Samstag, 23. November 2024

BochumWärme aus der Grube

[26.01.2012] Bei der zukunftsfähigen Neuausrichtung der Wärmeversorgung konzentriert sich Bochum strategisch auf Geothermie und verfolgt zusammen mit den Stadtwerken einen integrativen Ansatz. Die Geothermie ist dabei nur ein Baustein.
Grubenwasser aus ehemaligen Zechen kann energetisch verwertet werden.

Grubenwasser aus ehemaligen Zechen kann energetisch verwertet werden.

(Bildquelle: Stadt Bochum)

Bochum ist ein führender Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort im Bereich Geothermie. Mit dem Internationalen Geothermiezentrum an der Hochschule Bochum und spezialisierten mittelständischen Unternehmen haben sich Experten hier angesiedelt. Auch für die kommunalen Energiestrategien soll dieses Potenzial genutzt werden: Durch eine intensive Kooperation zwischen den Stadtwerken und der Stadt Bochum ist es gelungen, erste innovative Projekte zu starten und darüber hinaus die Geothermie allgemein als grundlastfähige Schlüsselenergie innerhalb der strategischen Klimaschutz- und Stadtentwicklungsplanung zu verankern.

Städtebauliche Einbindung

Wie bei jeder neuen technischen Infrastruktur sind auch bei der Geothermie die ökologischen, energiewirtschaftlichen und räumlichen Implikationen für die Stadtentwicklung zu beachten. Sie entstehen zwangsläufig bei einem Einsatz in größerem Umfang. Hiermit sind keineswegs nur negative Auswirkungen gemeint, sondern vielmehr auch Chancen. Sie ergeben sich aus veränderten Energiegewinnungs- und Energieversorgungsmodellen. Spannende Fragen stellen sich dabei: Was bedeuten dezentrale Versorgungsstrukturen für den Verbraucher? Wie weit können wir die Individualität einschränken zugunsten von zentralen Lösungen? Wie lassen sich geothermische Anlagen gestalterisch und städtebaulich integrieren?
Neben einigen erfolgreich umgesetzten größeren Einzelprojekten, vorwiegend Bürogebäude mit Wärme- und Kälteversorgung aus Geothermie, drehen sich im Neubaubereich die Bemühungen um sinnvolle, dezentrale Nahwärme-Lösungen:
– Im Bereich der Gewerbebauten ist an erster Stelle das Projekt Seven Stones mit einer Bruttogeschossfläche von etwa 56.000 Quadratmetern zu nennen, bei dem ein Wärme- und Kältenetz aus Geothermie errichtet wird. Es wird gespeist aus einem Erdwärmesondenfeld mit 65 Bohrungen in 100 Metern Tiefe. Betreiber sind die Stadtwerke Bochum. Auch ein Wohngebiet mit rund 200 Wohneinheiten soll daran angeschlossen werden.
– Im Bereich von Wohnbaulandentwicklungen liegt der Fokus vorwiegend auf städtischen Brachflächen, die durch das Wohnbaulandkonzept systematisch entwickelt und einer baulichen Nachverdichtung zugeführt werden. Die Stadt prüft in jedem Einzelfall die jeweils passende und praktikable Lösung für die Wärmeversorgung, um Energieeffizienz mit Wirtschaftlichkeit zu verbinden. Kommt es zu zentralen Lösungen, stehen erneuerbare Energieträger an erster Stelle.
Dabei zeigt sich, dass die immer schärferen gesetzlichen Energiestandards (EnEV, EEWärmeG) für Gebäude tendenziell zu mehr individuellen Versorgungsmodellen des Einzelgebäudes führen und weg von zentralen Nahwärmenetzen. Dies gilt zumindest bei aufgelockerter Einfamilienhausbebauung. Derzeit sind wir noch in einer Übergangsphase, bei der in bestimmten Fällen Nahwärmelösungen eine Perspektive haben.
So war in einem Fall bereits eine fertige und schlüssige Planung eines Nahwärmenetzes für ein neues Wohngebiet mit 66 Wohneinheiten und einer KiTa entwickelt worden. Die Wärme sollte aus einem zentralen Sondenfeld mit 18 Bohrungen und einer Wärmezentrale mit Gas-Absorptionswärmepumpen gewonnen werden. Doch die Neuberechnung der prognostizierten Abnahmemengen unter Berücksichtigung der verschärften EnEV 2012 ergaben letztlich mangelnde Wirtschaftlichkeit. Nicht zu unterschätzen ist auch der Bereich der privaten Geothermienutzung durch Einzeleigentümer, vorwiegend im Einfamilienhaussektor. Hier sind inzwischen 154 Anlagen wasserrechtlich genehmigt worden.

Potenziale im Bestand

Wie bei der Gebäudesanierung liegen – jedenfalls quantitativ gesehen – auch bei der Neuausrichtung der Wärmeversorgung die größten Potenziale im Bestand. Zugleich stellen sich die Anstrengungen auf diesem Gebiet deutlich komplizierter dar, in technischer, wirtschaftlicher und praktischer Hinsicht. Eine Besonderheit in Bochum ist der große Fernwärmeanteil von circa 20 Prozent aller Haushalte, die zu 80 Prozent aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen stammt, darunter auch die Verbrennung von Deponiegas. Aus diesem Grund besteht in Bochum eine gute Ausgangslage, doch die weiteren Verbesserungen erfordern umso mehr Mühe.
Die Umrüstung der übrigen Baugebiete hin zu einer effizienten und zukunftsfähigen Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien hängt stark ab von der Gebäudetypologie in den einzelnen Siedlungsclustern. Realistischerweise kann „normale“ oberflächennahe Geothermie mit ihrem konstanten Ausgangsniveau von circa zehn Grad Celsius nur bei Gebäuden mit flächigen Heizkörpern eingesetzt werden, bei denen Vorlauftemperaturen von 35 bis 40 Grad Celsius ausreichend sind für eine effektive Raumheizung.
Dies bedeutet: Geothermie kann beim Bestandsumbau nur dann in größerem Stil zum Tragen kommen, wenn beispielsweise die Wohnungsbaugesellschaften ihre Bestände sanieren und dabei Flächenheizkörper einbauen oder erneuern. In Bochum gibt es große Bestände an früheren Sozialwohnungen, die noch überwiegend im Besitz von Wohnungsbaugesellschaften sind. Dort bestehen durchaus realistische Einsatzmöglichkeiten für Geothermie, die in enger Kooperation mit den Wohnungsbaugesellschaften im Rahmen einer energetischen Bestandssanierung eruiert werden. Dabei bildet die energetische Sanierung der Gebäudehülle zunächst die Voraussetzung für die Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien. Sanierungsumfang und Restnutzungsdauer werden hier zu entscheidenden Faktoren. Pilotprojekte sollen die Einsatzmöglichkeiten und Einspareffekte aufzeigen.
Die jetzt gestartete Tiefenbohrung an der Hochschule Bochum (Geo­Technikum) soll in der zweiten Ausbaustufe auch zur Einspeisung in das städtische Fernwärmenetz genutzt werden. Last but not least sei erwähnt, dass Geothermie im Ruhrgebiet auch das Grubenwasser umfasst, das in den Stollen und Schächten der früheren Zechen mit einer Temperatur von etwa 20 Grad Celsius darauf wartet, energetisch verwertet zu werden. Bislang werden einige städtische Gebäude mit Wärme aus Grubenwasser versorgt.

Ausblick

Um alle Ansätze systematisch anzugehen und eine umfassende Vision für die künftige Wärmeversorgung zu entwickeln, wird derzeit zusammen mit dem Fraunhofer-Institut ein integriertes Wärmenutzungskonzept erstellt, mit passgenauen und quantifizierten Szenarien für die einzelnen Stadtgebiete. Dies wird von der Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums erheblich gefördert. Ein Beispiel dafür, dass auch finanzschwache Kommunen bei Ausnutzung von Fördermitteln ambitionierte Projekte angehen können.

Uwe Langer koordiniert bei der Stadt Bochum das Themenfeld Energie und Klimaschutz in der Stadtplanung. Wolfgang Obach ist im Bochumer Stadtplanungs- und Bauordnungsamt für die Koordinierung und die Kontaktpflege im Bereich der erneuerbaren Energien zuständig.


Stichwörter: Geothermie, Bochum


Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Geothermie

München: Allianz für den Klimaschutz

[18.11.2024] Die Landeshauptstadt München, acht Kommunen der NordAllianz und die Stadtwerke München wollen enger zusammenarbeiten, um den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben und die Versorgungssicherheit zu verbessern. mehr...

zusehen sind drei Vibro-Trucks, die den Untergrund in der Stadt Münster untersuchen sollen.

Münster: Stadt wird durchgerüttelt

[24.10.2024] Die Stadtwerke Münster starten Anfang November eine groß angelegte geologische Erkundung, um das Potenzial der Tiefengeothermie auszuloten. Diese könnte in Zukunft einen großen Teil des Wärmebedarfs in Münster klimaneutral decken. mehr...

Das Bild zeigt einen Bohrplatz für tiefe Bohrungen.

Fraunhofer-Studie: Vorhandene Bohrlöcher nutzen

[23.10.2024] Eine neue Studie des Fraunhofer IEG zeigt, dass alte Erdgasbohrungen für die Gewinnung von Erdwärme genutzt werden können. Insbesondere für Kommunen im norddeutschen Becken könnten ungenutzte Bohrungen eine wertvolle Wärmequelle darstellen. mehr...

Das Bild zeigt einen Bohrkopf für Geothermiebohrungen.

Praxisforum Geothermie.Bayern: Goldenes Heizwerk steht in München

[21.10.2024] Die bayerischen Geothermieanlagen haben im Jahr 2023 etwa 2,8 Terawattstunden Wärme erzeugt und einen bedeutenden Beitrag zur Wärmewende geleistet. Im Rahmen des Praxisforums Geothermie.Bayern wurden herausragende Anlagen für ihre Effizienz prämiert. mehr...

Luftaufnahme von Messtrucks in einem Wald.

Tiefe Geothermie: Bochums Untergrund wird kartiert

[21.10.2024] Um das Aufsuchen untertägiger Wärmespeicher zu erleichtern, wird jetzt ein fünf Kilometer langes Stück des Bochumer Untergrunds kartiert. Die Messungen reichen bis in 2.000 Meter Tiefe und sollen bis einschließlich Februar 2025 stattfinden. mehr...

Eavor und enercity schließen Wärmeliefervertrag

Hannover: Geothermieprojekt startet

[16.10.2024] Die Stadt Hannover geht einen weiteren Schritt in Richtung Wärmewende: Gemeinsam mit dem Energieversorger enercity und der Firma Eavor soll Erdwärme für das Fernwärmenetz gewonnen werden. Jetzt sind die ersten Vorbereitungen für das Geothermieprojekt gestartet. mehr...

Spatenstich in München für die größte Geothermieanlage Kontinentaleuropas.

München: Spatenstich für Geothermieanlage

[07.10.2024] In München haben jetzt die Bauarbeiten für die größte Geothermieanlage in Europa begonnen. Die Anlage am Michaelibad soll ab 2033 rund 75.000 Haushalte in der Region mit klimaneutraler Fernwärme versorgen und ist ein wichtiger Baustein für die Wärmewende der Stadt. mehr...

NRW-Geothermiekonferenz: Schatz aus der Tiefe heben

[07.10.2024] Nordrhein-Westfalen will 20 Prozent seines Wärmebedarfs klimaneutral aus Erdwärme decken. Auf der 19. NRW-Geothermiekonferenz werden aktuelle Projekte und technologische Entwicklungen für die kommunale Wärmeplanung vorgestellt. mehr...

NRW: Geld für Aachener Geothermie

[19.09.2024] NRW fördert eine wichtige Vorerkundung für ein Geothermieprojekt der Stadtwerke Aachen. mehr...

Die Gemeinde Grünwald sparte im Jahr 2023 rund 22.000 Tonnen CO2 durch die Nutzung der Tiefengeothermie.

Drees & Sommer: Tiefengeothermie auf Expansionskurs

[16.09.2024] Die Tiefengeothermie in Bayern befindet sich auf Expansionskurs. Dank neuer Projekte soll die klimafreundliche Wärmequelle künftig einen noch größeren Beitrag zur Wärmewende in Bayern leisten. mehr...

Baustellenbesichtigung: Im Norden von Frankfurt am Main entsteht ein zukunftsweisendes Klimaschutzquartier.

Frankfurt am Main: Klimaschutzquartier im Bau

[10.09.2024] In Frankfurt entsteht ein neuer Vorzeigestadtteil: Im Hilgenfeld sollen rund 2.500 Menschen mit klimaschonender Energie versorgt werden. Das innovative Energiekonzept kombiniert Geothermie, Solarenergie und Blockheizkraftwerke. mehr...

Altenburg: Kaltes Nahwärmenetz in Betrieb

[09.09.2024] In Altenburg wurde jetzt ein innovatives kaltes Nahwärmenetz offiziell in Betrieb genommen. Das Projekt, das über 100 Gebäude mit nachhaltiger Geothermie versorgen soll, gilt als Vorbild für die klimafreundliche Wärmeversorgung im Ahrtal und Rheinland-Pfalz. mehr...

12 Uhr Mittags: Thomas Finkeldey

LBEG: Schicht im Schacht Steinförde

[23.07.2024] Eine geplante geothermische Nachnutzung des Kalischachts Steinförde in Wietze wird nicht umgesetzt. Das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) und der Verein Geoenergy Celle haben festgestellt, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. mehr...

Kick-off-Treffen des Geothermieprojekts AGENS in Speyer.

Speyer/Schifferstadt: Geothermieprojekt AGENS gestartet

[12.07.2024] In den Städten Speyer und Schifferstadt soll Erdwärme für die Nah- und Fernwärmeversorgung genutzt werden. Das Projekt AGENS will durch innovative Bohrtechniken die Dekarbonisierung und Unabhängigkeit der Energieversorgung vorantreiben. mehr...

So funktioniert die Tiefe Geothermie in Neustadt-Glewe.

Neustadt-Glewe: Tiefengeothermie zur Wärmewende

[28.06.2024] Die AEE zeichnet im Juni die Stadt Neustadt-Glewe als Energie-Kommune des Monats aus. Einer der Gründe ist die effiziente Nutzung von Tiefengeothermie. mehr...