SpeicherSchweizer Messer der Energiewende
Herr Windelen, auf der Leitmesse und Konferenz Energy Storage Europe 2016 wurde die Düsseldorfer Erklärung verabschiedet. Warum haben sich Industrie, Anwender und Wissenschaft dafür zusammengetan?
Die Düsseldorfer Erklärung appelliert an die Politik, Energiespeicher endlich regulatorisch korrekt einzuordnen. Derzeit bestehen noch Marktbenachteiligungen für Energiespeicher, die den Einsatz massiv behindern, obwohl er systemisch notwendig und nützlich wäre. Und das ist nun mal relevant für alle Akteure, seien es Hersteller, Anwender oder Forscher und Entwickler.
Welche wesentlichen Forderungen werden gestellt?
Letztlich dreht es sich im Kern darum, dass Speicher dem Energiesystem regulatorisch unbekannt sind. Das System kennt bisher nur Erzeugung, Transport und Verbrauch. Speicher werden pauschal als Verbraucher eingestuft, da sie zunächst Energie entnehmen. Daraus folgen dann aber die Abgaben und Steuern wie für einen Letztverbraucher. Ein Speicher verbraucht aber nicht, er speichert. Wir fordern dementsprechend, im Energiesystem eine vierte Säule neben Erzeugung, Transport und Verbrauch einzurichten. Und diese vierte Säule ist Energiespeicherung.
Welche Konsequenzen hat die Einstufung als Verbraucher?
Die Einstufung als Letztverbraucher führt dazu, dass für dieselbe Kilowattstunde teilweise doppelt Abgaben gezahlt werden müssen. Da steht dann vor dem Speicher bildlich ein Zollhaus und kassiert zweimal, für alles, was rein und was raus geht. Diese Doppelbelastung ist eine Benachteiligung, die bereits im System angelegt ist – und da müssen wir ran, wollen wir die positiven und netzdienlichen Eigenschaften von Energiespeichern aktivieren.
Welche Bedeutung haben Speichertechnologien für die Energiewende?
Mit der Energiewende haben wir große und weiterhin steigende Mengen an schwankender Einspeisung von erneuerbaren Energien wie Wind oder Photovoltaik. Um das System dennoch stabil zu halten und die Versorgung zu sichern, brauchen wir mehr Möglichkeiten der flexiblen Reaktion auf die jeweiligen und volatilen Verhältnisse. Und da kommen Speicher eigentlich gerade recht. Es gibt eine Reihe von weiteren Flexibilitätsoptionen, doch nur Speicher können neben einem örtlichen auch den zeitlichen Ausgleich leisten, also Sonnenstrom in die Nacht bringen, Windstrom in die Flaute oder auch mittels Sektorkopplung überschüssige Wärme vom Sommer in den Winter liefern. Energiespeicher sind letztlich das Schweizer Messer der Energiewende. Eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten und nützlichen Dienstleistungen in einem Werkzeug.
„Speicher sind dem Energiesystem regulatorisch unbekannt.“
Welche Speichertechnologien stufen Sie als besonders zukunftsträchtig ein?
Es gibt vielfältige Anwendungen von Energiespeichern und ebenso vielfältige Technologien. Und diese Reihenfolge ist wichtig. Man sollte immer von der Anwendung kommen und danach die passende Technologie auswählen. In unseren Arbeitsgruppen haben wir Listen von Anwendungen erarbeitet und diese dann mit den Technologien kombiniert. Herausgekommen ist eine riesige Matrix. Benötigen werden wir letztlich wohl eine ganze Reihe von verschiedenen Technologien – etwa Batterien oder Schwungradspeicher für kurzfristige Speicherung und schnelle hohe Leistungen, daneben echte Energiespeicher wie Pumpspeicherwerke, die mit großen Volumina überschüssige Energie längerfristig verschieben können und natürlich auch thermische Speicher für den Wärmesektor. Technologien wie Power to Gas oder Power to Liquids, also die Umwandlung von überschüssigem Strom in Wasserstoff oder Methan, komplettieren die Anwendungsvielfalt.
Welche Entwicklungen sind noch zu erwarten?
Neben dem systemisch wichtigen Bestand an Pumpspeichern liegt der Fokus momentan auf Batterien. Mehr und mehr Projekte für Großbatterien von bis zu 90 Megawatt belegen die Bedeutung und die systemdienlichen Eigenschaften. Für den Regelenergiemarkt, bei dem schnelle und schnellste Reaktionszeiten gefragt sind, sind Batterieprojekte ideal geeignet. Es zeigt sich aber immer mehr, dass moderne Speicher mit nur einer Anwendung letztlich unterfordert sind. Die Entwicklung geht zu gemischten Betriebsmodellen. Der Speicher erbringt also eine ganze Reihe von Dienstleistungen, flexibel und je nach Bedarf und das Ganze auch noch intelligent vernetzt und verknüpft mit weiteren Anlagen oder weiteren Speichertechnologien. Diese Kompetenz, verschiedene Speicher oder Technologien systemisch intelligent zu verknüpfen und als Gesamtsystem mit hoher Effizienz einzusetzen, ist in Deutschland sehr hoch. Da stehen wir hier an der Spitze der Entwicklung.
Können auch Solarspeicher von Privatpersonen oder deren E-Autos zur Stabilisierung der Netze beitragen?
Natürlich, das ist auch in verschiedenen aktuellen Studien belegt. Das Speichermonitoring der RWTH Aachen beispielsweise hat gerade eindeutig die Systemdienlichkeit von Hausspeichern nachgewiesen und die INEES-Studie, gefördert durch das Bundesumweltministerium, kommt aktuell zu dem Ergebnis, dass auch Elektrofahrzeuge Netzschwankungen mindern können. Zusätzlich noch ein praktisches Beispiel: In Nürnberg hat das Unternehmen Caterva einen Schwarmspeicher aufgebaut. Viele Hausspeicher sind zu einem Großspeicher verknüpft, und neben der Eigenversorgung im einzelnen Haus liefert der Schwarm zusätzlich Primärregelenergie zur Stabilisierung des Netzes.
Wie müssten Energiespeicher vom Gesetzgeber aus Ihrer Sicht sinnvoll gefördert werden?
Die Branche braucht kein gesondertes Speicher-EEG oder ähnliches. Wir rufen auch nicht nach Subventionen. Zunächst und für eine Reihe von Anwendungen würde es vollauf genügen, Speicher endlich regulatorisch korrekt einzuordnen. Eine Reihe von Speichertechnologien sind reif für den Markt, man muss sie nur hereinlassen.
Wie optimistisch sind Sie, dass Bund und Länder die Forderungen der Düsseldorfer Erklärung tatsächlich erfüllen?
Die Bundesländer haben sich bereits eindeutig pro Energiespeicher positioniert und fordern regulatorische Änderungen. Was fehlt, ist noch die Bundesregierung. Diese setzt weiter einseitig auf den Netzausbau. Die Energiewende kann aber nicht auf den Netzausbau warten.
Bis wann rechnen Sie damit, dass verschiedene Speichersysteme vollständig in den Energiemarkt integriert sind?
Teils sind Energiespeicher bereits vollständig integriert. Wir haben in Deutschland eine Kapazität von etwa 6.500 Megawatt Pumpspeicher seit Jahren im Markt. Diese verrichten täglich ihre systemdienliche Arbeit. Ohne die Pumpspeicherwerke wäre die Sonnenfinsternis im Jahr 2015 nicht so glimpflich verlaufen. Zudem sehen wir eine steigende Zahl von Großbatterien, ebenfalls für Systemdienstleistungen, und stark wachsende Zahlen von Hausspeichern zur Optimierung des Eigenverbrauchs. Daneben gibt es eine Vielzahl von thermischen Speichern etwa zur Effizienzsteigerung in Fernwärmenetzen. Die Dynamik im Markt ist groß und es entwickeln sich immer weitere interessante Einsatzmöglichkeiten und kreative Anwendungen. Wenn der regulatorische Rahmen endlich passen würde, käme das immense Potenzial von Energiespeichern, systemdienlich und kostensenkend, sehr schnell zum Tragen.
Dieser Beitrag ist im Titel der Juli-/August-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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