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Freitag, 29. März 2024

Hybrid-Heizkraftwerk:
Modellprojekt macht Schule


[10.6.2016] Mithilfe hybrider Heizkraftwerke lässt sich überschüssige regenerativ erzeugte elektrische Energie kosteneffizient als Wärme speichern. Ein Pilotprojekt eines solchen virtuellen Stromspeichers wurde an der Polizei-Hochschule in Biberach an der Riß realisiert.

Das Hybrid-Heizkraftwerk der Polizei-Hochschule Biberach soll eine jährliche Energieersparnis von bis zu 70 Prozent bringen. Die Energiewende wird häufig auf das Thema erneuerbare Energien (EE), sprich: Wind und Photovoltaik, und somit auf die regenerative Stromerzeugung reduziert. Doch mehr als die Hälfte des Endenergieverbrauchs in Deutschland entfällt auf den Wärmesektor, der daher deutlich mehr in den Fokus rücken muss. Durch die intelligente Kopplung von Strom und Wärme eröffnet sich Stadtwerken ein attraktives Geschäftsfeld. Überdies wird eine hocheffiziente und netzdienliche Integration erneuerbarer Energien möglich. Dass dies keine Zukunftsmusik ist, belegt ein erfolgreiches Pilotprojekt auf dem Areal der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg. Das technische Konzept ist bereits ausgereift, einziger Hemmschuh sind die regulatorischen Rahmenbedingungen. Die stark schwankende Einspeisung durch Windkraft und Photovoltaik ins Stromnetz dynamisch auszugleichen, stellt eine komplexe energielogistische Aufgabe dar. Eine clevere Lösung, die mit dem stetigen Zubau Erneuerbarer-Energien-Anlagen an Bedeutung gewinnen wird, sind hybride Heizkraftwerke. Sie bestehen aus einer flexibel steuerbaren Kombination von Blockheizkraftwerken (BHKW) und elektrischen Wärmeerzeugern. Damit entsteht eine sektorübergreifende Kopplung sowohl von Strom- und Wärme-Energiesystemen als auch von Erzeugern und Verbrauchern. Die volatile Einspeisung erneuerbarer Energien führt zu Schwankungen des Strompreises an der Strombörse – denn dieser spiegelt Angebot und Nachfrage im Stromnetz wider. Der Börsenstrompreis lässt sich so als Steuergröße für die Einsatzoptimierung der Erzeugungsanlagen und steuerbaren Lasten nutzen: In Zeitabschnitten geringer regenerativer Stromerzeugung – und somit hoher Börsenpreise – speist der Anlagenbetreiber Strom ein, besteht dagegen ein Überangebot, wird Strom zu niedrigen Preisen aus dem Netz entnommen.

Innovative Idee, bewährte Technik

Mit dem Hybrid-Heizkraftwerk wird die Stromerzeugung – und folglich die Laufzeit des BHKW – auf die Zeitabschnitte begrenzt, in denen ein hoher Spotmarktpreis vergütet wird. In Zeiten niedriger Börsenpreise kommen flexibel steuerbare Lasten wie Wärmepumpe oder Elektroheizer zum Einsatz, die den günstig bezogenen Strom in leicht speicherbare Wärme transformieren. Durch die börsenpreisgeführte Betriebsweise ergeben sich kürzere BHKW-Laufzeiten und damit weniger Jahresvollbenutzungsstunden. Zur Sicherstellung der benötigten Wärmemenge über das gesamte Jahr hinweg wird daher für die kurzen Einsatzzeiten in der Regel eine höhere BHKW-Leistung gewählt. Über ausreichend dimensionierte Wärme-Pufferspeicher kann die stromgeführte Erzeugung der Wärme dann zeitlich von deren Abnahme entkoppelt werden. Produktion und Verbrauch von Wärme und Strom lassen sich so optimal den jeweiligen Anforderungen anpassen. Anstatt die Erzeugung erneuerbarer Energien beispielsweise durch die Abregelung hochinvestiver Windenergieanlagen zu reduzieren, wird die überschüssige regenerativ erzeugte Energie energie- und kosteneffizient als Wärme gespeichert. Das Konzept des Hybrid-Heizkraftwerks ist innovativ, die verwendete Technik jedoch bewährt. Will heißen: Die zum Einsatz kommenden Aggregate sind zuverlässig – und sie sind preisgünstig am Markt verfügbar. Eine gewinnbringende Umsetzung des Konzepts ist daher schon heute problemlos möglich. Die Wärmeerzeugung im Hybrid-Heizkraftwerk erfolgt wechselweise mit Blockheizkraftwerken und elektrischen Wärmeerzeugern. Durch den gezielten Einsatz von EE-Überschussstrom zur Produktion von Wärme wird Primärenergie, zum Beispiel Erdgas, substituiert. Allein dadurch verringert sich der Primärenergieeinsatz im Vergleich mit einem konventionell betriebenem BHKW um etwa 50 Prozent – mit entsprechender CO2-Reduktion. Im Klartext heißt das: In Zeiten von Überschussstrom wird dieses Erdgas nicht verbraucht. Es verbleibt im Netz, und an kalten Wintertagen kann zur Spitzenlastabdeckung darauf zurückgegriffen werden. Dadurch ergibt sich ein saisonaler Speichereffekt: Überschüssiger EE-Strom verdrängt Erdgas und wird quasi im Gasnetz gespeichert. Das Netz fungiert als virtueller Stromspeicher, über den die saisonalen Schwankungen zwischen EE-Erzeugung und Stromverbrauch ausgeglichen werden können. Zentraler Bestandteil des virtuellen Stromspeichers sind ein Fahrplan-Management zur Ansteuerung der Aggregate-Kombination, das auf ausgeklügelten Algorithmen und Strategien basiert, sowie ein intelligentes Speicher-Management. Die vom Tübinger Unternehmen AVAT Automation entwickelte Software smartEnergyVPP errechnet die nach allen relevanten Kriterien optimierte Betriebsweise und berücksichtigt dabei zahlreiche Parameter. Hierzu zählen unter anderem Energie-Börsenpreisprognosen sowie Wetter- und Wärmebedarfsprognosen.

Erfolgreiches Pilotprojekt

Pionier in Sachen virtueller Stromspeicher ist die Hochschule für Polizei Baden-Württemberg. Seit dem Frühjahr 2015 setzt die Ausbildungsstätte am Standort Biberach an der Riß auf eine flexible Power-to-Heat-Anlage, welche die Strom- und Wärmeversorgung geschickt miteinander verbindet. Versorgt wird die Biberacher Liegenschaft nun durch zwei stromgeführte BHKWs kombiniert mit einer Wärmepumpe, einem Elektroheizer, zwei Wärmespeichern, einem Niedertemperaturspeicher für die Wärmepumpe, einem Solarabsorber sowie einem Spitzenlast-Erdgaskessel. Anlass war die energetische Sanierung und Modernisierung der Gebäude und Einrichtungen auf einer Nutzfläche von insgesamt 33.000 Quadratmetern. Das vom Stadtwerke-Verbund SüdWestStrom betriebene und gemeinsam mit dem Unternehmen AVAT Automation realisierte Pilotprojekt bietet ökologische und ökonomische Vorteile. So rechnet die Hochschule mit einer jährlichen Energieersparnis von bis zu 70 Prozent und einer Verringerung der Betriebskosten um 250.000 Euro gegenüber der alten, konventionellen Anlage. Wie das Beispiel der Polizei-Hochschule Biberach zeigt, sind Hybrid-Heizkraftwerke als virtuelle Stromspeicher schon heute mit einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis realisierbar. Ihre Wirtschaftlichkeit ließe sich jedoch signifikant erhöhen. Ein großes Hemmnis stellt die Behandlung derartiger Speicher als Letztverbraucher dar, was bedeutet, dass der entnommene Strom nach wie vor mit Stromsteuer und Abgaben belastet wird. Ungeachtet dessen wird die Nachfrage nach Lösungen mit flexiblen Erzeugern und Lasten auch in Zukunft steigen, denn mit dem Zubau Erneuerbarer-Energien-Anlagen und der Abschaltung konventioneller Kraftwerke werden die Residuallastschwankungen im Netz zunehmen. Das innovative Konzept des Hybrid-Heizkraftwerks trägt gleich auf mehreren Ebenen zur Lösung der anstehenden Probleme bei. Zunächst einmal wird sehr viel Primärenergie eingespart, wodurch sich die CO2-Emissionen in hohem Maße verringern. Außerdem kann der erneuerbare Überschussstrom quasi saisonal gespeichert werden. Im Sinne der Energiewende ist dies eine ökologisch wie ökonomisch nutzbringende und zielführende Strategie.

Dipl.-Ing. Heinz Hagenlocher

Heinz, Hagenlocher
Diplom-Ingenieur Heinz Hagenlocher studierte an der Universität Stuttgart Elektrotechnik mit Schwerpunkt Software-Entwicklung, Regelungstechnik und Prozessautomatisierung. Seit neun Jahren ist er Bereichsleiter Energy Automation Solutions bei der AVAT Automation GmbH in Tübingen.

http://www.avat.de
Dieser Beitrag ist in der Mai/Juni-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Energiespeicher, avat, Polizei-Hochschule Biberach, Hybrid-Heizkraftwerk, BHKW

Bildquelle: AVAT Automation

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