Stadtwerke Schwäbisch HallNetztransparenz durch virtuellen Klon
Die Stadtwerke Schwäbisch Hall setzen seit ihrer Gründung im Jahr 1971 auf regenerative Energien und regionale Erzeugung. Im Netz des Energieversorgers wurden 2019 bilanziell rund 98 Prozent des Absatzes im Strombereich vor Ort erzeugt. Bei einer zeitgleichen Betrachtung der Produktion zum tatsächlichen Bedarf waren dies immer noch 80 Prozent. Von den erzeugten 317.457 Megawattstunden (MWh) Strom stammten rund 20 Prozent aus Photovoltaik, 37 Prozent aus Windkraft, 23 Prozent aus Biomasse, 18 Prozent aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) und etwa zwei Prozent aus Wasserkraft.
Enorme Ansprüche an die Netze
Klar ist, dass der hohe Anteil an erneuerbaren Energien Herausforderungen für die Stadtwerke mit sich bringt. Schließlich wurde die Infrastruktur der Stromversorgung in Deutschland nicht für die Energiewende konzipiert. Die Volatilität der Einspeisung aus Wind- und Solarstrom stellt enorme Ansprüche an die Netze. Zur Vermeidung von Engpässen sind im Netz des regionalen Energieversorgers fossile und steuerbare Biogas-KWK-Anlagen sowie Wärmespeicher zur Entkopplung von Wärmebedarf und Stromerzeugung im Einsatz. Dies ist wiederum nur deshalb möglich, weil die Stadtwerke kontinuierlich auf den Ausbau von Wärmenetzen gesetzt haben, selbst mehr als 60 Blockheizkraftwerke betreiben und knapp 200.000 MWh Wärme absetzen.
Neue Elemente wie Stromspeicher und Lade-Infrastruktur für die Elektromobilität bedeuten zusätzliche Aufgaben für die Netze und deren Steuerung. In den bestehenden Verteilnetzen steigt daher die Bedeutung, das Zusammenwirken von Einspeiseanlagen, Speichern und der Lade-Infrastruktur zu analysieren. Gleichzeitig ergibt sich daraus der Bedarf, bei der Planung weiterer Anlagen das Zusammenspiel der Netzkomponenten zu simulieren, um die Stabilität jederzeit sicherzustellen.
Cloudbasierte Software-Lösung
Genau an diesen Stellen kann das Potenzial der Digitalisierung voll genutzt werden. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall haben sich für die Einführung der Venios Energy Platform (VEP) entschieden, eine cloudbasierte Software-Lösung der Firma Venios. Die VEP erlaubt, vereinfacht gesagt, eine Transparenz im Nieder- und Mittelspannungsnetz, indem sie einen digitalen Zwilling der bestehenden Netze erzeugt. Mittels des virtuellen Klons lassen sich Planungen, Simulationen und Manipulationen in Echtzeit durchführen, ohne Auswirkungen auf den realen Netzbetrieb.
Der Energieversorger hat etwa ein Jahr investiert, bis die VEP einsatzbereit war. Grund ist der Anspruch des Unternehmens an die Qualität der ins System eingespielten Daten. Die Plattform bündelt alle netzrelevanten Daten aus verschiedenen Systemen. Hierzu zählen das Geo-Informationssystem (GIS), das Asset-Management-System, das Energiedaten-Management-System, das Netzleit- sowie das Abrechnungssystem. Darüber hinaus kann die Software weitere Messwerte aus dem Netzbetrieb, Wetterdaten sowie sozioökonomische Informationen aufnehmen und verarbeiten. Das fördert die Prognosegüte der Lasten im Niederspannungsnetz. Die Erfahrung aus dem Energieoptimierungssystem EnergyOpticon, das bei den Stadtwerken für den Kraftwerke- und Fernwärmebetrieb im Einsatz ist, hat von Anfang an zur Stabilisierung der Prognosewerte beigetragen.
Teil des Auskunftswesens
Hinsichtlich der Daten haben die Stadtwerke zwei Schwerpunkte gelegt. In einem ersten Schritt wurden die Daten zur Netztopologie aus dem GIS übernommen. Der Fokus lag dabei auf der Datenkonsistenz zwischen dem Layer der Netzanschlüsse und der Leitungsenden, da diese im VEP zusammenlaufen und die physische Verbindung herstellen. In einem zweiten Schritt wurden die Daten zu den Netzanschlüssen um weitere Informationen ergänzt, die nicht im GIS hinterlegt sind. Bevor die Daten aus dem Geo-Informationssystem in die Venios Energy Platform migriert werden konnten, mussten sie zeitaufwendig im Ursprungssystem bereinigt werden. Die Überführung der Koordinaten erfolgte über eine Schnittstelle, die einen Import der gesamten Netztopologie möglich macht.
Der digitale Zwilling des Netzes wird beim Energieversorger als Teil des Auskunftswesens hauptsächlich bei der Planung und Genehmigung von neuen Anlagen eingesetzt. Im Bereich der Netzführung unterstützt die VEP bei Planung und Durchführung von Bau- oder Interimsmaßnahmen. Über die Simulationen kann ermittelt werden, wie sich eine Maßnahme im Netz auf die Einhaltung der Betriebsmittelgrenzen auswirkt und mit welchen Maßnahmen sich gegebenenfalls einer Überlastung entgegenwirken lässt.
Netzkritische Situationen vorab erkennen
Größter Vorteil ist die Zeitersparnis, da der Mitarbeiter nicht die Papierunterlagen zur Hand nehmen und manuell die Leistungen in den Netzsträngen nachrechnen muss. Mithilfe der Software lassen sich neue Anlagen per Drag-and-drop in die bestehende Netztopologie einfügen. Ein weiterer positiver Effekt ergibt sich im Bereich der Differenzzeitreihe im Netz. Anpassungen von Standardlastprofilen führen zu einer Reduktion der Differenzzeitreihe. Erste Simulationen und Anpassungen bestätigten die Einschätzung der Stadtwerke von möglichen Einsparungen in Höhe von mehreren 10.000 Euro.
Unter dem Namen ASCARI bieten die Stadtwerke Schwäbisch Hall aus der eigenen Querverbundleitwarte heraus verschiedene Services für Netzbetreiber an. Dazu gehört die Unterstützung bei Aufgaben wie Netzführung, Störungserfassung, Reporting, Überwachung, Netzumschaltungen und Monitoring. In dieser Funktion als Dienstleister sowie in ihrer Rolle als Smart-Gateway-Administrator haben die Stadtwerke mit dem Einsatz der VEP das Ziel verbunden, netzkritische Situationen vorab zu erkennen und Maßnahmen zur Vermeidung abzuleiten. Aktuell beschränkt sich die Nutzung der Plattform auf den eigenen Netzbetrieb. Allerdings schließen die Stadtwerke nicht aus, dass sich weitere Dienstleistungen und Services ergeben, die dann insbesondere für kleinere und mittlere Verteilnetzbetreiber als Projektpartner auf Augenhöhe angeboten werden können.
Katalysator für die Energiewende
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Venios-Plattform ein Katalysator für die Energiewende sein kann. Die Energiewende findet bei den Bürgern und damit auch im Niederspannungsnetz statt. Genau an dieser Stelle müssen die Energiedienstleister dafür sorgen, dass sich die Kunden in intelligente Netze einfügen lassen. Dafür ist ein vollautomatisierter Datenaustausch unerlässlich. Zum einen können neue Anlagen oder Akteure schnell und zuverlässig geplant werden. Zum anderen schaffen es die Unternehmen nur auf diese Weise, Kooperationsmodelle, spezielle Vergütungen oder innovative Tarifmodelle anzubieten, damit sich die Kunden auch netzdienlich verhalten. Die intelligente Vernetzung der Technik mit der Abrechnung schafft Freiräume für die Endkunden, aber auch für die Stadtwerke.
https://venios.de
Dieser Beitrag ist im Juni Sonderheft 2020 von stadt+werk zur Digitalisierung der Energiewirtschaft erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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