Donnerstag, 7. November 2024

InterviewEffizienz statt Ausbau

[28.03.2014] Ist Deutschland der europäische Musterschüler bei der Energiepolitik? Der auf Energie- und Umweltpolitik spezialisierte Politikwissenschaftler Lutz Mez wirft einen nüchternen Blick auf die aktuelle Situation und fordert größere Anstrengungen bei der Energieeffizienz.
Dr. Lutz Mez: „Energieeffizienz ist wichtiger als der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien.“

Dr. Lutz Mez: „Energieeffizienz ist wichtiger als der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien.“

(Bildquelle: privat)

Herr Dr. Mez, im Ausland wird die deutsche Energiepolitik mit Interesse verfolgt. Ist die Energiewende ein deutsches Phänomen?

Zunächst muss man festhalten, dass der Begriff Energiewende bereits in den 1980er-Jahren geprägt worden ist. Damals erschien die Studie „Energie-Wende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“. Dann sprach man von der Energiewende von unten – durch eine neue Energiepolitik der Kommunen. Als 1986, nach Tschernobyl, ernsthaft über einen Atomausstieg debattiert wurde, zeigten sich Unterschiede in den europäischen Ländern, die das Thema höchst unterschiedlich bearbeitet haben. Der Komplettausstieg kam nur in Deutschland und Italien auf die Tagesordnung. Aber auch in Belgien, der Schweiz und in Schweden gab es Atomausstiegsbeschlüsse. Im europäischen Vergleich ist das schwedische Energieprogramm deutlich ambitionierter als unseres. Der Anteil von Öl – immerhin 30 Prozent – soll dort bis 2020 ganz wegfallen.

Wie groß ist die Vorreiterrolle Deutschlands bei der Energiewende im europäischen Vergleich?

Es ist schwierig, über Vorreiter und Nachzügler zu sprechen, da die europäischen Länder sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Selbst die großen Industrieländer weisen ganz verschiedene Strukturen auf. Mit der EU-Richtlinie über erneuerbare Energien wurden verbindliche Ziele bis zum Jahr 2020 vorgeschrieben, etwa der 20-prozentige Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch. Dem Zwischenstand vom März 2013 zufolge haben sämtliche EU-Länder, bis auf Malta und Zypern, ihre Ziele erreicht. Elf Staaten haben es sogar um zwei Prozent überboten und vier Staaten haben ihr Ziel für 2020 schon realisiert. Das sind Schweden, Estland, Österreich und Norwegen. Unter den großen Industrienationen steht Deutschland zwar gut da, aber es gibt auch Länder, besonders die kleineren, die bereits deutlich mehr erreicht haben.

Hat Deutschland denn gegenüber den großen Industrienationen einen Vorsprung?

Der Atomausstieg hat bei uns früher begonnen – und im Zuge der Wiedervereinigung wurden alle AKW-Blöcke der ehemaligen DDR stillgelegt. Italien ist zwar direkt nach Tschernobyl ganz aus der Atomkraft ausgestiegen, aber mit der Folge, dass italienische Stromkunden noch heute 200 Millionen Euro im Jahr für die vier stillgelegten AKWs aufbringen müssen. Bei uns haben die Betreiber Rückstellungen für Stilllegung und Rückbau der AKWs gebildet und über den Strompreis auf die Stromkunden umgelegt. Sie haben eine gut gefüllte Kriegskasse, bevor sie die Anlagen endgültig abschalten. Frankreich setzte nach der Energiekrise in den 1970er-Jahren auf Atomstrom, der heute etwa 17 Prozent des Endenergieverbrauchs ausmacht. Der französische Präsident Hollande will bis 2025 insgesamt 24 Blöcke abschalten.

Wie sieht es bei der CO2-Reduktion aus? Nach EU-Vorgaben sollen 40 Prozent Kohlendioxid bis 2020 eingespart werden. Laut Umweltbundesamt sind die deutschen Emissionen im Jahr 2012 um 1,1 Prozent angestiegen.

Die Situation verändert sich nicht so rasch. Die schnellen Stellschrauben im Kraftwerksbereich wären die Kraft-Wärme-Kopplung und die Substitution von fossilen Energieträgern durch erneuerbare Energien. Dazu benötigt man allerdings Rahmenbedingungen, die eine Wirtschaftlichkeit ermöglichen, was zurzeit nicht der Fall ist. Wenn große Industriebetriebe Heizkraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung selbst betreiben würden, könnten konventionelle Kondensationskraftwerke und AKWs schneller ersetzt werden. Doch diese Szenarien sind nicht umgesetzt worden.

„Bei der Effizienzsteigerung liegen Finnland, Slowenien, Ungarn und Großbritannien vor Deutschland.“
Was müsste nun getan werden?

Will Deutschland seine Klimaziele erreichen, müsste der Anteil erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung bei 80 Prozent liegen. Meines Erachtens ist jedoch die Energieeffizienz wichtiger als der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien. Solange das Problem der Speicherung nicht hinreichend und kostengünstig gelöst ist, muss weiter Energie gespart werden. Die Wärmedämmung von Gebäuden ist aber wirtschaftlich nur sinnvoll, wenn ohnehin Instandhaltungsmaßnahmen geplant sind und modernisiert werden soll.

Wo steht Deutschland bei der Energieeffizienz?

Es gibt bei uns zwei Energieeffizienz-Aktionspläne des Bundeswirtschaftsministeriums, die auf EU-Richtlinien basieren und deren Ziele innerhalb der EU nicht verbindlich sind. Wenn man das Energieeffizienzziel für 2020 erreichen will, müsste die Verbesserung bei drei Prozent pro Jahr liegen. Deutschland erreicht aber nur 1,5 Prozent. Das ist kein schlechter Wert, aber Spitzenreiter sind wir damit nicht. Im Vergleich der Effizienzsteigerung seit dem Jahr 2000 liegen Finnland, Slowenien, Ungarn und Großbritannien vor Deutschland. Dagegen weist Frankreich weniger als ein Prozent auf und Italien liegt bei Prozent.

Welche Handhabe hat die EU, um ihre Ziele durchzusetzen?

Theoretisch könnten die EU-Kommission und das Europäische Parlament die Nationalstaaten richtig anschubsen, schließlich hat der Lissabon-Vertrag ein eigenes Energiekapitel. Das geschieht aber bisher nur indirekt. Ein anspruchsvolles CO2-Minderungsziel mit Bremsern wie Polen durchzusetzen ist schwierig. Im Bereich der erneuerbaren Energien wiederum sind die EU-Ziele bis zum Jahr 2020 durchaus zu schaffen. Schon heute könnte man an einem sonnenreichen Sonntag fast die gesamte deutsche Stromversorgung über die Erneuerbaren gewährleisten. Die Crux ist aber, dass das Verbraucherverhalten der privaten Haushalte nicht mit der Verfügbarkeit der Sonnenenergie übereinstimmt. Nur in der Industrie wird tagsüber der meiste Strom benötigt. Deshalb sind technische Lösungen für die Speicherung erforderlich, damit die Photovoltaik und der Windstrom nicht mehr abgeregelt werden müssen. Langfristig könnten wir dann auch auf Energie-Importe und transnationale Leitungen verzichten. Darüber hinaus bedarf es stabiler Investitionsbedingungen für Bauherren und man muss den Rückhalt und die Akzeptanz für den weiteren Ausbau in der Bevölkerung über Beteiligungssysteme stärken.

Interview: Dr. Helmut Merschmann

Mez, LutzDr. Lutz Mez ist Privatdozent am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Energie- und Umweltpolitik von Industrieländern unter besonderer Berücksichtigung der Atom-, Klimaschutz- und Elektrizitätspolitik.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Auf dem Bild ist ein Umspannwerk zu sehen, im Vordergrund zwei Personen, die sich über einen Plan beugen.

Bundesregierung: KRITIS-Dachgesetz beschlossen

[07.11.2024] Die Bundesregierung hat den Entwurf des KRITIS-Dachgesetzes beschlossen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser betont die Notwendigkeit des Gesetzes, um Deutschland widerstandsfähiger gegen Krisen und Katastrophen zu machen. mehr...

Auf dem Bild sind Michael Maxelon, Vorstandsvorsitzender der Mainova AG, Hessens Energie- und Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori und Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef zu sehen. Sie halten ein Plakat in Händen, das das Konzept der Energiewendeviertel illustriert.

Frankfurt am Main: Energiezukunft gemeinsam gestalten

[05.11.2024] Bei einer Veranstaltung der Mainova diskutierten Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef und Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori über den geplanten Ausbau der Strom- und Wärmenetze in Frankfurt. mehr...

Barcamp 2023 in der SMA Solar Academy. Foto: Heiko Meyer

Energieblogger: Energiewende in Krisenzeiten

[05.11.2024] Wie kann man Menschen trotz globaler Krisen und Konflikte für die Energiewende gewinnen? Mit dieser Frage beschäftigt sich das 12. Barcamp Renewables Mitte November in Kassel. mehr...

Stuttgart: Status zur Wärmeplanung

[30.10.2024] Die Landeshauptstadt Stuttgart plant bis 2035 eine klimaneutrale Wärmeversorgung und erhält Unterstützung durch das Regierungspräsidium. In einer Ausschusssitzung berichteten Verantwortliche über den Status und die Herausforderungen dieser nachhaltigen Wärmeplanung. mehr...

Die Säulen-Grafik zeigt die Entwicklung der installierten Leistung Erneuerbarer-Energien-Anlagen von 2023 bis 2029.

EWI-Gutachten: Milliardenanstieg bei EEG-Förderungen

[28.10.2024] Die EEG-Förderung für erneuerbare Energien könnte bis 2025 auf über 18 Milliarden Euro steigen – fast eine Milliarde mehr als 2023. Bis 2029 wird eine Verdoppelung der Erzeugungskapazitäten in Deutschland prognostiziert, die Förderzahlungen könnten auf über 23 Milliarden Euro steigen. mehr...

Das Bild zeigt Module einer Freiflächen-Photovoltaikanlage, imHintergrund sind Windräder zu sehen.

Bund-Länder-Kooperationsausschuss: Erneuerbare nehmen Fahrt auf

[28.10.2024] Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland hat im vergangenen Jahr kräftig zugelegt und das Vorjahresniveau deutlich übertroffen. Allerdings bleibt der Ausbau der Windenergie hinter den Erwartungen zurück. mehr...

AEE: Hintergrundpapier zu regelbaren Kraftwerken

[28.10.2024] Um die Stromversorgung in Deutschland auch künftig stabil zu halten, sind ergänzend zu erneuerbaren Energien regelbare Kraftwerke notwendig. Dies zeigt ein neues Hintergrundpapier der AEE. mehr...

Sachsen-Anhalt: Ressortplan Klima beschlossen

[25.10.2024] Das Kabinett von Sachsen-Anhalt hat jetzt einen neuen Ressortplan Klima verabschiedet, der 75 Maßnahmen zur Förderung des Klimaschutzes umfasst. Umweltminister Willingmann betonte, dass trotz sinkender Treibhausgasemissionen zusätzliche Anstrengungen notwendig seien, um die Klimaziele zu erreichen. mehr...

Eine Freiflächensolaranlage.

Bremen: Stadtteile sollen direkt profitieren

[17.10.2024] In Bremen soll künftig ein Teil der Erträge von Windkraft- und Freiflächensolaranlagen direkt an die naheliegenden Quartiere fließen können. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Abgabe der Anlagenbetreiber, mit denen die Bremer Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft entsprechende Verträge abschließen kann. mehr...

Die Grafik symbolisiert Zukunftsszenarien für die Energiewende, die sowohl technische als auch soziale Aspekte einbeziehen. Die in blau gehaltene Grafik zeigt Gebäude, Windräder und Strommasten.

Studie: Elektrifizierung im Fokus

[14.10.2024] Wie Deutschland bis 2045 ein klimaneutrales Energiesystem erreichen kann, haben Forscher des KIT, des DLR und des Forschungszentrums Jülich in einem neuen Bericht vorgestellt. Sie betonen die Bedeutung der Elektrifizierung und des Ausbaus der erneuerbaren Energien als zentrale Bausteine der Energiewende. mehr...

Zu sehen ist das historische Rathaus der Stadt Braunschweig.

Braunschweig: Erfolge bei Energieeinsparungen

[11.10.2024] Die Stadt Braunschweig hat einen Energiebericht für ihre städtischen Gebäude vorgelegt. Er dokumentiert, wie die Stadt in den vergangenen Jahren ihren Energieverbrauch und CO2-Ausstoß senken konnte. mehr...

Das Bild zeigt Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack.

Schleswig-Holstein: Solar-Erlass erleichtert Planung

[11.10.2024] Der Solar-Erlass soll den Kommunen in Schleswig-Holstein als Leitfaden bei der Planung und Genehmigung von Freiflächen-Solaranlagen dienen. Die Landesregierung hat den Erlass nun grundlegend überarbeitet. mehr...

Das Bild zeigt das Zeichen H2 für Wasserstoff, das in einer Flüssigkeit schwimmt.

Rheinland-Pfalz: Potenzialregionen für Wasserstoff

[08.10.2024] Eine aktuelle Studie des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität zeigt, dass es in Rheinland-Pfalz vielversprechende Regionen für die Produktion von grünem Wasserstoff gibt. mehr...

Foto der Sprecher der Pressekonferenz zur Gründung der EnergieRegion Göttingen GmbH.

Regionale Zusammenarbeit: EnergieRegion Göttingen gegründet

[08.10.2024] Mit der Gründung der EnergieRegion Göttingen soll der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben werden. Die Gesellschaft, an der Stadt, Landkreis, Stadtwerke und EAM beteiligt sind, schafft die Grundlage für eine nachhaltige Energieversorgung. Bürger und Kommunen können sich aktiv beteiligen. mehr...

Das Bild zeigt Arbeiter auf einem Strommast.

ÜNB: Netzentgelte vorläufig festgelegt

[07.10.2024] Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben die vorläufigen Netzentgelte für das Jahr 2025 bekannt gegeben. Das durchschnittliche Netzentgelt steigt um 3,4 Prozent und liegt im kommenden Jahr bei 6,65 Cent pro Kilowattstunde. mehr...