Bürger-Energie SüdbadenDie großen Potenziale der Wasserkraft
Lange schien es so, als sei das Potenzial der Wasserkraftnutzung in Baden-Württemberg weitgehend ausgeschöpft und ein Ausbau weder finanzier- noch politisch durchsetzbar. Die Liste der Argumente gegen den Bau von Wasserkraftwerken ist lang und vielfältig. Doch bei genauerer Betrachtung und gewissenhafter Prüfung wird deutlich: Wasserkraft ist eine regenerative Energiequelle mit Ausbaupotenzial.
Plus für die Wasserkraft
Wasserkraft schneidet hinsichtlich der CO2-Bilanzen, der Effizienz und der Langlebigkeit gegenüber anderen regenerativen Energiequellen sehr gut ab. Und auch die Eingriffe in die Natur sind bei sachgemäßer Ausführung überschaubar. Warum es so lange gedauert hat, vorhandenes Potenzial bei der Energieerzeugung aus Wasserkraft zu nutzen, und wie das ökologisch, bürgernah und nachhaltig möglich ist, zeigt das Projekt Kleine Wasserkraft Neumagen in Südbaden. Errichtet wird es von der Bürger-Energie Südbaden (BEGS) und dem Bauherren Kraftwerk Kaiser in Todtnau.
Das Wasserkraftwerk am Neumagen wird an der Gemarkungsgrenze zwischen der Stadt Staufen und der Gemeinde Münstertal gebaut. Das Einlaufwehr befindet sich auf Münstertäler Grund, der Großteil der über einen Kilometer langen Leitung verläuft auf Staufener Gemarkung. Auch das Turbinenhaus steht in Staufen. Die Turbine, die ab 300 und bis 2.500 Litern Wassereinfluss pro Sekunde läuft, ist auf eine Leistung von 320 Kilowatt ausgerichtet. Das Gefälle von 18,5 Metern auf gut einem Kilometer lässt eine jährliche Erzeugung von rund 1,3 Millionen Kilowattstunden erwarten. Das reicht, um den Strombedarf von rund 400 Haushalten zu decken. Und es reicht, um bei einer Investitionssumme von 2,5 Millionen Euro eine Rendite von 3,75 Prozent an die Mitglieder der Genossenschaft auszuschütten. Ein Projekt also, das insbesondere in Niedrigzinszeiten für Anleger interessant sein dürfte.
Ein Blick in die Vergangenheit
Häufig scheitern neue Wasserkraftprojekte bereits bei der Suche nach geeigneten Standorten. Ein Ende der Ausbaukapazitäten ist lediglich für große und mittlere Kraftwerke absehbar. Für die kleine Wasserkraft dagegen ergeben sich mit ein wenig Fantasie und einem Blick in die Lokal- und Regionalgeschichte oft noch viele Möglichkeiten. Der 26 Kilometer lange Neumagen beispielsweise lieferte bereits im Mittelalter die Energie für den Abbau und die Weiterverarbeitung der Erze, die in großen Mengen im Münstertal lagerten. Der mit einem Gesamtgefälle von fast 1.000 Metern steilste Fluss auf der Westseite des südlichen Schwarzwalds, müsste also auch für die heutige Stromerzeugung geeignet sein. Gutachten bestätigten für gleich mehrere Standorte, dass sich die Wasserkraft des Neumagens effizient und gewinnbringend energetisch nutzen lässt.
Die Lokalgeschichte hilft der BEGS auch bei der Suche weiterer Standorte. In Müllheim, das seinen Namen dem früheren Mühlenbetrieb verdankt, werden gerade Möglichkeiten geprüft, die Wasserkraft des dortigen Klemmbachs energetisch zu nutzen. Insbesondere in Süddeutschland, wo keine Kohle gefördert wurde, trug die Wasserkraft lange Zeit mit etwa 70 Prozent zur Stromversorgung bei. Erst durch die Konkurrenz fossiler Energien und vor allem der Atomkraft wurden dann bis in die 1980er Jahre etwa 50.000 Kleinanlagen in ganz Deutschland stillgelegt, ein Großteil davon im Süden. Nur die großen Wasserkraftwerke blieben weiter in Betrieb. Die Standorte der stillgelegten Anlagen sind über Jahrzehnte, teils Jahrhunderte erprobt. Wo Sägewerke und Mühlen betrieben werden konnten, ist oftmals auch ein Wasserkraftwerk zur Stromerzeugung möglich.
Klein und dezentral
In Baden-Württemberg werden heute etwa 1.700 Wasserkraftanlagen zur Stromerzeugung betrieben, der Anteil der Wasserkraft an der Bruttostromerzeugung liegt ungefähr bei acht Prozent. Etwa 90 Prozent des Stroms aus Wasserkraft werden in Anlagen mit einer Leistung von mehr als einem Megawatt (MW) erzeugt. Am Hochrhein ragen die Anlagen mit einer installierten Leistung von bis zu 120 MW heraus.
Die BEGS setzt auf kleine Wasserkraft – nicht nur, weil es kaum möglich ist, große Wasserkraftanlagen auszubauen. Viele kleine Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung können viel flexibler auf tages- und jahreszeitliche Nachfrageschwankungen reagieren als wenige große Kraftwerke. Außerdem vermögen sich Sonnen-, Wind- und Wasserkraft bei unterschiedlichem Wetter gegenseitig auszugleichen. Während in den Sommermonaten die Solaranlagen auf Hochtouren laufen, liefern Windkraftanlagen im Herbst und Wasserkraftwerke nach der Schneeschmelze im Frühjahr die meiste Energie. Kleine und dezentrale Anlagen stoßen außerdem auf weit mehr Akzeptanz in der Bevölkerung als Großkraftwerke. Die Wasserkraftanlage am Neumagen findet ebenso breite Unterstützung in der Bevölkerung wie geplante Windkraftanlagen in der Region. Eine Bürgerbefragung in der Gemeinde Münstertal brachte schon im Jahr 2011 eine Mehrheit von 80 Prozent für den Bau von Windkraftanlagen.
Bürgerschaftlicher Kreislauf
Der Bürger-Energie Südbaden geht es allerdings um weit mehr als um die Akzeptanz der Anlagen bei der Bevölkerung. Es geht um unmittelbare Bürgerbeteiligung. Wer bei der Projekt- und Anlagenplanung zur regenerativen Energieerzeugung mitwirkt und dabei auch noch Geld verdient, der wird die Energiewende aktiv voranbringen. Der Strom wird dann nicht mehr aus der Steckdose kommen, sondern beispielsweise von der Photovoltaikanlage auf dem Dach der Schule, vom Wasserkraftwerk am Neumagen oder von der Windkraftanlage auf dem nahegelegenen Bergkamm. Das damit erwirtschaftete Geld bleibt in der Region. Es fließt an die Mitglieder der Genossenschaft, über die beteiligten Stadtwerke MüllheimStaufen zurück an die Kommunen und über die lokalen Unternehmen, die am Bau beteiligt sind, an deren Mitarbeiter. Ein bürgerschaftlicher Kreislauf entsteht, der die Wertschöpfung in der Energieversorgung lokal belässt. Im März 2015 zählte die BEGS gut 250 Mitglieder. Seit dem Baubeginn des Wasserkraftwerks am Neumagen kommen Woche für Woche neue Mitglieder hinzu.
Nachhaltige Planung
Mit diesem bislang größten Projekt kann die BEGS einiges bewegen. Dank der lokalen Verankerung in der Bevölkerung lassen sich zusätzliche Investitionen beim Bau der Anlage für den Natur- und Gewässerschutz leicht umsetzen. Außerdem wollen die Investoren nicht das schnelle Geld machen. Für die Energiegenossen ist der Bau zusätzlicher Fischtreppen und die naturnahe Gestaltung der Anlage selbstverständlich. Die konkrete Planung und Abstimmung mit den beteiligten Kommunen war in diesem Kontext unproblematisch und zielführend. Die Anrainer-Kommunen Staufen und Münstertal unterstützten von Beginn an das Projekt. Gemeinsam mit dem Bauherrn Kraftwerk Kaiser, den in die Planungen einbezogenen Stadtwerken MüllheimStaufen und nicht zuletzt den Bürgern wurden die Kommunen damit zu einem Erfolgsgaranten für die Realisierung des Projekts kleine Wasserkraft Neumagen.
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