InterviewPostpolitische Phase
Herr Kapferer, im Mai 2016 haben Sie das Amt des Hauptgeschäftsführers des BDEW übernommen. Wie haben Sie den Wechsel erlebt?
Der Wechsel war relativ unkompliziert. Die politisch diskutierten Themen waren mir ja ebenso vertraut wie die handelnden Akteure. Spannend für mich war die Dynamik, die in die Energiebranche gekommen ist. Wie verdienen wir künftig unser Geld, welche Geschäftsmodelle haben Zukunft, was sind unsere Stärken und Schwächen, wer sind die neuen Wettbewerber – so lauten heute die wichtigen Fragen.
Was bedeutet das für die Verbandsarbeit?
Wir sind in eine postpolitische Phase der Energiewende eintreten. Die Grundsatzentscheidungen zur weitgehenden Dekarbonisierung bis 2050 sind gefallen. Insofern wird nicht mehr diskutiert, wohin wir wollen, sondern wie kommt man dahin. Es geht jetzt also eher um Strategien und betriebswirtschaftliche Fragen in den Unternehmen. Und dazu muss der Verband natürlich einen Beitrag leisten.
Es geht also nicht mehr primär um Energiepolitik?
Es gibt natürlich Themen, die noch hochpolitisch werden. Die Finanzierung der Energiewende beispielsweise wird in der kommenden Legislaturperiode verstärkt auf der Agenda stehen. Wir brauchen ja ein Finanzierungssystem, das den Transformationsprozess beschleunigt und nicht verlangsamt. Und die Diskussion um den Klimaschutzplan 2050 zeigt, dass wir aufpassen müssen, die richtigen Fragen zu stellen. Viele sagen, der Plan sei nicht ambitioniert genug. Mich stört viel eher, dass darin nur zwei Sätze zum Netzausbau stehen. Auch die Themen Energiespeicherung oder Digitalisierung kommen zwar vor, werden aber nur nachrangig behandelt. Wir wissen jedoch, dass es zentrale Punkte sind, wie Volatilitäten gesteuert werden können, wie ein Last-Management aussehen kann, wie Speichertechnologien weiterentwickelt und der Netzausbau vorangebracht werden kann. Das ist viel wichtiger als die im Klimaschutzplan auch behandelte Frage, inwieweit wir den Fleischkonsum bis 2045 reduzieren müssen.
Wie sehen Sie die Rolle der Stadtwerke in diesem Transformationsprozess?
In der Gesellschaft beobachten wir derzeit Tendenzen einer Anti-Globalisierung und Re-Lokalisierung. Dieser Trend kommt den Stadtwerken zu Gute. Andererseits stellt der Umbau des Energiesystems die kommunalen Versorger vor enorme Herausforderungen. Der Commodity-Verkauf bringt nicht mehr die gewohnten Erträge, es müssen also neue Geschäftsmodelle gesucht werden. Dennoch haben die Stadtwerke große Chancen, weil sie das Vertrauen der Kunden genießen. Dieses Vertrauen ist Gold wert in Zeiten von Big Data und daraus folgenden neuen Dienstleistungen.
Der Verband wird bunter und das ist eine Chance, weil wir zusätzlich Impulse bekommen.
Wie sollten die Stadtwerke reagieren?
Wichtig scheint mir, dass die Stadtwerke künftig noch enger zusammenarbeiten. Neue Geschäftsmodelle entwickeln, Prozesse digitalisieren, der Smart-Meter-Roll-out – all das überfordert ein einzelnes Stadtwerk schnell. Hier bieten sich Kooperationen an.
Welche Formen der Zusammenarbeit sind erfolgsversprechend?
Fusionen werden wohl eher selten sein. Die politischen Aufsichtsgremien der Stadtwerke wollen ihren Einfluss nicht verlieren. Realistischer sind Verbünde, auch die Gründung neuer Stadtwerke im Umland, wie es die Stadtwerke Hameln praktizieren, ist eine Variante. Wir werden also einen Strauß von Möglichkeiten sehen, von der Fusion bis zur losen Kooperation. Entscheidend ist, dass die Belastungen auf mehrere Schultern verteilt werden können.
Welche Rolle spielt dabei der BDEW?
Die Stadtwerke sind untereinander so gut vernetzt, dass sie keine Ratschläge aus Berlin brauchen. Wir sehen unsere Rolle eher darin, die kommunalen Unternehmen mit neuen Playern zusammenzubringen. Denn immer mehr Unternehmen der Privatwirtschaft bieten Energiedienstleistungen an und entwickeln entsprechende Geschäftsmodelle. Insbesondere gibt es viele Start-ups, die von der Digitalisierung der Energiewirtschaft profitieren wollen. Da man nicht verhindern kann, dass solche neuen Wettbewerber entstehen, ist es sinnvoll, die Kooperationsmöglichkeiten mit ihnen auszuloten. Hier ist der Verband gefragt. Deswegen öffnet sich der BDEW auch sehr bewusst für diese Unternehmen der neuen Energiewelt.
Hat sich dadurch die Mitgliederstruktur verändert?
Die verändert sich ständig. Wir haben beispielsweise im vergangenen Jahr Elektroauto-Pionier Tesla als Mitglied aufgenommen, der ja eine Lade-Infrastruktur in Deutschland aufbaut. Auch die Sonnen AG aus dem Allgäu ist BDEW-Mitglied geworden. Der Verband wird also bunter, und das ist aus meiner Sicht auch eine Chance, weil wir zusätzlich Impulse bekommen.
Welche neuen Geschäftsmodelle versprechen aus Ihrer Sicht Erfolg?
Der Bereich Elektromobilität wird noch unterschätzt. Ich bin fest überzeugt, dass in den nächsten Jahren die Zulassungszahlen von Elektroautos rasant steigen werden. Damit stellt sich die Frage, wie unsere Netzinfrastruktur damit zurechtkommt. Noch wichtiger sind meines Erachtens Zusatzleistungen, die Stadtwerke ihren Kunden künftig anbieten können. Beispielsweise wird es nicht mehr nur darum gehen, Erdgas zu liefern, sondern ein Gesamtpaket Wärme. Ein Stadtwerke-Geschäftsführer hat sehr zutreffend gesagt, man müsse die Kunden noch viel stärker segmentieren, um zu erkennen, was der einzelne Kunde tatsächlich will. Hier kommt das Vertrauen wieder ins Spiel, das die Stadtwerke genießen.
Wie zuversichtlich sind Sie für die Zukunft der Stadtwerke?
Ich glaube, die Stadtwerke haben eine gute Chance, im Wettbewerb zu bestehen. Die meisten Unternehmen tummeln sich auf so vielen Feldern, dass sie mit der engen Kundenbeziehung der Stadtwerke nicht konkurrieren können. Eine Schlüsselfrage wird sein, ob die kommunalen Eigner ihren Stadtwerken auch den notwendigen finanziellen Spielraum lassen, um in die Zukunft zu investieren. In vielen Regionen Deutschlands hängt das von der Kassenlage der Kommunen ab. Man muss deshalb den Kommunen deutlich machen, dass die Stadtwerke den Transformationsprozess nur bestehen, wenn sie die notwendigen Investitionen auch tätigen können.
Was haben Sie sich persönlich vorgenommen. Wie wollen Sie den Verband weiterentwickeln?
Nachdem die energie- und klimapolitischen Grundsatzentscheidungen gefallen sind, müssen wir als Verband aus einer defensiven Haltung herauskommen. Es geht nicht mehr darum, etwas abzuwehren, sondern darum, die Zukunft zu gestalten. Da die Branchengrenzen verschwimmen, ist es Aufgabe des Verbands, die größere Vielfalt auch widerzuspiegeln. Der Verband ist gefordert, stärker als bisher Hilfestellung zu leisten bei der geschäftspolitischen Bewältigung der Transformation des Energiesystems. Außerdem müssen wir deutlich machen, dass wir eine Wachstumsbranche sind. Die politische Zielsetzung sieht vor, andere Sektoren wie Mobilität oder Wärme zu elektrifizieren. Wir werden also künftig noch viel mehr Strom erzeugen und vermarkten. Gäbe es eine Deutsche Strom AG an der Börse, sie wäre ein klarer Kauf.
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