Freitag, 22. November 2024

InterviewGießener Strategie

[06.05.2013] Im stadt+werk-Interview berichtet Jens Hanig, bei den Stadtwerken Gießen (SWG) Projektleiter für den Neubau von BHKW, warum der Versorger seit nunmehr 30 Jahren auf Kraft-Wärme-Kopplung setzt.
Jens Hanig

Jens Hanig

Jens Hanig, Jahrgang 1980, ist seit Oktober 2004 in der Abteilung Wärmeversorgung der Stadtwerke Gießen tätig. Seit 2012 ist er Gruppenleiter im Bereich Eigenerzeugung. Zu seinem Aufgabengebiet zählen die Projektierung von Anlagen sowie Technik und Ausfüh

(Bildquelle: Stadtwerke Gießen)

Herr Hanig, die Stadtwerke Gießen (SWG) setzen verstärkt auf Strom- und Wärmeerzeugung mittels Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Welche Vorteile sehen Sie in dieser Strategie?

Die Stadtwerke Gießen haben bereits vor 30 Jahren mit dem Einsatz der ersten Blockheizkraftwerke (BHKW) auf das Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung gesetzt. Denn die hohe Energieeffizienz bei gleichzeitiger Produktion von Strom und Wärme an einem Standort wurde von Beginn an erkannt. Daher findet seitdem auch ein sukzessiver Ausbau des Fernwärmenetzes in Gießen statt. Während bei der konventionellen Stromerzeugung in Kraftwerken der größte Anteil der Primärenergie ungenutzt bleibt, können wir durch den Einsatz von Blockheizkraftwerken Strom und Wärme verbrauchernah erzeugen und dem Kunden über kurze Trassen zur Verfügung stellen. Der Gesamtwirkungsgrad ist dadurch extrem hoch, was sich auch in einer erheblichen Senkung des CO2-Ausstoßes widerspiegelt. Durch die Forderung der Bundesregierung, bis zum Jahr 2020 den Anteil der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf 25 Prozent zu steigern, sehen wir uns in unserer Strategie bestärkt.

„KWK ist keine Konkurrenz für erneuerbare Energien, sondern eine wichtige Ergänzung.“
Warum ist die Kraft-Wärme-Kopplung Ihrer Ansicht nach ein wichtiges Element beim Ausbau der erneuerbaren Energien?

Bei den erneuerbaren Energien muss man zwei Bereiche unterscheiden. Da gibt es die volatilen Energieträger Photovoltaik und Windkraft, die nur in Abhängigkeit von Sonneneinstrahlung beziehungsweise Windgeschwindigkeiten Strom zur Verfügung stellen können. Solange Strom nicht in ausreichenden Mengen gespeichert werden kann, müssen in windschwachen und sonnenarmen Zeiten jedoch schnell zuschaltbare Energieerzeuger verfügbar sein. BHKW auf Gasbasis sind hierfür prädestiniert. Biomasse, etwa Brennholz oder Energiepflanzen zur Vergärung in Biogasanlagen, benötigt aber eine Wärmesenke, in der die thermische Energie aufgenommen werden kann. Um diesen Anteil an erneuerbaren Energien effizient verwenden zu können, ist ein strategischer Ausbau von Fernwärme­netzen unerlässlich. Auch hier stellt die Kraft-Wärme-Kopplung eine wichtige Basis dar, um die Grund- und Spitzenlastbedarfe in Verbindung mit den erneuerbaren Energien zu decken. Kurzum: Kraft-Wärme-Kopplung auf Erdgasbasis ist keine Konkurrenz für erneuerbare Energien, sondern eine wichtige Ergänzung in einer ganzheitlichen Energiepolitik.

Aus welchen Gründen kann man die Technik zudem als besonders wirtschaftlich bezeichnen?

Durch den effizienten Umgang mit der Primärenergie und den somit extrem hohen Wirkungsgraden ist der Ertrag aus der Kraft-Wärme-Kopplung besser als bei der konventionellen Erzeugung. Die höheren Investitionen in die komplexere Anlagentechnik werden glücklicherweise durch das KWK-Gesetz und die Vergütung des erzeugten Stroms unterstützt.

Welche Erfahrungen haben die Stadtwerke in den vergangenen 30 Jahren mit KWK gemacht?

Erstaunlich ist, dass die 1982 in Betrieb genommene Anlage noch heute klaglos läuft: Auch nach 170.000 Betriebsstunden arbeitet das original BHKW-Modul ohne Probleme. Wartungs- und Instandhaltungskosten liegen deutlich unterhalb der Annahmen. Die wichtigste Erfahrung war wohl, dass für den Betrieb von KWK-Anlagen eine möglichst große Wärmesenke notwendig ist. Daher rührt auch der extreme Ausbau des Fernwärmenetzes. Mittlerweile verfügen die Stadtwerke Gießen über knapp 110 Kilometer Hauptrohre im Stadtgebiet und ein rund 40 Kilometer langes Fernwärmenetz im Überlandgebiet. Bis zum Jahr 2020 ist ein weiterer Ausbau um zusätzliche 40 Kilometer geplant. Deutschlandweit betreiben die SWG inzwischen mehr als 100 Blockheizkraftwerke mit einer elektrischen Gesamtleistung von über 30.000 kW und erzeugen dabei über 100 Millionen Kilowattstunden Strom jährlich. Damit produzieren wir etwa 40 Prozent des Strombedarfs für unsere Privatkunden selbst. Bis 2020 wird dieser Anteil bei über 50 Prozent liegen und damit die Vorgaben der Bundesregierung weit übertreffen.

Wie sind die Stadtwerke Gießen ansonsten im Bereich erneuerbare Energien aufgestellt?

Neben drei Biomasseheizwerken mit einer thermischen Leistung von fünf Megawatt betreiben wir eine Biogasanlage. Für eine zweite haben wir gerade die Baugenehmigung erhalten. Diese kann noch in diesem Jahr in Betrieb gehen. In der Strategie 2020 sind zudem zwei weitere Biogasanlagen und eine Anlage zur Bioabfallvergärung aufgeführt. Wir setzen unseren Fokus dabei immer auf den KWK-Prozess. Denn auch wenn es sich um nachwachsende Rohstoffe handelt, sind diese für eine ausschließliche Verstromung zu wertvoll.

Die Blockheizkraftwerke der Stadtwerke Gießen sollen in den kommenden Jahren noch „grüner“ werden – was ist genau geplant?

Neben dem Bau neuer Erzeugungsanlagen werden wir bis zum Jahr 2020 die existierenden BHKW zunehmend auf Bioerdgas umstellen. Damit erzeugen wir grünen Strom und Wärme. Außerdem stammt der noch zugekaufte Strom aus zertifizierten Wasserkraftanlagen. Damit wird der in Gießen erzeugte Strom noch klimafreundlicher, was mit unserem Label „Gießener Grünstrom“ auch öffentlich dargestellt wird.

Inwiefern profitieren Bürger und Unternehmen in der Region von der KWK-Strategie der Stadtwerke?

Neben der circa 40-prozentigen CO2-Reduzierung im Vergleich zur konventionellen, getrennten Erzeugung profitiert jeder Privatkunde von unserem „Gießener Grünstrom“. Der Ausbau der Netze und Anlagen geschieht zudem mit Unternehmen vor Ort, wodurch die Wertschöpfung in der Region gehalten wird. Außerdem wird im Sommer die im KWK-Prozess erzeugte Wärme genutzt, um mit unseren Absorptionskältemaschinen für die Gebäudeklimatisierung zu sorgen. Das heißt, neben dem Ausbau des Wärmenetzes schließen wir auch immer mehr – vornehmlich öffentliche – Gebäude an unser Kältenetz an, um dort strombetriebene Klimatisierungen zurückzubauen. Somit erweitern wir den KWK-Prozess zum Kraft-Wärme-Kälte-Kopplungsprozess. Eben ganz nach unserem Motto „Mit Energie. Für die Region“.

Interview: Bettina Schömig

Hanig, JensJens Hanig, Jahrgang 1980, ist seit Oktober 2004 in der Abteilung Wärmeversorgung der Stadtwerke Gießen tätig. Seit 2012 ist er Gruppenleiter im Bereich Eigenerzeugung. Zu seinem Aufgabengebiet zählen die Projektierung von Anlagen sowie Technik und Ausführung.



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