung voll genutzt werden. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall haben sich für die Einführung der Venios Energy Platform (VEP) entschieden, eine cloudbasierte Software-Lösung der Firma Venios. Die VEP erlaubt, vereinfacht gesagt, eine Transparenz im Nieder- und Mittelspannungsnetz, indem sie einen digitalen Zwilling der bestehenden Netze erzeugt. Mittels des virtuellen Klons lassen sich Planungen, Simulationen und Manipulationen in Echtzeit durchführen, ohne Auswirkungen auf den realen Netzbetrieb.
Der Energieversorger hat etwa ein Jahr investiert, bis die VEP einsatzbereit war. Grund ist der Anspruch des Unternehmens an die Qualität der ins System eingespielten Daten. Die Plattform bündelt alle netzrelevanten Daten aus verschiedenen Systemen. Hierzu zählen das Geo-Informationssystem (GIS), das Asset-Management-System, das Energiedaten-Management-System, das Netzleit- sowie das Abrechnungssystem. Darüber hinaus kann die Software weitere Messwerte aus dem Netzbetrieb, Wetterdaten sowie sozioökonomische Informationen aufnehmen und verarbeiten. Das fördert die Prognosegüte der Lasten im Niederspannungsnetz. Die Erfahrung aus dem Energieoptimierungssystem EnergyOpticon, das bei den Stadtwerken für den Kraftwerke- und Fernwärmebetrieb im Einsatz ist, hat von Anfang an zur Stabilisierung der Prognosewerte beigetragen.

Teil des Auskunftswesens

Hinsichtlich der Daten haben die Stadtwerke zwei Schwerpunkte gelegt. In einem ersten Schritt wurden die Daten zur Netztopologie aus dem GIS übernommen. Der Fokus lag dabei auf der Datenkonsistenz zwischen dem Layer der Netzanschlüsse und der Leitungsenden, da diese im VEP zusammenlaufen und die physische Verbindung herstellen. In einem zweiten Schritt wurden die Daten zu den Netzanschlüssen um weitere Informationen ergänzt, die nicht im GIS hinterlegt sind. Bevor die Daten aus dem Geo-Informationssystem in die Venios Energy Platform migriert werden konnten, mussten sie zeitaufwendig im Ursprungssystem bereinigt werden. Die Überführung der Koordinaten erfolgte über eine Schnittstelle, die einen Import der gesamten Netztopologie möglich macht.
Der digitale Zwilling des Netzes wird beim Energieversorger als Teil des Auskunftswesens hauptsächlich bei der Planung und Genehmigung von neuen Anlagen eingesetzt. Im Bereich der Netzführung unterstützt die VEP bei Planung und Durchführung von Bau- oder Interimsmaßnahmen. Über die Simulationen kann ermittelt werden, wie sich eine Maßnahme im Netz auf die Einhaltung der Betriebsmittelgrenzen auswirkt und mit welchen Maßnahmen sich gegebenenfalls einer Überlastung entgegenwirken lässt.

Netzkritische Situationen vorab erkennen

Größter Vorteil ist die Zeitersparnis, da der Mitarbeiter nicht die Papierunterlagen zur Hand nehmen und manuell die Leistungen in den Netzsträngen nachrechnen muss. Mithilfe der Software lassen sich neue Anlagen per Drag-and-drop in die bestehende Netztopologie einfügen. Ein weiterer positiver Effekt ergibt sich im Bereich der Differenzzeitreihe im Netz. Anpassungen von Standardlastprofilen führen zu einer Reduktion der Differenzzeitreihe. Erste Simulationen und Anpassungen bestätigten die Einschätzung der Stadtwerke von möglichen Einsparungen in Höhe von mehreren 10.000 Euro.
Unter dem Namen ASCARI bieten die Stadtwerke Schwäbisch Hall aus der eigenen Querverbundleitwarte heraus verschiedene Services für Netzbetreiber an. Dazu gehört die Unterstützung bei Aufgaben wie Netzführung, Störungserfassung, Reporting, Überwachung, Netzumschaltungen und Monitoring. In dieser Funktion als Dienstleister sowie in ihrer Rolle als Smart-Gateway-Administrator haben die Stadtwerke mit dem Einsatz der VEP das Ziel verbunden, netzkritische Situationen vorab zu erkennen und Maßnahmen zur Vermeidung abzuleiten. Aktuell beschränkt sich die Nutzung der Plattform auf den eigenen Netzbetrieb. Allerdings schließen die Stadtwerke nicht aus, dass sich weitere Dienstleistungen und Services ergeben, die dann insbesondere für kleinere und mittlere Verteilnetzbetreiber als Projektpartner auf Augenhöhe angeboten werden können.

Katalysator für die Energiewende

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Venios-Plattform ein Katalysator für die Energiewende sein kann. Die Energiewende findet bei den Bürgern und damit auch im Niederspannungsnetz statt. Genau an dieser Stelle müssen die Energiedienstleister dafür sorgen, dass sich die Kunden in intelligente Netze einfügen lassen. Dafür ist ein vollautomatisierter Datenaustausch unerlässlich. Zum einen können neue Anlagen oder Akteure schnell und zuverlässig geplant werden. Zum anderen schaffen es die Unternehmen nur auf diese Weise, Kooperationsmodelle, spezielle Vergütungen oder innovative Tarifmodelle anzubieten, damit sich die Kunden auch netzdienlich verhalten. Die intelligente Vernetzung der Technik mit der Abrechnung schafft Freiräume für die Endkunden, aber auch für die Stadtwerke.

Gebhard Gentner

Gentner, GebhardGebhard Gentner ist einer der beiden Geschäftsführer der Stadtwerke Schwäbisch Hall. Der Diplom-Ingenieur der Versorgungstechnik verantwortet den Betrieb der Netzinfrastruktur sowie die Bereiche Energieerzeugung, Planung und Projektierung, Contracting und Projektentwicklung, das Facility Management und den Bäderbetrieb.



Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Netze | Smart Grid
Netzleitstand: Eine minutenaktuelle Netzzustandserfassung löst bei Bedarf eine dynamische Ad-hoc-Steuerung aus.

Netzsteuerung: Grenzen Digitaler Zwillinge

[15.10.2024] Mit einer Kombination aus Digitalem Zwilling und Niederspannungsleitsystem können Netzbetreiber einen wichtigen Teil der §14a-Prozesse umsetzen. Der letzte noch fehlende Baustein ist ein massendatenfähiges Flexibilitätsmanagement. mehr...

Abgebildtet ist das Umspannwerk Mentzing mit Supraleiter-Kabel im Vordergrund.

München: Erster Supraleiter in Betrieb

[11.10.2024] Der Netzbetreiber SWM Infrastruktur hat zusammen mit Partnern einen 110.000-Volt-Supraleiter entwickelt und im Münchner Stromnetz erfolgreich getestet. Der Prototyp könnte die Grundlage für die Stromversorgung der Zukunft bilden. mehr...

Einfach und schnell: Der Einbau der Smight-Technologie erfolgt von den Mitarbeitenden selbst.

Stadtwerke Frankenthal: Lösungen für ein stabiles Stromnetz

[26.09.2024] Um ihr Stromnetz besser überwachen und planen zu können, setzen die Stadtwerke Frankenthal auf die Messlösung SMIGHT Grid2. Damit wollen sie Überlastungen frühzeitig erkennen und das Netz fit für die Zukunft machen. mehr...

Oberhausener Netzgesellschaft rüstet ihre Ortsnetzstationen mit SMIGHT Grid2 aus.

OB Netz: Digitale Netztransparenz

[09.09.2024] Die Oberhausener Netzgesellschaft nutzt jetzt Echtzeitdaten, um ihr Niederspannungsnetz besser zu überwachen und effizienter zu planen. Mit der neuen Sensorik von Smight können Stromflüsse und Spannungen minutengenau erfasst werden. mehr...

Neues Umspannwerk: Stadtwerke Bochum reagieren auf den steigenden Strombedarf.

Stadtwerke Bochum: Neues Umspannwerk in Betrieb

[02.09.2024] Nach vierjähriger Bauzeit haben die Stadtwerke Bochum ein neues Umspannwerk in Betrieb genommen. Die Anlage soll den steigenden Energiebedarf decken und die Energieversorgung des innovativen Bochumer Gewerbegebiets MARK 51°7 sicherstellen. mehr...

Messtechnik: Nachrüst-Lösung für Ortsnetzstationen

[23.08.2024] Um Netzbetreibern eine einfache und schnelle Umrüstung ihrer Messtechnik gemäß den Anforderungen des Energiewirtschaftsgesetzes zu ermöglichen, hat Socomec eine modulare All-in-One-Lösung entwickelt. mehr...

rku.it: SW Magdeburg ist Neukunde

[14.08.2024] rku.it hat die Städtischen Werke Magdeburg als Neukunde im Bereich SMGWA und MDM gewonnen. mehr...

Umspannwerk: Stadtwerk am See simuliert das Stromnetz der Zukunft.

Stadtwerk am See: Mit KI zur Netzstabilität

[12.08.2024] In einem Forschungsprojekt hat das Stadtwerk am See einen intelligenter Regler entwickelt, der mithilfe von KI das Stromnetz überwachen und in Echtzeit stabilisieren kann. Ziel ist es, die Netze effizienter zu machen und unnötigen Ausbau zu vermeiden. mehr...

Spatenstich für neues Schalthaus: Stadtwerke Bayreuth investieren in das Stromnetz der Zukunft.

Stadtwerke Bayreuth: Modernes Schalthaus im Bau

[09.08.2024] Die Stadtwerke Bayreuth investieren fünf Millionen Euro in ein neues Schalthaus. In den Bau fließen Erkenntnisse aus einem Forschungsprojekt zum Stromnetz der Zukunft ein. mehr...

Mitnetz Strom erneuert

Mitnetz Strom: Investitionen in Südsachsen

[08.08.2024] Mitnetz Strom erhöht seine Investitionen im Jahr 2024, um das Stromnetz in der Region Südsachsen auszubauen und zu modernisieren. Ziel ist es, die Versorgungssicherheit zu verbessern und den Anforderungen der Energiewende gerecht zu werden. mehr...

Smight: Ganzheitliches Sicherheitskonzept

[01.08.2024] Das Unternehmen Smight hat die Zertifizierung nach ISO 27001 erhalten. Diese Zertifizierung bestätigt das Engagement des Unternehmens für höchste Standards in der Informationssicherheit, insbesondere im Bereich Kritischer Infrastrukturen. mehr...

Der Einbau von Test-Smart-Metern in die Haushalte der Bürgerinnen und Bürger unterstützt das virtuelle Abbild eines Stromnetzes in Karlsruhe.

Karlsruhe: Digitaler Zwilling des Stromnetzes

[31.07.2024] Die Stadtwerke Karlsruhe Netzservice und das Karlsruher Institut für Technologie entwickeln jetzt einen Digitalen Zwilling des Karlsruher Stromnetzes, um die Netzstabilität langfristig zu sichern. Dabei wird ein Ortsnetz im Stadtteil Neureut detailgetreu nachgebildet. mehr...

50Hertz: Ostwind 2 vorzeitig in Betrieb

[17.07.2024] Die Offshore-Netzanbindung Ostwind 2 von 50Hertz ist vorzeitig in Betrieb genommen worden. Nach erfolgreichem Probebetrieb werden die Windparks Arcadis Ost 1 und Baltic Eagle nun nahezu drei Monate früher als geplant ans Netz angeschlossen. mehr...

Die Stadtwerke Nettetal setzen auf SMIGHT Grid2

Stadtwerke Nettetal: Echtzeitdaten für effiziente Netzplanung

[12.07.2024] Die Stadtwerke Nettetal setzen auf SMIGHT Grid2, um ihr Niederspannungsnetz zukunftssicher zu machen. Echtzeitdaten ermöglichen eine präzisere Netzplanung und helfen, die wachsende Zahl von Photovoltaikanlagen und Ladestationen zu bewältigen. mehr...

Die Stadtwerke Schwäbisch Hall arbeiten daran

Stadtwerke Schwäbisch Hall: Erweiterung des Umspannwerks

[12.07.2024] Die Stadtwerke Schwäbisch Hall erweitern ihr Umspannwerk in der Robert-Bosch-Straße, um die Kapazität zu verdoppeln und den Anforderungen der Energiewende gerecht zu werden. Der erste Bauabschnitt hat bereits begonnen und soll im Herbst 2025 abgeschlossen sein. mehr...