Mittwoch, 20. November 2024

ÖhringenDie Wasserstoff-Insel

[05.06.2020] Ein Pilotprojekt in Öhringen soll die Sektorkopplung voranbringen. Netze BW testet, wie viel Wasserstoff das Erdgasnetz verträgt, ohne dass es zu Beeinträchtigungen des Betriebs kommt. Bis zu 30 Prozent grünes Gas sollen beigemischt werden.
Für das Projekt Wasserstoff-Insel werden 20 Hausanschlüssen vom Gasnetz abgekoppelt.

Für das Projekt Wasserstoff-Insel werden 20 Hausanschlüssen vom Gasnetz abgekoppelt.

(Bildquelle: Netze BW)

In Phasen hoher regenerativer Erzeugung muss zunehmend in den Netzbetrieb eingegriffen werden. Um eine stabile Stromversorgung sicherzustellen, müssen vor allem Windenergie- oder auch Photovoltaikanlagen gedrosselt oder gar abgeschaltet werden. Das kann sich das Energiesystem angesichts des Atom- und des beschleunigten Kohleausstiegs jedoch auf Dauer nicht leisten. Batteriespeicher in der benötigten Größenordnung werden auch in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen. Das Erdgasnetz mit seinen riesigen Kapazitäten gilt hier als vielversprechende Alternative – wenn es mit Power-to-Gas-Anlagen verknüpft wird.

Spannende Innovationen

Branchenweit gibt es bereits eine Reihe von Projekten zur Forschung und Entwicklung, wie das Rohrleitungssystem die Energiewende stützen kann. Im Versorgungsgebiet von Energie Baden-Württemberg (EnBW) treiben unter anderem die Unternehmen Energiedienst aus Rheinfelden und ZEAG aus Heilbronn spannende Innovationen voran. Die EnBW-Tochter Netze BW verfolgt einen deutschlandweit bislang einmaligen Ansatz: Es soll gezeigt werden, dass und wie eine Beimischung von bis zu 30 Prozent Wasserstoff im Erdgasnetz für Kunden, Gerätehersteller und natürlich für die Netzinfrastruktur realisierbar ist. Das Pilotprojekt soll zudem den praktischen Beleg erbringen, dass eine zuverlässige Gasversorgung mit deutlich weniger CO2 möglich ist.

Versuchsnotwendige Anlagen

Auf der Suche nach einem geeigneten Netzgebiet wurde Netze BW in Öhringen fündig. In der hohenlohischen Stadt befindet sich eine eigene ans Gasnetz angeschlossene Niederlassung mit genügend Platz für weitere versuchsnotwendige Anlagen. Außerdem lässt sich im direkten Umfeld ein Abschnitt mit rund zwanzig Hausanschlüssen unkompliziert als Inselnetz abtrennen.
Auf dem Betriebsgelände errichtet Netze BW, so sich das unter den Corona-Vorzeichen noch realisieren lässt, ab Sommer 2020 einen Elektrolyseur mit einer Leistung von 300 Kilowatt elektrisch (kWel), der pro Stunde bis zu 60 Normkubikmeter Wasserstoff erzeugen kann. Das Gas wird über eine für das Projekt eigens zu installierende Einspeiseanlage direkt dem Erdgasnetz zugeführt. Der beigemischte Anteil wird nach und nach auf bis zu 30 Prozent erhöht. Dabei wird minutiös untersucht, wie sich das auf die relevanten Komponenten und Prozesse auswirkt.

Zusammenspiel aus Erzeugung und Einspeisung

Im Mittelpunkt stehen zunächst die Rohrleitungen sowie die Sicherheits- und Messtechnik. Ein nicht zu unterschätzender, fundamentaler Aspekt dabei ist, wie sich der Verbrauch von Mischgasen und die darauf basierende Abrechnung eichrechtlich konform gestalten lassen. Aus Sicht der Netzkunden, aber auch der Hersteller, ist eine ganz andere Frage von höchster Bedeutung: Funktionieren die Geräte genauso zuverlässig? Bringt das Gemisch möglicherweise höheren Verschleiß oder intensivere Wartungstätigkeiten mit sich? Und falls ja, mit welchen Maßnahmen ließe sich dem entgegenwirken?
In Phase eins, die zur kommenden Heizperiode starten soll, beschränkt sich Netze BW ganz bewusst auf den eigenen Standort. Erst wenn das Zusammenspiel aus Erzeugung und Einspeisung optimal funktioniert und die Versorgung der eigenen Gebäude stabil läuft, kann Phase zwei in den angrenzenden Straßenzügen beginnen. Dazu wird der ausgewählte Bereich mit etwa zwanzig Hausanschlüssen von der umliegenden Infrastruktur abgekoppelt. Daraus leitet sich auch der Name „Wasserstoff-Insel Öhringen“ für das Projekt ab, das bis Anfang 2023 laufen soll.

Viele Akteure

Schon während der ersten Überlegungen und Vorarbeiten wurde klar, dass sehr viele Akteure in so ein Vorhaben einzubeziehen sind, wenn es denn wegweisende Erkenntnisse bringen soll. Grundlage ist zunächst, dass die Verbraucher die Bedeutung der Tests nachvollziehen und entsprechend mitmachen. Im Rahmen eines Informationsabends hat das Projekt-Team die angewandte Technik und das geplante Vorgehen erläutert. Über den gesamten Testzeitraum wird ein enger Austausch mit den Teilnehmern gepflegt. Erfreulicherweise erhielt das Projekt schnell eine klare Unterstützung von der Rathausspitze und dem Gemeinderat.
Auch die Hersteller von Gasgeräten und Messtechnik müssen bereit sein, Neuland zu betreten. Das Regelwerk des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs (DVGW) sieht nur eine zehnprozentige Beimischung von Wasserstoff vor. Die gängigen Geräte für Heizung und Warmwasser müssen mit einem Gasgemisch mit 23 Prozent Wasserstoff getestet werden. Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass 30 Prozent Beimischung machbar sind. Informations- und Abstimmungsbedarf besteht insbesondere vor Ort mit den Installateuren und Schornsteinfegern, der Feuerwehr und technischen Gutachtern.

Technische und regulatorische Rahmenbedingungen

Bevor aus der Insel eine flächendeckende Lösung werden kann, müssen viele technische und regulatorische Rahmenbedingungen angepasst werden. Lässt sich im Praxistest beweisen, dass schon heute eine Beimischung von bis zu 30 Prozent Wasserstoff im realen Netzbetrieb möglich ist, werden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum einen bietet Netze BW einen Lösungsansatz für eine signifikante CO2-Reduzierung bei der Gasversorgung. Und zum anderen wird ein weiterer Weg aufgezeigt, wie sich das Speicherproblem bei der regenerativen Energieerzeugung schneller in den Griff bekommen lässt.

Dr. Heike Grüner ist Leiterin des Projekts „Wasserstoff-Insel Öhringen“ bei Netze BW.

Baustein der Energiewende, Das Erdgasnetz bietet mit seinem deutschlandweit über 500.000 Kilometer langen Rohrleitungssystem ein enormes Speicherpotenzial. Martin Konermann, Geschäftsführer Technik bei Netze BW, ist überzeugt: „Damit wird die Erdgas-Infrastruktur zu einem wichtigen Baustein der Energiewende.“ Baden-Württembergs größtes Netzunternehmen für Strom, Gas und Wasser will darum den Praxisbeleg erbringen, dass das bestehende Erdgasnetz schon heute eine klimaschonende Energieversorgung ermöglicht.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Bioenergie
Das Bild zeigt eine Bioenergieanlage.

FNR: Lokale Ressourcen nutzen

[18.11.2024] Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) stellt einen neuen Leitfaden vor, der Gemeinden bei der Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung unterstützt. mehr...

Bioenergieanlagen: Gefahr im Verzug

[14.11.2024] Die Bioenergieverbände fordern eine Übergangslösung im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), um hunderte von der Stilllegung bedrohte Bioenergieanlagen zu schützen. Das von der Bundesregierung angekündigte Biomassepaket müsse zumindest in Teilen noch vor der Bundestagsneuwahl umgesetzt werden. mehr...

Das Bild zeigt eine Biogasanlage, zu sehen sind Fermenter, Gasspeicher und die Gasaufbereitungsanlage.

dena-Branchenbarometer: Neue Chancen für Biomethan

[25.10.2024] Trotz wirtschaftlicher Turbulenzen steigt das Interesse an neuen Biomethanprojekten. Das Gebäudeenergiegesetz und der Umbau der Gasnetze bieten der Branche vielversprechende Perspektiven, zeigt das dena-Branchenbarometer Biomethan. mehr...

Zu sehen ist die Startseite der Biodgas-Kampagne, dort steht: Biogas ist Zukunft - Schon heute.

Kampagne: Vorteile von Biogas in den Fokus rücken

[10.10.2024] Vier Biogas-Akteure haben heute eine bundesweite Kampagne gestartet, um die Potenziale von Biogas in den Fokus der Energiewende-Debatte zu rücken. Sie fordern mehr politische Unterstützung und betonen, dass Biogas bereits heute einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leistet. mehr...

Holz ist eine wichtige erneuerbare Wärmequelle.

Fachkongress Holzenergie: Klimanutzen von Holz

[23.09.2024] Auf dem 24. Fachkongress Holzenergie in Würzburg wurde die Bedeutung von Holz als erneuerbarer Wärmequelle diskutiert. Die Branche fordert klare politische Unterstützung, um die Energiewende voranzutreiben. mehr...

Landwärme-Insolvenz: Kommunikation „ungünstig“

[19.09.2024] Stadtwerke fürchten große Auswirkungen der Landwärme-Insolvenz. Das Kommunikationsverhalten des Unternehmens sei „ungünstig“, so der Branchenverband ASEW. mehr...

Laut einer Studie könnten flexible Biogasanlagen in Kombination mit Wasserstoffkraftwerken bis 2030 eine Reserveleistung von rund 26 Gigawatt bereitstellen.

Studie: Potenzial von Biogasanlagen

[12.09.2024] Biogasanlagen könnten eine entscheidende Rolle bei der Sicherung der deutschen Stromversorgung spielen. Laut einer Studie der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen können bis 2030 durch die Flexibilisierung bestehender Anlagen zwölf Gigawatt Leistung bereitgestellt werden. mehr...

Stadtwerke Trier: Biogas verbessert Klimabilanz

[04.09.2024] Die Stadtwerke Trier wollen grüne Gase für die Energiewende in der Region. mehr...

Umweltorganisationen fordern den Berliner Senat und das kommunale Unternehmen BEW auf

Robin Wood: Keinerlei Schutz für Wälder

[04.09.2024] Die Berliner Nachhaltigkeitsvereinbarung für Biomasse garantiere keinerlei Schutz für Wälder und Natur, so der Naturschutzverband Robin Wood. mehr...

Biogasanlage: Die Rolle der Bioenergie soll gestärkt werden.

BMWK: Maßnahmenpaket für Bioenergie

[20.08.2024] Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat für den Herbst ein Biomassepaket zur Stärkung der Bioenergie in Deutschland angekündigt. Sandra Rostek, Leiterin des Hauptstadtbüros Bioenergie, begrüßt die Initiative, mahnt aber zur Eile. mehr...

Auf Holzenergie wird kein CO2-Preis erhoben

Fachverband Holzenergie: Klarstellung des BMWK begrüßt

[13.08.2024] Holzenergie kann auch weiterhin ohne CO2-Bepreisung eingesetzt werden, so das Bundeswirtschaftsministerium. Für den Fachverband Holzenergie ist damit eine „Phantomdebatte“ beendet. Geschäftsführer Gerolf Bücheler fordert nun auch das Umweltbundesamt auf, seine Position zu überdenken. mehr...

Grundsteinlegung: Das BMW-Werk in Dingolfing wird künftig durch eine Biomasseanlage mit CO2-neutraler Prozesswärme versorgt.

Dingolfing: Prozesswärme für BMW

[02.08.2024] Die UP Energiewerke errichten in Dingolfing ein innovatives Biomasse-Heizkraftwerk, das das dortige BMW-Werk mit CO2-neutraler Prozesswärme versorgt. mehr...

Biogasalage: Der Bundesverband Bioenergie (BBE) hat die herausragende Bedeutung der Bioenergie betont.

BBE: Bioenergie schützt das Klima

[01.08.2024] Anlässlich der Fortschreibung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie hat der Bundesverband Bioenergie die zentrale Bedeutung der Bioenergie für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung in Deutschland hervorgehoben. mehr...

Die Stadtwerke Schwäbisch Hall installieren einen Biomassekessel im Heizkraftwerk Hessental.

Schwäbisch Hall: Erstmals Wärme aus Holz

[05.07.2024] Die Stadtwerke Schwäbisch Hall haben mit den Bauarbeiten für einen Biomassekessel im Heizkraftwerk Hessental begonnen. mehr...

Bürgermeister Harald Stadler (links) und REWAG-Vorstandsvorsitzender Dr. Robert Greb vor dem Rohbau des Biomasseheizwerks in Neutraubling.

REWAG: Bio-Nahwärme für Neutraubling

[05.06.2024] Die REWAG baut ein Biomasseheizwerk für Nahwärme in Neutraubling. Es soll im Oktober 2024 in Betrieb gehen. mehr...