[10.4.2019] Wie Wasserstoff günstiger produziert werden kann, testet das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) unter realen Bedingungen in einer Power-to-Gas-Anlage in Grenzach-Wyhlen. Den Strom liefert ein benachbartes Wasserkraftwerk.
Wasserstoff aus Ökostrom kann Mobilität klimafreundlicher gestalten und den Schadstoffausstoß reduzieren, ist aber noch zu teuer. Eine Power-to-Gas-Anlage in Megawattgröße in der Gemeinde Grenzach-Wyhlen im Kreis Lörrach soll nun einen Weg aufzeigen, um die Kosten deutlich zu senken. Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) koordiniert das Vorhaben. Betreiber der Anlage ist der Energieversorger Energiedienst AG. Wirtschaft und Forschung beteiligen sich ebenfalls am Projekt, welches das Land Baden-Württemberg mit 4,5 Millionen Euro fördert.
500 Kilogramm Wasserstoff pro Tag
Mitte November 2018 wurde das Leuchtturmprojekt im Beisein von Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut offiziell eingeweiht. Im selben Monat ist in Testläufen die Wasserstoffproduktion in der kommerziellen Anlage gestartet. Im Januar 2019 nahm das ZSW das Monitoring-System zur Vermessung des industriellen Anlagenteils in Betrieb. Die Power-to-Gas-Anlage besitzt eine elektrische Anschlussleistung von einem Megawatt. Pro Tag kann sie rund 500 Kilogramm Wasserstoff erzeugen. Genug für eine durchschnittliche Tagesfahrleistung von mehr als 1.000 Brennstoffzellen-Pkw.
Wirtschaftlicher werden soll die Wasserstoffproduktion vor allem durch drei Faktoren. Die Energiedienstanlage bezieht den Ökostrom ohne Umweg über das Stromnetz direkt aus dem nur wenige Meter entfernt liegenden Laufwasserkraftwerk Wyhlen. Netzentgelte und die EEG-Umlage entfallen somit. Da die Wasserkraft eine stetige erneuerbare Energiequelle ist, die bei praktisch jedem Wetter Energie liefert, lassen sich zudem die Volllaststunden im Vergleich zu Power-to-Gas-Anlagen, die auf Wind- oder Sonnenenergie basieren, erhöhen.
Kostenoptimierte Elektrolyseblöcke
Zusätzlich erprobt das ZSW in einer angeschlossenen Forschungsanlage effizientere Katalysatoren und günstigere Elektroden. Die Elektrolyse zur Umwandlung des erneuerbaren Stroms macht mit rund 40 Prozent den größten Kostenanteil aus. Entsprechend hoch ist hier das Einsparpotenzial. Langfristiges Ziel der Forscher und Ingenieure ist es, die heutigen Produktionskosten in etwa zu halbieren. In der angeschlossenen Forschungsanlage erproben die ZSW-Forscher außerdem effizienz- und kostenoptimierte Elektrolyseblöcke mit derzeit bis zu 300 Kilowatt Leistung, die auf bis zu einem Megawatt erweiterbar sind. Der Einsatz erfolgt unter realen Bedingungen: Der Strom kommt aus dem Wasserkraftwerk, wird zu Wasserstoff umgewandelt und sodann, wie in der kommerziellen Anlage, in einen Tank eingefüllt und anschließend per Lkw zum Zielort gebracht.
Technologieleitfaden für Power-to-Gas-Anlagen
Die ZSW-Forscher übernehmen das technische Monitoring der gesamten Anlage. Die aus dem Betrieb sekündlich gewonnenen Daten sowie eine detaillierte Analyse aller wesentlichen Bauteile wie Elektrolyseblock, Verdichter und Gleichrichter sollen die Komponenten künftig weiter optimieren. Im Rahmen des Projekts erstellen die Wissenschaftler auch einen Technologieleitfaden für Power-to-Gas-Anlagen, der Verbesserungspotenziale aufzeigen soll, um Wasserstoff künftig noch effizienter und wirtschaftlicher produzieren zu können. Geschäftsmodelle für die Ausgestaltung neuer Produkte und Dienstleistungen im Kontext Power to Gas sind ebenfalls Bestandteil des Arbeitsprogramms. „Mit der Power-to-Gas-Anlage hier in Wyhlen ist ein Vorzeigeprojekt für die Energiewende in Baden-Württemberg entstanden“, sagt Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut. „Für die Sichtbarkeit und Wirtschaftlichkeit neuer Technologien ist eine Erprobung im realen Betrieb unverzichtbar. Wir benötigen daher dringend Demonstratoren wie hier in Grenzach-Wyhlen, die Power to Gas aus dem Labormaßstab holen und den wirtschaftlichen Betrieb dieser Technologie zeigen.“
Klimaschutz im Mobilitätssektor
Außer dem ZSW sind insgesamt elf weitere Partner am Projekt in Grenzach-Wyhlen beteiligt, drei davon aus der Forschung: das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und die DVGW-Forschungsstelle am Engler-Bunte-Institut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Hinzu kommen acht assoziierte Industriepartner: die Energiedienst AG, die Daimler-Tochter NuCellSys, der Zweckverband RBB Böblingen, die Stadtwerke Sindelfingen, der Fernleitungsnetzbetreiber terranets bw, der Elektrolysehersteller McPhy Deutschland, der Membranproduzent und Anlagenbauer Fumatech BWT sowie die Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive Baden-Württemberg (e-mobil bw). Sie alle sind interessiert an der Weiterentwicklung der Power-to-Gas-Technologie. Denn Busse, Züge und Autos mit Brennstoffzellen können durch erneuerbaren Wasserstoff kohlendioxidfrei verkehren.
Grundlage für E-Methan
Der Wasserstoff ist außerdem Grundlage für die synthetischen Kraftstoffe E-Methan und E-Benzin. Für deutsche Energieversorger, Automobilhersteller und Unternehmen aus dem Maschinen-, Komponenten- und Anlagenbau bietet das Projekt am Rhein eine Chance, auch künftig im Mobilitätsmarkt die Nase vorn zu haben. „Mit Power to Gas bringen wir mehr Klimaschutz in den Mobilitätssektor und verringern den Ausstoß von Feinstaub und Stickstoffoxiden“, sagt Professor Frithjof Staiß, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des ZSW. „Am Wasserkraftwerk Wyhlen können wir die nötige Kostensenkung nun im Industriemaßstab optimal testen. Die Ergebnisse sollen der baden-württembergischen Wirtschaft zugutekommen und die Energiewende im Verkehr vorantreiben.“
Für Wasserkraftbetreiber kann sich Power to Gas künftig ebenfalls lohnen, wird somit doch die Teilnahme am Regelenergiemarkt attraktiver. Denn Betreiber, die zusätzlich eine Power-to-Gas-Anlage zur Verfügung haben, können auch bei Stromüberangebot die Turbinen mit voller Kraft weiterlaufen lassen, wandeln den nicht in das Netz eingespeisten Strom in Wasserstoff um und verkaufen ihn gewinnbringend an die Abnehmer.
Dr. Michael Specht ist Leiter des Fachgebiets Regenerative Energieträger und Verfahren am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW), Stuttgart.
http://www.zsw-bw.deDieser Beitrag ist in der März/April-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)
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