ElektromobilitätLadepunkte richtig setzen
Die Elektromobilität kommt. In diesem Jahr rollen in Deutschland zum ersten Mal im Minutentakt Elektroautos vom Band. Und die europäischen Flottengrenzwerte setzen die Produzenten zusätzlich unter Druck: Verkaufte Autos eines Herstellers müssen im Mittel einen bestimmten Kohlenstoffdioxid-Grenzwert einhalten. Dies führt zu einer Rabattschlacht. Der Marktanteil von E-Autos in Deutschland wird nun deutlich steigen. Die zum Laden der E-Autos benötigte Infrastruktur ist bisher allerdings nur eingeschränkt vorhanden. Zudem stellt der Lade-Infrastruktur-Ausbau Marktakteure vor ein Investitionsproblem. Ladepunkte zu bauen, ist teuer und langwierig, schlecht genutzte Ladepunkte sind sogar unwirtschaftlich. Aber wie können die perfekten Standorte gefunden werden, und wie können diese schnell ans Netz gehen?
Fördergelder sind reichlich vorhanden: Das große Lade-Infrastruktur (LIS)-Förderprogramm der Bundesregierung wurde gerade von 300 Millionen Euro auf 3,5 Milliarden aufgestockt. Gefördert wird bis 2023 die Tank- und Lade-Infrastruktur für Autos und Lastkraftwagen mit CO2-freien Antrieben, also neben E-Ladepunkten auch beispielsweise Wasserstoff-Tankstellen.
Standort-Tool in der Entwicklung
Im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur wird aktuell ein Standort-Tool entwickelt. Daran beteiligt sind die Ingenieurgruppe IVV, die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), das Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt sowie das Reiner Lemoine Institut in Berlin. Dieses Werkzeug soll zeigen, welche Orte sich besonders für Investitionen eignen und zwar auf Basis verschiedener standortbezogener Daten, soziodemografischer Faktoren, der Beschaffenheit der vorhandenen Stromnetze und des Verkehrs. Am Ende des Projekts soll eine Karte entstehen, welche die Ergebnisse der Bewertungen von Standorten für die Infrastruktur alternativer Kraftstoffe zeigt.
Wichtigster Punkt für ein langfristig funktionierendes System bleibt jedoch die Wirtschaftlichkeit. Stadtwerke haben dabei einen Heimvorteil und können sich früh die besten Standorte sichern. Schon jetzt helfen digitale Tools dabei, diese zu finden. Hierzu gehört etwa der Fast Finder des Berliner Start-ups Localiser. Localiser setzt auf Datenanalyse und Geodaten, analysiert Standortfaktoren und gewichtet diese so, dass die besten und wirtschaftlichsten Standorte automatisch identifiziert werden können.
Drei Kriterien
Worauf es bei der Suche ankommt, lässt sich in drei Kriterien zusammenfassen: Zunächst sollte die bestehende Lade-Infrastruktur betrachtet werden. Wo sind schon Ladepunkte installiert und welchen Bedarf decken diese ab? Entsprechend sollten neue in sinnvoller Ergänzung geplant werden. Informationen über bestehende Ladepunkte sind online auffindbar über Datenbanken oder Landkarten der Anbieter.
Das zweite Kriterium ist das lokale Elektromobilitätspotenzial: Wo genau sind in der Stadt die Hotspots im Hochlauf der Elektromobilität. Forschungsprojekte haben ergeben, dass eine Reihe von soziodemografischen Parametern hierfür ausschlaggebend ist. Es geht im Kern um folgende Fragen: Wie ist die Verteilung von Einfamilienhäusern im Vergleich zu Mehrfamilienhäusern? Wie ist die Altersstruktur in der Umgebung, wie ist die Kaufkraft? Wertet man diese Daten aus, identifiziert man die Gegenden mit dem größten Wachstumspotenzial.
Points of Interest im Versorgungsgebiet
Drittens, der Ladebedarf und die passende Technik: Aktuell findet ein Großteil der Ladevorgänge noch zu Hause statt. Wenn die Anzahl der E-Fahrzeuge steigt, werden immer mehr Personen auch auf der Arbeit laden wollen, beim Einkaufen oder in anderen Situationen, in denen das Auto länger als fünfzehn Minuten parkt. Bedarfsgerechte Verteil-Algorithmen können diese Standorte identifizieren und Entscheidungshilfen anbieten, welche Ladeleistung oder -technik die passende ist. Und für Stadtwerke lohnt sich der Blick auf die Points of Interest im Versorgungsgebiet, denn die dort vorhandenen Parkplätze können in Kooperation mit den Parkplatzbetreibern in Ladestandorte umgewandelt werden.
Für den konkreten E-Mobility-Hochlauf an diesen Standorten liefert Localiser dann noch die Zahlen, sodass sich die Wirtschaftlichkeit der Ladepunkte berechnen und vergleichen lässt.
Geodatenbasierte Kundenanalyse nutzen
Stadtwerke können dadurch schneller ein gutes Ladenetz im eigenen Versorgungsgebiet schaffen, als das per Hand möglich wäre – und so die besten Standorte erschließen. Neue Geschäftsfelder sind dabei ebenfalls denkbar, wie etwa die geodatenbasierte Kundenanalyse. Mit ihrer Hilfe lassen sich ganz analog zur Suche von geeigneten Standorten auch so genannte High Potential Regions, also Regionen mit großem Potenzial, identifizieren, in denen gezielt private Ladetechnik wie Wallboxen vermarktet werden kann. Digitale Lösungen können demnach sowohl den Aufbau der öffentlichen, wie auch der halb-öffentlichen und privaten Lade-Infrastruktur beschleunigen.
DIN-Spezifikation erarbeitet
Ein weiteres Hindernis beim Ausbau wird gerade vom Deutschen Institut für Normung aufgelöst: die bislang fehlende Standardisierung. Gemeinsam mit dem Reiner Lemoine Institut, hat Localiser die DIN-Spezifikation 91433 zur automatisierten Standortsuche erarbeitet. Diese beinhaltet einen Leitfaden zur Suchraum- und Standortidentifizierung sowie Empfehlungen für Melde- und Genehmigungsverfahren. Für Stadtwerke bedeutet das neben klareren Prozessen vor allem eine verbesserte Planungssicherheit.
Es ist also ein guter Zeitpunkt für gezielte Investitionen: Der steigende Bedarf zeichnet sich deutlich ab, die Planungssicherheit ist gegeben und der Planungsaufwand ist durch die vorhandenen digitalen Tools geringer denn je. Eine aktive Rolle der Stadtwerke bietet dabei nicht nur Potenziale für die Stadtentwicklung, sondern auch wirtschaftliche Chancen.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Mai/Juni 2020 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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