Dienstag, 29. Oktober 2024

GasFossile Perspektiven

[19.07.2012] Der Fokus auf erneuerbare Energien beim Atomausstieg hat einen alten Bekannten aus dem Blick verloren: Erdgas spielt im zukünftigen Energiemix eine wichtige Rolle. Ein Plädoyer für den umweltschonendsten fossilen Energieträger.
Die existierende Erdgasinfrastruktur kann auch für Bioerdgas genutzt werden.

Die existierende Erdgasinfrastruktur kann auch für Bioerdgas genutzt werden.

(Bildquelle: WINGAS GmbH)

Der Atomausstieg aus dem Jahr 2011 mit dem Ziel, die Energielandschaft umzubauen, wird von der Bevölkerung unterstützt. Doch auf dem Weg in ein regeneratives Zeitalter waren der politisch getriebene Ausstiegsbeschluss und die Festschreibung von Zielen noch der leichteste Schritt. Die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt: Wie kann die Energiewende umgesetzt werden, ohne dass dabei die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie aus den Augen verloren werden? Die Regierung hatte im Sommer 2011 ihre ehrgeizigen Ziele weitgehend ohne Blick auf die damit verbundenen Kosten und die Realisierbarkeit von Infrastrukturprojekten gesteckt. Inzwischen wird sie von den harten wirtschaftlichen Fakten und dem öffentlichen und medialen Druck eingeholt.

Kritische Weggabelung

Es ist absehbar, dass die EEG-Umlage 3,5 Cent pro Kilowattstunde überschreiten wird. Im grundlegenden Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Energiewende vom Juni 2011 wurde das bestritten. Mittlerweile wird eine Erhöhung auf über fünf Cent pro Kilowattstunde nicht mehr ausgeschlossen. Mehr als jeder fünfte Euro der Stromkosten von Haushalten würde dann auf die EEG-Umlage entfallen – Tendenz weiter steigend. Der erforderliche Ausbau der Infrastruktur kommt ebenfalls nur schleppend voran. Mangels eines Masterplans lassen sich die technischen Notwendigkeiten nur schwer vorhersehen, die Genehmigungsverfahren sind langwierig und potenziell kontrovers, und es ist im Einzelfall fraglich, inwieweit der Ausbau von Infrastruktur – beispielsweise, um Windstrom nach Süddeutschland zu bringen – einer dezentralen Stromerzeugung wirtschaftlich überlegen ist.
Engpässe im Februar 2012 haben insbesondere in Süddeutschland offenbart, dass die Verlässlichkeit der Energieversorgung regional sehr schnell kritisch werden kann. Die steigenden Energiepreise in Deutschland schwächen zudem im internationalen Vergleich die Wettbewerbsfähigkeit und gefährden damit Arbeitsplätze.
Die Beispiele zeigen, dass sich Deutschland bei der Energiewende an einer kritischen Weggabelung befindet. In den Mittelpunkt der Diskussion um den besten Weg ins CO2-arme Zeitalter gehören daher nicht allein Ziele für den Ausbau von erneuerbaren Energien, sondern gleichberechtigt auch andere, hinlänglich bekannte Ziele der Energiepolitik: Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Dafür müssen kostenminimale Wege zur nachhaltigen Reduzierung von CO2 gefunden werden. Und die Subventionsfalle sollte künftig vermieden werden, sie schwächt – gerade im Strom-Markt – die Marktkräfte. Als Maßstab für den bezahlbaren Umbau der Energielandschaft sind daher die Kosten der CO2-Reduzierung zu betrachten. Der Fokus sollte nicht – wie bislang – beinahe ausschließlich auf dem Ausbau der erneuerbaren Energien liegen, frei nach dem Motto „Koste es, was es wolle“.

Leere Ziele

Vor diesem Hintergrund erscheint das Ziel der Bundesregierung, 35 Prozent der Stromproduktion bis 2020 aus erneuerbaren Energien zu erzielen, nicht überzeugend, da nicht klar ist, wie hoch die damit verbundenen Kosten sind. Zudem ist unklar, ob es keine günstigeren Wege gibt, die damit einhergehenden CO2-Einsparungen zu erreichen. Dies soll nun kein Plädoyer gegen die erneuerbaren Energien sein, sondern ein Plädoyer für Lösungen frei von dogmatischen Positionen. Drei Aspekte dürfen dabei nicht vernachlässigt werden: die nachhaltige Erreichung der CO2-Reduzierungsziele (40 Prozent bis 2020), deren Bezahlbarkeit und die Erhaltung der jederzeitigen Versorgungssicherheit.
Eine pragmatisch orientierte Energiepolitik muss in diesem zentralen Punkt umdenken. Nach dem Wechsel an der Spitze des Bundesumweltministeriums kann hier ein Signal gesetzt werden. Es wäre ein Zeichen im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit, die CO2-Einspar- und damit Klimaschutzziele, um die es erstaunlich still geworden ist, tatsächlich erreichen zu wollen. Wenn jedoch die Minimierung der CO2-Reduzierungskosten in den Mittelpunkt einer modernen Energiepolitik gestellt würde, wird schnell deutlich, welche wichtige Rolle das Erdgas spielt: Erdgas ist bezahlbar, auf lange Sicht verfügbar, und es ist als umweltschonendster fossiler Energieträger die ideale Ergänzung zu erneuerbaren Energien.
Einige Beispiele: Die Notwendigkeit, im Wärmemarkt, der immerhin gut ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutschland ausmacht, Kohlendioxid einzusparen, ist von der Regierung erkannt worden. Die Vehemenz, mit der aber Fassadendämmung als das zentrale Werkzeug der Energieeinsparung propagiert wird, ist mit Blick auf die Kosten mehr als erstaunlich. Ersten Schätzungen zufolge würden sich die Kosten hierfür auf rund 1,5 Billionen Euro bis zum Jahr 2050 belaufen. Das sind im Schnitt etwa 40 Milliarden Euro pro Jahr. Leider wird nicht einmal der Versuch unternommen, die Finanzierung eines solchen Programms im Detail zu beschreiben. Dabei liegen gerade im Bestandsbau wesentlich preisgünstigere Lösungen für CO2-Einsparungen auf der Hand: Rund eine halbe Million Heizungen pro Jahr stehen in den kommenden Jahren zur Erneuerung an. Damit bietet sich ein großes Potenzial für nachhaltige CO2-Einsparungen.

Vertraute Energie

Mit modernen Erdgasheizungen kann nicht nur CO2, sondern auch Geld gespart werden, ohne dass es Subventionen bedürfte. Darüber hinaus lassen sich mit Solarthermie zusätzliche Einsparungen erzielen. Kurz gesagt: Im Wärmemarkt muss die wirtschaftlichste Art der CO2-Einsparung von der Regierung technologieoffen unterstützt werden. Dazu würde auch beitragen, aktuelle Entwicklungen in der Heiztechnologie, wie den Einsatz von Brennstoffzellen und Mikro-Kraftwärme-Kopplung, weiter voranzutreiben – und zwar ohne Bedarf an milliardenschweren Subventionen. Demgegenüber ist die Dämmung nur dann eine wirtschaftlich vertretbare Lösung, wenn im Altbau ohnehin Fassaden- oder Dachrenovierungsarbeiten anstehen.
Leider hat sich die Bundesregierung bei der jüngsten Überarbeitung des KWK-Gesetzes im Bereich der kleinen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen nur zu einer wenig differenzierten Ausweitung der Vergütungen durchringen können: Für Mikro-KWK mit einer Leistung von ein bis zwei kWel ergibt sich nur eine minimale Verbesserung der Förderbedingungen von wenigen Euro pro Jahr. Hier wurde eine Riesenchance für die Förderung dieser modernen Technologie als Teil einer dezentralen Energieerzeugung verpasst.
Erdgas ist jedoch erheblich mehr als nur ein CO2-armer Energieträger. Es ist ein ideales Medium für die Integration von erneuerbaren Energien in die Energielandschaft, ohne die deren Umbau nicht gelingt: Beispielsweise können moderne Gaskraftwerke als Backup genutzt werden, wenn einmal Strom aus erneuerbaren Energien ausfällt, weil keine Sonne scheint oder der Wind nicht weht. Erdgas kann man auch als Transport- und Speichermedium einsetzen, indem Überschussstrom zu Methan umgewandelt wird (Power to Gas). Daneben kann die existierende Erdgasinfrastruktur – Pipelines und Speicher – für Bioerdgas genutzt werden. Das aus Biomasse gewonnene Gas ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Integration von erneuerbaren Energien und einer schon existierenden Energie-Infrastruktur funktionieren kann.

Dr. Ludwig Möhring ist Mitglied der Geschäftsführung des Kasseler Gasspezialisten WINGAS.


Stichwörter: Erdgas,


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