LeipzigStadt der Wärmewende
Das Fernwärmenetz der Stadt Leipzig wird derzeit zu 50 bis 70 Prozent aus der Abwärme des Kohlekraftwerks Lippendorf gespeist. Einen weiteren Teil steuert das eigene Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (GuD) mit einer thermischen Leistung von 200 Megawatt (MW) bei. Doch schon im vergangenen Jahr kündigten die Stadtwerke Leipzig (SWL) und Oberbürgermeister Burkhard Jung an, aus der Braunkohlewärme aussteigen zu wollen.
Dazu sollen zwei Strategien dienen, die beide auf Erdgas beruhen. Zum einen werden in wachsenden Stadtteilen und solchen, in denen Bestandsgebäude neu ans Fernwärmenetz angeschlossen werden, dezentrale Blockheizkraftwerke (BHKW) installiert. Diese Strategie fährt die Stadt seit 2017. Bisher wurden vier solcher BHKW mit 16-Zylinder-Motoren und jeweils zwei MW elektrischer und thermischer Leistung aufgestellt. Einige weitere sind in Planung.
Stadtrat will Kohleausstieg
Die zweite Säule, die im Dezember vergangenen Jahres verkündet und vom Stadtrat abgesegnet wurde, ist ein neues GuD-Kraftwerk. Es soll im Leipziger Süden mit insgesamt drei Turbinen errichtet werden und mit je 150 MW thermischer und elektrischer Leistung auch den restlichen Fernwärmebedarf im Stadtgebiet decken. Dieses Vorhaben wird jedoch kritisch gesehen, da Lippendorf eines der Kraftwerke ist, die bis 2038 laufen und so die Fernwärme nebenbei mit produziert. Setzt sich Leipzig mit der Strategie durch, wird es in Zukunft dafür keinen Abnehmer mehr geben.
Für die Kraftwerksbetreiber ist dies zwar nicht existenzbedrohend, dennoch war und ist es ein gutes Zusatzgeschäft – und energetisch sinnvoll. Der Betreiber LEAG hatte zudem angeboten, einen Teil seines Wärmemixes mit Biomasse zu erzeugen, was grüner gewesen wäre als einen fossilen Brennstoff – Kohle – durch einen anderen fossilen – Erdgas – zu ersetzen. Doch darauf sind Stadt und Stadtwerke Leipzig nicht eingegangen.
Planungen sind noch vage
Oberbürgermeister Jung will stattdessen selbst auf grüne Fernwärme setzen – und zwar mit Solarthermie und Biomasse. Die Planungen dafür sind aber noch vage. Auf dem Gelände des geplanten GuD-Kraftwerks soll eine 1,5-MW-Solarthermieanlage errichtet werden. Hinzu kommen ein großer Wasserspeicher, der nach dem Power-to-Heat-Prinzip mit Überschussstrom erwärmt werden soll und ein Biomasseheizwerk, in dem Holzreste verbrannt werden sollen. Schließlich soll ab Mitte der 2020er-Jahre auch eine Müllverbrennungsanlage installiert werden. Offen ist derzeit, wie diese verschiedenen Technologien mit unterschiedlichen Temperatur- und Druckniveaus in das Wärmenetz eingebunden werden können. Insgesamt wollen die Stadtwerke Leipzig in den kommenden vier Jahren 1,6 Milliarden Euro investieren.
Im Juni 2019 wurden seitens des Lippendorf-Betreibers LEAG Gerüchte gestreut, dass man sich mit den SWL weitgehend einig sei über eine weitere Wärmelieferung bis zumindest 2030. Doch das wurde von OB Jung zurückgewiesen. Der Ausstieg aus der Braunkohle stehe fest, die Frage sei nur, wann das passiere.
Energiepolitisches Zieldreieck
Am 24. September 2019 luden die Veranstalter des Mitteldeutschen Energiegesprächs (MDEG) die Handelnden der SWL zu einem Podiumsgespräch. Beide SWL-Geschäftsführer, Karsten Rogall und Mark Piehler, legten dabei ihre Beweggründe für die Ausstiegsstrategie aus der Braunkohle dar. „Wir stehen vor Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, das sind Handelspreise für Brennstoffe und politische Veränderungen“, sagte Rogall. Die Versorgung durch das Kraftwerk Lippendorf sei deshalb mit Risiken behaftet. Der Stadtrat habe den Ausstieg aus der Braunkohle beschlossen und die Stadtwerke mit der Suche nach Alternativen beauftragt. Die jetzige Lösung, so Rogall, kam auch deswegen zustande, weil das energiepolitische Zieldreieck aus Bezahlbarkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit kaum etwas anderes zulasse. Alternativen zum GuD, wie Tiefe Geothermie, kamen aus geologischen Gründen nicht infrage. Auch die Nutzung der Leipziger Seenlandschaft mittels Großwärmepumpen schied aus, da die Seen zu weit vom Wärmenetz entfernt seien.
Bis 2023 soll das GuD nach Auskunft der Geschäftsführer stehen und einen Teil der Lippendorfer Kohle-Fernwärme ablösen. Ob dieses Ziel erreicht wird, ist allerdings offen. Das Gelände beherbergte zwar früher ein Kohlekraftwerk, doch es befindet sich inmitten einer Siedlungsstruktur mit vielen Wohnungen, Kindergärten und Schulen. Proteste und Beschwerden sind programmiert und dürften zu Verzögerungen führen. Hinzu kommt die überall spürbare Überlastung der Baubehörden sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene.
Brücke zum Wasserstoff
Bis Ende der 2020er-Jahre, also in gut zehn Jahren, sollen alle Komponenten soweit fertiggestellt sein, dass sie eine eigene Versorgung ermöglichen. Das GuD soll nach Rogalls Aussage zudem eine Brücke zur Verbrennung von Wasserstoff sein. Allerdings musste er einräumen, dass es derzeit keinen Turbinenbauer gibt, der eine Anlage dieser Größe für einen reinen Wasserstoffbetrieb bauen kann. Sollte der Umstieg auf grünen Wasserstoff, der derzeit sowieso nicht ausreichend verfügbar wäre, später tatsächlich gewollt sein, stünde also ein Austausch der Turbinen und eine Anpassung des gesamten GuD an.
„Letztlich war die Versorgungssicherheit das Ausschlaggebende“, erklärte Piehler. Man habe nach Technologien gesucht, die robust und erprobt seien. Etwas anderes sei für eine Stadt, in der die Hälfte aller Gebäude mit Fernwärme versorgt werde, auch gar nicht darstellbar.
Relative Stabilität
Man habe verschiedene Szenarien durchgespielt, immer auch vor dem Hintergrund möglicher politischer Entscheidungen und Preisentwicklungen sowie der wachsenden Einwohnerzahl. Aber auch der sinkende Wärmebedarf durch die steigende Sanierungsrate hätte eine Rolle gespielt. Letztlich sei die Entscheidung nicht so schwer gewesen, weil nur bestimmte Technologien hinsichtlich Leistung und Arbeit infrage gekommen seien.
Für die nächsten 30 Jahre erhoffe man sich relative Stabilität durch Wachstum bei Anschlüssen und Verbrauch. Dazu gehörten auch die dezentralen Blockheizkraftwerke, insbesondere in Stadtteilen mit einem stärkeren Wachstum und einer hohen Anschlussdichte. Pro Jahr kämen so noch einmal 15 MW an Leistung hinzu, was bis zu 1,5 Prozent des Gebäudebestandes entspräche.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe November/Dezember 2019 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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