Virtuelle KraftwerkeDie Kontrolle über den Schwarm
Der Energiemarkt befindet sich in einem grundlegenden Wandel. Über Jahrzehnte hinweg haben Großkraftwerke den Löwenanteil der benötigten Elektrizität in Deutschland erzeugt. Jetzt sind dezentrale und umweltfreundliche Technologien wie Photovoltaik, Windräder oder Blockheizkraftwerke (BHKW) auf dem Vormarsch. In rasantem Tempo lösen sie zentrale Großkraftwerke ab. Schon heute gibt es in Deutschland fast 1,4 Millionen dezentrale Kraftwerke. Verbraucher werden zu Erzeugern, Häuser zu Kraftwerken und Speichern. Eine entscheidende Herausforderung für die erfolgreiche Dezentralisierung ist die intelligente Vernetzung von Mini-Kraftwerken, Batteriespeichern und steuerbaren Lasten. Denn nur so können in einer dezentralen Energiewelt die Stromnetze stabilisiert und die Versorgungssicherheit für alle Stromverbraucher garantiert werden. Die optimierte Steuerung jeder einzelnen Einheit ist zudem bares Geld wert und erhöht die Wirtschaftlichkeit für den Betreiber. Hier entsteht ein neuer Markt für attraktive Energiedienstleistungen.
Dirigent für große Datenmengen
Die dezentrale Energiewelt erfordert neue, leistungsfähige und flexible IT-Systeme, die mit großen Datenmengen umgehen können. Das Unternehmen LichtBlick begegnet diesen Herausforderungen mit der Entwicklung des SchwarmDirigenten, einer Plattform für die dezentrale Energiewelt. Entwickelt wurde der SchwarmDirigent zunächst zur intelligenten Steuerung von ZuhauseKraftwerken. Diese BHKWs von Volkswagen verfügen über eine elektrische Leistung von 19 Kilowatt (kWel) und eine thermische Leistung von 36 Kilowatt (kWth). Sie eignen sich unter anderem für Mehrfamilienhäuser, Gewerbebetriebe und öffentliche Einrichtungen. Das Besondere an dem Konzept: LichtBlick liefert den Kunden die Wärme und vermarktet die Elektrizität als SchwarmStrom am Strom-Markt. Dank einer ausgeklügelten Anlagenkonfiguration mit groß angelegten Speichern und einer Überdimensionierung der thermischen Leistung bei hoher Stromkennzahl kann der Anlagenbetrieb zeitlich vom lokalen Wärmebedarf entkoppelt werden. So können die BHKWs, die in verschiedenen Regionen Deutschlands laufen, flexibel nach den Bedürfnissen des Strom-Marktes gesteuert werden.
Flexible Vermarktungsformen
Der SchwarmDirigent ist von der Architektur modular und flexibel ausgelegt, beherrscht verschiedene Vermarktungsmodelle und Optimierungsverfahren und kann leicht für neue Anforderungen erweitert werden. Wie flexibel das System ist, hat LichtBlick bereits unter Beweis gestellt. So wurden mehr als ein Viertel der rund 1.000 vom Unternehmen als Betreiber bewirtschafteten ZuhauseKraftwerke vom Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) ins Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) umgemeldet, weil sie den Anforderungen der Flexibilitätsprämie entsprechen. Weitere Anlagen sollen folgen.
Der SchwarmDirigent kann – unter Berücksichtigung der marktspezifischen Regeln – auf Knopfdruck von einer Betriebsweise und Vermarktungsform in die andere wechseln. Das System ist jederzeit in der Lage, den energiewirtschaftlich sinnvollsten Einsatz jedes einzelnen Kraftwerks zu ermitteln. Dezentrale und intelligent gesteuerte Systeme bieten die größtmögliche Handlungsfreiheit, um auf neue Situationen im Markt oder neue politische Rahmenbedingungen zu reagieren. Eine hohe Flexibilität bei der Betriebsführung wird für Kraftwerksbetreiber auch betriebswirtschaftlich immer wichtiger: Weder die künftige Strompreisentwicklung noch Veränderungen des Förderrahmens sind für Investoren vorhersehbar.
LichtBlick entwickelt den SchwarmDirigenten zu einer technologieunabhängigen Plattform weiter, die dezentrale Anlagen energiewirtschaftlich optimiert. So wurde im Rahmen der Direktvermarktung von EEG-Strom bereits ein Portfolio von Windparks mit einer Gesamtleistung von 420 Megawatt über den SchwarmDirigenten vermarktet. Darüber hinaus bereitet LichtBlick die Einbindung weiterer Technologien in das SchwarmStrom-Konzept vor. So können künftig mit Batteriespeichern ergänzte Photovoltaikanlagen nicht nur den wirtschaftlich attraktiven Eigenverbrauch deutlich verbessern, sondern auch dem Strom-Markt als Speicher oder SchwarmStrom-Lieferant zur Verfügung stehen. Auch Batterien von Elektroautos sollen künftig ins Stromsystem eingebunden werden. LichtBlick hat dazu ein eigenes Forschungsprojekt gestartet. Die Batterien in Elektroautos sollen künftig, während sie an Ladestationen gekoppelt sind, bei Bedarf Regelenergie (Sekundärregelleistung) bereitstellen und so einen Beitrag zur Netzstabilität leisten.
Betreiber dezentraler Kraftwerke, Speicher und steuerbare Lasten können ihre Anlagen direkt in den LichtBlick-Schwarm integrieren und durch LichtBlick energiewirtschaftlich optimieren lassen. Oder sie setzen den Dirigenten als webbasierte Cloud-Lösung ein und können so ihren eigenen Schwarm betreiben und optimieren. Das System ist mandantenfähig und bietet Schnittstellen zur einfachen Integration in bestehende Systemlandschaften mit Engineering-Data-Management-, Customer-Relationship-Management- und Abrechnungssystemen. Zudem ist es als offene Plattform konzipiert, sodass es künftig durch weitere Software-Module von Drittanbietern ergänzt und individuell ausgebaut werden kann.
Kommunikation 2.0
Neben der Verwaltung und Optimierung von dezentralen Anlagen ist eine weitere Herausforderung die sichere kommunikative Anbindung von Zählern und Anlagen. LichtBlick entwickelt zusammen mit der Firma Görlitz ein Modul zur Vernetzung über Mobilfunk oder Breitband-Technik. Ergänzt wird diese Kommunikationsplattform durch eine universell einsetzbare Komponente, die SchwarmKommunikation 2.0. Sie kann eine Vielzahl von Blockheizkraftwerken, Speichern und Zählern vor Ort miteinander verbinden und stellt die Schnittstelle zur Außenwelt dar. Bei diesen Entwicklungen liegt der Fokus auf Datenschutz, Zuverlässigkeit, Flexibilität, Performance, Skalierbarkeit sowie der Kosteneffizienz. Die Komponente erfüllt durch TLS-Verschlüsselung und BSI-Standards höchste Sicherheitsnormen. Sie ist auch für die Zusammenarbeit mit einem Smart Meter Gateway geeignet. Die Komponente ist günstiger als herkömmliche Technologien, sodass auch kleinere Anlagen mit geringer Leistung wirtschaftlich im Schwarm betrieben werden können.
Dieser Beitrag ist in der April-Sonderausgabe von stadt+werk mit Schwerpunkt Informations- und Kommunikationstechnologie für die Energiewende erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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